Australiens Schwarzer Sommer bedroht 800 Tier- und Pflanzenarten in ihrer Existenz
Ein Jahr danach: Was Wissenschaftlerïnnen über Brände und Klimakrise herausgefunden haben, wie es den Koalas geht – und wie Menschen ihr Trauma bewältigen
Diesen Tag Ende 2019 wird Angela Frost nie vergessen. Der Himmel ist rot, das Buschland rund um ihr Haus im Oberen Pappinbarratal grau und die Luft unwirklich orange. Frost lebt auf halber Strecke zwischen Sydney und Brisbane, 60 Kilometer sind es von hier zur Küste. Als das Feuer kommt, hört es sich für sie wie Donner an. Dann wird der Wind stärker. Die Flammenwand rollt von Westen her über die Hügel auf sie zu.
Frost schickt ihre Tochter mit Hunden und Hühnern ins Haus, sie selbst hält den Löschschlauch in der Hand, wässert Gras, Haus und Nebengebäude – bis die Hitze ihre Schläuche an der Wasserpumpe versengt. Nachbarinnen und Freundinnen sind, ebenso wie ihr Vater, der nebenan lebt, auf den Löschzügen der örtlichen Freiwilligen Feuerwehren unterwegs. Sie retten Menschen und viele Gebäude in dem fast 30 Kilometer langen Tal. Manche erreichen sie nicht.
Jetzt, ein Jahr später, hängen Regenwolken zwischen den Hügeln, La Niña beschert der Region einen nassen Sommer. Doch für Angela Frost sind die Ereignisse von damals noch immer gegenwärtig. „Alle Häuser, deren Bewohner hier im Tal waren, wurden gerettet”, sagt die Biologin, die derzeit zur Krankenschwester umschult und vor sieben Jahren auf das hügelige Stück Land zog. Ihre Nachbarn gegenüber jedoch, die vor den Feuern geflohen waren, verloren ihr Haus.
Auch die Natur hatte weniger Glück: Jeder Halm, Baum und Busch in weitem Umkreis verbrannte, dichtes Grün wich Schwarz und Grau. Frost wurde damals Zeugin und Opfer eines Feuers, das in die Geschichte des Landes eingehen wird.
Feuer – vom Freund zum Feind
Australien war schon immer ein Kontinent des Feuers, von heißem, trockenen Klima geprägt. Im Zentrum erstrecken sich riesige Wüsten und Trockengebiete. Die meeresnahen Ränder sind im Norden von Mangroven oder Regenwald und sonst von der typischen Buschvegetation bedeckt, die aus perfekt angepassten Sträuchern und Bäumen besteht.
Die Samen mancher Pflanzenarten in Australien keimen nur aus, wenn sie Rauch oder Feuer ausgesetzt waren.
Schon seit Zigtausenden Jahren machten sich die Aborigines Feuer zunutze. Sie setzten es bei der Jagd ein, kontrollierten den Wuchs von Gräsern und Büschen, sorgten mit kleineren Bränden dafür, dass größere sich nicht ausbreiten konnten.
Auch in den 250 Jahren, in denen weiße Siedler Australien zuerst erobert und dann den westlichen Lebensstil durchgesetzt haben, spielte Feuer eine wichtige Rolle. Es wurde einerseits eingesetzt, um Waldflächen in Weidegebiete zu verwandeln.
Andererseits galt Feuer als Feind, wenn es, ausgelöst durch Gewitter und Blitze, Farmen und Siedlungen gefährdete. Dieser Feind musste mit modernen Methoden der Brandvermeidung- und bekämpfung besiegt werden. Entsprechend normal sind die „fire seasons” für die Australierïnnen, bisher begannen sie and der Ost- und Südküste meist im Dezember und dauerten bis Ende Februar.
Ein kollektives Trauma, das bis heute nachwirkt
Doch was Ende 2019 über das Grundstück der Biologin Angela Frost – und über Hunderttausend weitere Quadratkilometer des Kontinents – hinwegrollte, betraf fast jeden der 25 Millionen Australierïnnen, viele brachte es in existenzielle Situationen. 33 Menschen starben durch die Brände, 3000 Wohnhäuser und knapp 6000 andere Gebäude wurden zerstört. Fast jeder im Süden und Osten des Kontinents atmete wochenlang Rauch ein und spürte dessen ätzende Wirkung. Sogar bis nach Neuseeland zog der Rauch.
