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Algen aus Nordsee und Ostsee sind glibschig - aber lecker! Vier Profis verraten ihre besten Rezepte
Tang auf dem Teller: Werden Algen aus Nord- und Ostsee der neue Food-Trend?
In unseren Nachbarländern gelten Algen aus dem heimischen Meer schon länger als Köstlichkeit, zu uns schwappt die Welle nun auch langsam über. Vier Gastro-Profis über die grün-braune Köstlichkeit – und ihre Lieblingsrezepte
Dieser Text ist Teil unserer Recherche-Serie „Zukunft Nordsee und Ostsee – wie sich unsere Meere verändern“.
Urlaub in der Bretagne: Gefühlt jedes zweite Restaurant serviert Leckereien mit Algen aus Nordsee oder Atlantik. Urlaub in Dänemark: Die Kinder amüsieren sich bei Algensafaris mit anschließender Verkostung, die Eltern blättern in schick designten Algen-Kochbüchern. In Irland gibt’s im Pub maritimen Algen-Gin. Die Niederländer kaufen ihr „Meeresgemüse“ in Algenfarmen und ernten seit Kurzem sogar offshore unter Windparks. In ganz Nordeuropa, so scheint es, sind Algen das neue Kurkuma.
Und in Deutschland? Quirrlen sich Gesundheitsbewusste gern Spirulina oder andere Mikroalgen aus Labortanks in ihre Smoothies oder schlucken sie als Nahrungergänzungsmittel (laut Verbraucherzentrale ohne Wirkungsnachweis). Doch die kulinarische Welle mit Makroalgen – den grün-rot-braunen Meeresgewächsen mit ihren glibbrigen Bläschen, spaghettiartigen Fäden, salatigen Blättern oder grünkohligen Rüschen – schwappt bislang nur leise an Land.
Hätten wir nicht Tipps unserer Riffreporter-Community auf Instagram & Co erhalten, wäre die Idee, über Speisealgen aus Nord- und Ostsee zu schreiben, vermutlich versandet. Doch dank unserer Leser:innen haben wir sie gefunden: Trendsetter, die mit heimischen Algen experimentieren, sie als Lebensmittel erforschen, züchten, verkaufen und vor allem: mit ihnen kochen.
Was wächst denn da?
Wer gern Sushi isst, hat zumindest schonmal vorgekostet: Die hauchdünnen Blätter, in die Reis, Fisch und/oder Gemüse eingerollt werden, heißen Nori. Sie bestehen allerdings nicht aus einer Algenart, schon garnicht aus einer heimischen, sondern werden aus asiatischen Grünalgen und lokalen Sorten Purpurtang zusammengemischt und getrocknet. Von Japan bis Südostasien züchten Farmer:innen seit Jahrhunderten Tang und Algen im Meer. Vor allem Nori wird in die ganze Welt exportiert.
Auch bei Sean Moxie landete Nori vor ein paar Jahren in der Küche. „Der marine Geschmack weckte mein Interesse an Algen“, erinnert sich der Hamburger Gourmetkoch, der den Blog Dailyvegan sowie den gleichnamigen Instagram-Account betreibt. Beim nächsten Nordseetrip fischte er dann „irgendeine Braunalge“ aus dem Wasser, biss rein in das „rohe, glibschige Ding“ und ist seither Fan: „Ein kleiner Schnipsel Alge reicht, und sofort hast du dieses intensive Meeresaroma“, schwärmt Moxie, „da braucht es keinen Fisch mehr.“
Auf Basis von Algen kreierte Moxie für sein fine-dining-Restaurant „Plantenköök“, das er bis Ende 2023 in Bremen betrieb, mehrgängige „Visch“-Menüs. Als Gastkoch eines Feinschmecker-Hotels in der Provence begeisterte sein „Tomaten-Tunvisch“ auch nicht-vegane Gäste. Noch mehr marine Rezepte auf Algenbasis stellt er auf seinem Blog vor.
