Die Welt droht ihre Naturschutzziele zu verpassen 


Millionen statt Milliarden für Naturschutz - Zaghaftigkeit statt Ambition: Die Ziele der Welt für den Schutz der Natur drohen zu scheitern.

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Blick auf das Podium des  COP-Präsidiums mit Kolumbiens Umweltministerin Susana Muhamad und Konventionschefin Astrid Schomaker

Dieser Beitrag ist Teil unseres Spezials „COP16 und die Rechte der Natur“.

Schon zwei Jahre nach Verabschiedung des historischen Weltnaturabkommens von Montreal droht den Plänen der internationalen Staatengemeinschaft, die Artenvielfalt und Ökosysteme auf dem Planeten vor ihrer Zerstörung zu retten, ein empfindlicher Rückschlag.

Anders als in Montreal beschlossen, legten bei der UN-Weltnaturkonferenz COP16 im kolumbianischen Cali nur wenige Staaten ausreichend ambitionierte Pläne zur Umsetzung der Montreal-Ziele in ihren Ländern vor. Auch in anderen zentralen Punkten zeichnen sich nach mehr als einer Woche intensiver Verhandlungen kaum Fortschritte ab. So gelang es den Vertreterinnen und Vertretern aus fast 200 Staaten bislang nicht, die in Montreal einstimmig beschlossenen Finanzierungszusagen für den Naturschutz in Entwicklungsländern einzulösen.

Auch nach einer Woche wenig Fortschritte

Dabei drängt die Zeit. Denn in Montreal hatten die Staaten aus der Erkenntnis heraus, dass der kritische Zustand der Natur auch zu einer Gefahr für das Überleben der Menschheit wird, beschlossen, das Artensterben und die Zerstörung der Ökosysteme auf der Erde bis zum Jahr 2030 zu stoppen und die Natur auf den Pfad der Erholung zu bringen.

Konkret verpflichteten sie sich auf die Umsetzung von 23 Zielen. So müssen in den nächsten gut fünf Jahren mindestens 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche des Planeten unter wirksamen Naturschutz gestellt werden, ein Drittel der bereits geschädigten Ökosysteme soll renaturiert werden. Das von 196 Staaten unterzeichnete Abkommen gilt als ebenso bedeutend für die Bewahrung eines lebendigen Planeten wie das Pariser Klimaabkommen und wird deshalb oft als Paris-Abkommen für die Natur bezeichnet. In Cali beraten noch bis Freitag erstmals nach Montreal Regierungsdelegationen über konkrete weitere Schritte zur Umsetzung des Vertrags.

Ambitionen bleiben deutlich hinter Montreal-Vorgaben zurück

Ein Mensch sitzt auf einem Flur, im Hintergrund das Logo der Cop, eine stilisierte Blume
Auf der Cop16 beraten 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über Wege aus der Naturkrise.

Nur knapp 40 der 196 Vertragsstaaten haben, wie in Montreal versprochen, Pläne vorgelegt, wie sie die Ziele des Weltnaturabkommens bei sich umsetzen wollen. Ein Blick in diese sogenannten Biodiversitätsstrategien zeigt, dass viele Länder die wichtigsten Montreal-Ziele wie den Schutz von 30 Prozent ihrer Fläche in ihren Plänen nicht einmal erwähnen, geschweige denn konkrete Wege zu ihrer Verwirklichung beschreiben.

„Das Ambitionsniveau liegt deutlich unter dem, was in Montreal vereinbart wurde“, sagt auch Georg Schwede von der Naturschutzorganisation Campaign for Nature. Weil die Pläne erfahrungsgemäß in der Umsetzung weiter abgeschwächt würden, sieht er die Verwirklichung des Abkommens akut gefährdet. „Mit den Plänen, die auf dem Tisch liegen, ist bereits heute klar, dass eine Trendwende in der ökologischen Krise des Planeten nicht gelingen kann“, sagt der Naturschützer.