In Victorias Mallacoota retteten sich die Menschen vor den Flammen an den Strand. In New South Wales’ Küstenort Bermagui wurde es mitten am Tag Nacht, weil die Rauchwolken den Himmel verdunkelten. In vielen Regionen mussten Feuerwehrleute vor den Flammen fliehen, statt sie eindämmen zu können.
Das Ausmaß der Feuer war beispiellos in der Welt. (John Shine)
Einige Feuer vereinten sich zu Megabränden und entwickelten mit Explosionen und Feuerstürmen sogar ihr eigenes Wetter: Die intensive Hitze lässt in diesen Situationen die Rauchfahne schnell wirbelnd aufsteigen und saugt kühlere Luft an.
Steigt die Fahne in immer größere Höhen, verringert sich der atmosphärische Druck, die Luft kühlt weiter ab, kondensiert und bildet Wolken, die – weil sie aus der Feuerfahne stammen – Pyrokumulus genannt werden. Zuletzt kann dieser Vorgang zu einem eigenen Gewitter mit heftigen, neuen Blitzen werden.
Feuerkatastrophen wie die von 2019/2020 bekommen in Australien schwarze Namen: Sie gehen als Black Friday oder Ash Wednesday in die Geschichte ein. Doch diese Saison ließ sich nicht auf einzelne schlimme Tage reduzieren. Sie wurde zum Black Summer.
Noch immer versucht das Land, das zudem mit den Folgen der Corona-Pandemie konfrontiert ist, zu verstehen, was damals passiert ist. Die Regierung hat für traumatisierte Bürgerïnnen eigens psychologische Betreuung organisiert. Viele Betroffene warten noch immer auf Gelder von Versicherungen und Regierung. Andere helfen sich selbst. Die Künstlerin Belinda Broughton zum Beispiel verarbeitet das Trauma durch Zeichnungen und Skulpturen mit verkohltem Holz. Eines ihrer Bilder zeigt verkohlte Stümpfe, umgekrachte Bäume und Äste, alles tief schwarz, gemalt mit den Überresten ihres Hauses. „Sogar die Krähen sind still“, hat Broughton dazu geschrieben.
„Manchmal glaube ich, wir stehen noch mit vor Schock offenen Mündern da”, sagt Adrian Guthrie, früher Kunstprofessor, heute Naturwissenschaftslehrer, der wenige Kilometer vom Haus von Angela Frost entfernt 40 Jahre lang das Wildnisreservat Yodalla aufgebaut hat.
Die Flammen brannten sein privates Naturschutzgebiet nieder, ebenso wie sein Haus. Im ganzen Land fielen unzählige seltene Tiere und Pflanzen den Flammen zum Opfer – die weltweit bekannten und beliebten Koalas, Vögel, von denen es ohnehin nur noch wenige Exemplare gibt, einmalige Frosch- und Fischarten, besondere Pflanzen, die es nur in Australien gibt, ja ganze Lebensraum-Typen, die für den Kontinent typisch sind.
Erkennen wir die Natur bald nicht wieder?
Die gewaltige Dimension der Feuersaison 2019/2020 hat das Land erschüttert – und mit der Frage konfrontiert, die Wissenschaftlerïnnen schon länger beschäftigt, aber mit noch größerer Dringlichkeit, seit die letzten Brände im Februar 2020 gelöscht wurden: Steht dieses Feuer nicht einfach für ein besonders schlimmes Jahr in der langen Reihe früherer Brände, sondern für etwas Neues, Anderes – für die Zukunft?
Waren diese Feuer keine Naturkatastrophe, sondern eine direkte Folge der weltweiten Klimakrise? Und kommt die Natur damit nicht wie bisher klar, sondern wird sie durch dieses und die nächsten derartigen Feuer so verarmen, dass die Menschen sie in wenigen Jahrzehnten nicht mehr wiedererkennen werden?
Handelte es sich – in der Sprache der Geologie – also um ein Anthropozän-Feuer, ein Zeichen einer vom Menschen dominierten Erdepoche, in der die Kräfte, die wir entfesseln, das Leben auf der Erde tiefgreifend zum Negativen verändern?