Riffreporter-Leser:innen empfiehlt Moxie zum Nachkochen einen abgewandelten Klassiker der deutschen Küstenküche: veganen Sahnehering. „Den frischen Fischgeschmack liefern Auberginen, die mit drei Esslöffel Braunalge wie etwa Blasentang mariniert werden“, erklärt er. „Am meisten Spaß macht es, ihn am Strand selbst zu sammeln. Wer zu weit weg wohnt, kann auch getrockneten verwenden.“
Moxies Algenliebe wird nur durch eines getrübt: „Es ist schwierig, eine lokale Quelle zu finden.“ In den Niederlanden verkaufe fast jeder Supermarkt etwa frischen Queller für Algensalat. „In Deutschland gibt es eigentlich nur Online-Shops, doch deren Ware stammt meist aus dem Ausland. Da sind wir echt hinterher.“
„Schon das Wissen über Speisealgen ist bei uns kulturell kaum verankert“, bedauert auch Diana Woldmann. Die Ernährungsexpertin arbeitet in Kiel zusammen mit Meeresbiolog:innen und Umweltwissenschaftler:innen für AlgaeFood, ein EU-gefördertes Projekt, das Makroalgen als regionales Lebensmittel stärken will. „Algen sind doppelt gesund“, erklärt sie. „Zum einen als Lebensmittel, denn sie enthalten viele Proteine und Ballaststoffe, Omega-3-Fettsäuren und Mineralstoffe wie Magnesium und Kalzium sowie Jod.“ Daher seien sie in Asien auch so beliebt. „Und dann gelten sie als die ‚Regenwälder der Meere‘. “Wie Laubbäume nehmen sie CO₂ auf und produzieren Sauerstoff„, erklärt Woldmann. “Sie bieten vielen Meerestieren Lebensraum und Futter. Zu guter Letzt verbessern sie die Wasserqualität, indem sie überschüssige Nährstoffe herausfiltern."
Aus Dänemark kennt die Expertin kommerzielle Algenfarmen, aber auch „Meeresgärten“, die von Vereinen als eine Art „Unterwasser-Schrebergarten“ betrieben werden. Ihre Mitglieder züchten neben Austern oder Muscheln meist Braunalgen an Leinen oder schwimmenden Plattformen, hauptsächlich für den Eigenbedarf. In der Kieler Förde wiederum bauen Projektpartner von AlgaeFood – die Kieler Meeresfarm etwa – das Meeresgemüse an, allerdings nur in den Wintermonaten und in kleinem Maßstab. „Wenn das Wasser zu warm wird, setzen sich andere Algen oder Seepocken auf die Speisealgen, das macht sie ungenießbar“, so Woldmann. Warum aber verkauft auch der angedockte Online-Shop „Meeresgarten“ fast nur Algen aus Frankreich oder Dänemark und nicht aus den heimischen Meeren?
Der Grund sind Paragrafen: Blasentang etwa steht in Deutschland – anders als etwa in Dänemark – unter Naturschutz, darf also nicht gesammelt werden. An der Nordseeküste wiederum gelten fast überall die Nationalpark-Regeln des Wattenmeers, die Anbau und kommerzielles Sammeln verbieten. „Algensammeln für den privaten Konsum ist so ein bisschen eine Grauzone“, sagt Diana Woldmann.
Aus diesem Grund gibt es auch – anders als etwa für Pilze – keine deutschsprachige Algen-Identifikations-App wie in Dänemark „Vildmad“ - „Wildes Essen“: Sie erklärt (auch auf Englisch), welche Arten man wo wann im Jahr findet, wie man sie am besten erntet (nur die äußeren Triebe abschneiden, sie sind am frischesten und schmecken am besten), oder dass man nicht regelmäßig mehr als fünf Gramm pro Tag verspeisen sollte (um nicht zu viel Jod aufzunehmen).
Woldmanns Team zieht derweil über Märkte und Food-Festivals, um Algen bekannter zu machen. Auch ein Algen-Gin wird in Kiel mittlerweile destilliert: der „Littoral Gin“ mit Strandwermut, Zuckertang und Meeressalat aus der Ostsee. „Die Leute sind offen und probieren gerne“, so Diana Woldmanns Erfahrung. „Aber ohne Anleitung bleiben sie ratlos.“ AlgaeFood hat daher einige Infos und Rezepte online gestellt, für Anfänger:innen empfiehlt die Algenexpertin Pesto mit Blasentang.
Luka Lübke ist eine Profi-Pionierin in der Algenküche – und generell offen für Neues. Bevor sie als Köchin Beruf und Berufung fand, arbeitete sie als Hutmacherin und Bibliothekarin, heute engagiert sie sich in der „Slow Food Chef Alliance“. Vor allem aber schreibt und fotografiert sie für ihren Blog Apokaluebke sowie als Food-Kolumnistin für „Brand eins“.