Lemke blickt in Akten
Arbeit bis zuletzt: Bundesumweltministerin Steffi Lemke wenige Minuten vor der Verabschiedung des Weltnaturabkommens in Montreal.

Deutschland kommt ohne eigene Strategie

Deutschland gehört zur Mehrheit der Staaten, die es nicht geschafft haben, konkrete Pläne vorzulegen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke reiste mit einer noch nicht mit den anderen Ministerien abgestimmten Fassung nach Cali. Dies wird unter Beobachtern auch deshalb als besonders peinlich für die Ampel-Koalition bewertet, weil Deutschland mit zweistelligen Millionensummen Entwicklungsländer dabei unterstützt hat, ihre Strategien rechtzeitig fertigzustellen. Selbst Palästina und Afghanistan haben in Cali eigene Strategien vorgelegt.

Auch neue Zahlen der Vereinten Nationen belegen, wie wenig die Staaten der Erde seit Montreal beim Naturschutz vorangekommen sind. Nach einem in Cali vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) vorgelegten Bericht sind bisher nur 17,6 Prozent der weltweiten Landflächen in irgendeiner Form geschützt. Auf den Meeren sieht die Quote mit nur 8,4 Prozent noch schlechter aus.

Damit ist die Zahl der Schutzgebiete an Land seit Montreal nur um 0,5 und auf See um 0,2 Prozent gestiegen. Unterdessen geht das Artensterben ungebremst voran, wie ein ebenfalls auf der COP vorgelegter neuer UN-Bericht zeigt. Darin ermittelte die Internationale Naturschutzunion IUCN, dass inzwischen mehr als jede dritte Baumart der Erde – insgesamt 16.425 Arten – vom Aussterben bedroht ist, was auf Holzeinschlag und Abholzung zur Schaffung von Ackerland, Bergbau, Straßenbau und andere Entwicklungsmaßnahmen zurückzuführen ist. Bei den Tieren wurde erstmals sogar der Europäische Igel als potenziell gefährdet auf die Rote Liste gesetzt.

Ein Igel läuft über den Rasen
Selbst Igel finden sich inzwischen auf der Liste der bedrohten Arten.

Anders als beim Klima: Zu wenig Geld für Naturschutz

Keine ausreichenden Fortschritte gibt es bislang auch im Ringen um eine ausreichende Finanzierung des globalen Schutzes der Natur. Zwar versprachen in Cali sieben Länder und die kanadische Provinz Quebec am Montag zusätzliche 163 Millionen Dollar für den Naturschutz in Entwicklungsländern in einen globalen Biodiversitätsfonds einzuzahlen. Deutschland sagte 50 Millionen zu, nachdem es bereits früher 40 Millionen in den Fonds eingezahlt hatte.

Damit verfügt der Fonds nun über rund 400 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Der „Zwillingsfonds“ im Klimaschutz ist mit fast 15 Milliarden Dollar ausgestattet und die Staatengemeinschaft hat es in diesem Jahr erstmals geschafft, den Entwicklungsländern für den Klimaschutz insgesamt 100 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen.

„Wir bekommen Millionen, aber es fehlen Milliarden“

Diese Summe wollten die Entwicklungsländer ursprünglich auch als Ausgleich dafür, dass sie zur Bewahrung der biologischen Vielfalt auf Wertschöpfung und wirtschaftliche Entwicklung durch die Zerstörung ihrer Naturschätze verzichten und den verbliebenen Großteil der Artenvielfalt auf der Erde bewahren. Statt der 100 Milliarden hatten sich die Staaten in Montreal auf jährlich mindestens 20 Milliarden Dollar ab kommendem Jahr verpflichtet. Doch wenige Wochen vor dem Zieldatum klafft eine Lücke von mehr als vier Milliarden Dollar. Naturschützer kritisierten deshalb die neuerlichen Zusagen als viel zu gering.