„Schon als Kind liebte ich Algen und machte mir am Strand gerne schöne Frisuren aus ihnen“, erinnert sich Lübke. Später kostete sie Miso-Suppe mit asiatischem Wakame und befand: „Nach ein paar Löffeln ist die Welt wieder in Ordnung, da muss was Gutes drin sein!“ Als sie die Algen des Kieler Teams in die Finger bekam – Zuckertang, Blasentang, Sägetang – fing sie an zu experimentieren. Probierte sie roh, blanchiert, eingeweicht, mariniert, gebacken im Ofen. Und genoss jedes Mal, „wie der Duft von Meer durch meine Küche zog.“
Lübke Rezept-Tipp sind Meeres-Spaghetti. „Getrocknet sehen sie aus wie grüne Kabelbinder“, lacht sie. „Aber gekocht, mit ein paar bunten Algen-Flakes drüber, werden sie richtig hübsch.“
Während Luka Lübke die Alge als Hauptprotagonistin feiert, dient sie „BettaFish“ als starke Nebendarstellerin: für Fisch-Ersatz. Das Startup, (mit)gegründet von der Ernährungs-Bloggerin und „leidenschaftlichen Problemlöserin“ Deniz Ficicioglu, mixt Speisealgen u.a. mit Proteinen von Erbsen und Ackerbohnen. Heraus kommt TU-NAH und SAL-NOM, je nach Gusto in der Dose oder im Glas. Das mag seltsam klingen, schmeckt aber lecker und authentisch thunfischig bzw. lachsig. „Und es hat nicht den ökologischen Ballast von Thunfischfang und Lachszucht“, betont Ficicioglu.
Für die Gründerin sind Algen daher das perfekte Gemüse: „Sie brauchen zum Wachsen nur Sonne und Meerwasser – keinen Acker, keinen Dünger, keine Pestizide.“ 2023 haben die BettaFish-Produkte es in den Lebensmittelhandel geschafft und auf vegane Pizzen von Italo-Ketten wie L’Osteria. Für Einsteiger:innen bietet das StartUp Infos und Rezepte auf der Website – wie etwa etwa „Pasta Sal-nom“.
Außerdem kooperiert das StartUp mit dem Fraunhofer Institut für Lebensmitteltechnologie. „Wir erforschen etwa, wie die Nährstoffe bei der Weiterverarbeitung am besten bewahrt werden“, erklärt Ficicioglu. „Bei Landpflanzen weiß man dazu sehr viel, bei Algen stehen wir ganz am Anfang.“ Auch deren braune Farbe sei eine Herausforderung: „Die kommt einfach nicht so gut an.“
Das größte Problem ist auch für BettaFish die fehlende regionale Quelle: Das StartUp bezieht seine Ware aus norwegischen Fjorden, „wo früher Lachsfarmen das Meer verschmutzten“, und aus Irland, wo sie nachhaltig gesammelt würden. „An der Nord- oder Ostsee kenne ich leider keine Farm, die uns zuverlässig in großen Mengen liefern kann.“
Vielleicht aber in Zukunft? Der Biologe und Aquakulturexperte Stefan Sebök versucht, Speisealgen in Tanks zu züchten: erst auf Sylt, inzwischen in Tessin bei Rostock. Dafür hat er ein Kreislaufsystem mit einer Welszucht ausgetüftelt. „Die Fische liefern die Nährstoffe, mit denen die Algen wachsen.“ Überhaupt plädiert Sebök für Algenfarmen an Land statt im Meer: „In Tanks kann ich sauberes Wasser garantieren und die Temperatur regeln. Beides ist in Nord- und Ostsee zunehmend kritisch, Stichwort Mikroplastik und Klimaerwärmung.“
Bislang verkauft er seine „Made in Germany“-Algen hauptsächlich an Forschungsinstitute und über den eigenen Online-Shop an private Käufer:innen. Dessen Name ist Programm: Er heißt Algenliebe. Direkte Fördermittel bekommt Sebök nicht. „Ich finde, es muss allein funktionieren“, sagt er. Und hofft gleichzeitig: „Irgendwann werden die Leute hier schon auf den Geschmack kommen.“
Das Rechercheprojekt „Zukunft Nordsee und Ostsee – wie sich unsere Meere verändern“ wird gefördert von Okeanos – Stiftung für das Meer.