„Die kleinen Beiträge, die hier an neuen Finanzzusagen für den Schutz der Artenvielfalt gemacht werden, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Greenpeace-Biodiversitätsexperte Jannes Stoppel, der die Verhandlungen in Cali beobachtet. „Wir bekommen Millionen, aber es fehlen Milliarden“, kritisiert er. „Um die von den Industrieländern zugesagten 20 Milliarden bis 2025 zu erreichen, müssten ab jetzt jeden Monat zusätzliche 300 Millionen zugesagt werden“, rechnet auch Schwede vor.

Das Heck eines Buckelwals ragt aus dem Wasser des Indischen Ozeans.
Die Ozeane der Erde sind Hotspots der Biodiversität und Lebensraum unter anderem für Buckelwale.
Mangrovensumpf im Licht/Schattenspiel
Mangrovensümpfe gehören zu den wertvollsten Ökosystemen. Nur ein kleiner Teil ist geschützt.
Das Logo der Cop, eine stilisierte Blume
Frieden mit der Natur: das Motto der Biodiversitäts-Cop16

Mit zuletzt knapp 1,4 Milliarden Euro für Naturschutz in Entwicklungsländern steht Deutschland an der Spitze aller Staaten. Nur Norwegen und Schweden würden gemessen an ihrer Bevölkerungszahl, der Wirtschaftskraft und des ökologischen Fußabdrucks einen ähnlich fairen Beitrag zur Finanzierung des weltweiten Naturschutzes leisten, ermittelte der US-Thinktank ODI in seinem „Fair-Share-Index“.

Allerdings fordern Naturschutzverbände mehr Transparenz bei der Berechnung der internationalen Biodiversitätsfinanzierung. Es würden vermehrt Projekte, die den Biodiversitätsschutz nicht als erste Priorität hätten, als Naturschutzausgaben verbucht, monierten Greenpeace, WWF und Campaign for Nature.

Flasbarth vor einem bunten Bild in seinem Büro.
Appelliert auch an andere Länder, mehr für den Biodiversitätsschutz in Entwicklungsländern zu tun: Entwicklungs-Staatssekretär Jochen Flasbarth.

Bundesregierung fordert andere Länder zu mehr Beiträgen auf

Der Staatssekretär im Entwicklungsministerium, Jochen Flasbarth, mahnt auch andere Länder zu mehr Anstrengungen. „Die größte biologische Vielfalt ist in Ländern des globalen Südens beheimatet – deshalb haben wir vor zwei Jahren in Montreal den Globalen Biodiversitätsfonds beschlossen, durch den Entwicklungsländer beim Schutz ihrer Natur unterstützt werden sollen“, sagt Flasbarth im Gespräch mit RiffReporter aus Cali. „Unseren Worten müssen nun Taten folgen, deshalb haben wir weitere 50 Millionen Euro für den Fonds bereitgestellt und fordern andere Länder auf, sich diesen Bemühungen anzuschließen.“

Ob in der Finanzierungsfrage bis zum Abschluss des Gipfels noch weitere Fortschritte erzielt werden, ist offen.

Am Dienstag und Mittwoch wollen sich Ministerinnen und Minister aus mehreren Dutzend Ländern dieser und weiteren Streitfragen widmen. Dass das Geld am Ende über Erfolg oder Misserfolg maßgeblich mitentscheidet, ist allen Beteiligten klar. Die Chefin der UN-Biodiversitätskonvention und Präsidentin der COP, Astrid Schomaker, hatte schon zu Beginn der Verhandlungen im Gespräch mit RiffReporter gemahnt, dass mehr Geld auf den Tisch müsse, um das Montreal-Abkommen verwirklichen zu können.

Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres sieht in der Finanzierungsfrage den entscheidenden Schlüssel für Erfolg oder Misserfolg von Cali. Die Delegierten müssten den Gipfel mit substanziellen neuen Investitionen verlassen, mahnte der UN-Chef in seiner Eröffnungsrede.

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