„Das Ausmaß der Feuer war beispiellos in der Welt”, sagte John Shine, Präsident der australischen Academy of Science, schon Anfang Februar, als die tatsächlichen Folgen erst grob geschätzt werden konnten. Es brannte nicht nur eine größere Fläche als 2019 im Amazonas und in Kalifornien, es hatte auch kein Ereignis je zuvor einen derart enormen Einfluss auf die Biodiversität – auf die Australiens und damit die der Welt – wie diese Feuer. „Unprecedented” – beispiellos – wurde schon im Januar 2020 Australiens inoffizielles Wort des Jahres.
Klimaforscherïnnen mit klaren Warnungen
„Die Klimabedingungen und die Brandgefahr in Australien waren 2019 die schlimmsten, die je aufgezeichnet wurden”, sagt Nerilie Abram, Klimaforscherin der Australian National University in Canberra. Sie hat keinen Zweifel an einem direkten Zusammenhang zwischen menschlichem Einfluss und Intensität des Feuers.
„Der vom Menschen verursachte Klimawandel hat das Klima im Südosten Australiens heißer und die Winter trockener gemacht und führt dazu, dass feuerfördernde Episoden der natürlichen Klimavariabilität häufiger auftreten", sagt Abram. All dies trage dazu bei, dass die Feuergefahr im Südosten Australiens weit größer sei als Menschen sie bisher erfahren hätten.
Wie Abram haben sich auch andere Klimaforscherïnnen in den vergangenen Monaten über alle verfügbaren Statistiken gebeugt und sind zu einem beunruhigenden Urteil gelangt: Bereits 2019 war – passend zur globalen Erwärmung – das heißeste und trockenste Jahr auf dem australischen Kontinent. Die jährliche Niederschlagsmenge lag 40 Prozent unter dem langfristigen Durchschnitt und die durchschnittlichen Höchsttemperaturen 2,1 Grad Celsius darüber.
Australien bot damit, was die Temperatursteigerung anbelangt, den Vorgeschmack einer Welt, wie Wissenschaftlerïnnen sie für den ganzen Planeten vorhersagen.
Im neuesten „State of the Climate Report” bieten die Wissenschaftlerïnnen der Meteorologiebehörde und der Forschungsbehörde CSRIO harte Zahlen: Zwischen den 1940ern und 1990ern gab es demnach pro Jahr jeweils nur maximal zehn Hitzetage, die zum einen Prozent der allerheißesten Kategorie zählten. Zwischen 1990 und 2010 gab es jeweils maximal 15 solcher Tage. 2020 dagegen lag die Zahl bei 43. Die Wissenschaftlerïnnen verglichen auch speziell die wachsende Zahl der Tage, in denen ausgeprägte Hitze und Dürre zusammen das Feuerrisiko massiv steigerten.
Immer mehr heiße und trockene Tage – „Feuertage"
„Es besteht kein Zweifel, dass der Klimawandel für Australiens verheerenden Black Summer verantwortlich ist. 2019 war Australiens heißestes und trockenstes Jahr seit Aufzeichnung, und 2018/2019 war der trockenste Zweijahreszeitraum seit Aufzeichnung”, sagt Will Steffen, einer der renommiertesten Klimaforscher der Australian National University. „Die Wahrscheinlichkeit, dass diese beiden außergewöhnlichen klimatischen Bedingungen ohne den Klimawandel aufgetreten wären, ist verschwindend gering."
Die Häufigkeit von gefährlichen Feuerwettertagen hat in ganz Australien deutlich zugenommen. (Karl Braganza)
Der Waldbrandindex – sechs Stufen, die das Zusammenwirken von Trockenheit, Windgeschwindigkeit, Temperatur und Luftfeuchtigkeit einordnen – war im Dezember 2019 für den Großteil Ostaustraliens der höchste seit Beginn der Aufzeichnungen. Erst zehn Jahre zuvor war eine neue Kategorie eingeführt worden: „katastrophal” übertrumpft seitdem „extrem”, und nie zuvor tauchte das rote „catastrophic”-Symbol auf den Feuerlisten neben mehr Bränden zugleich auf.
Die ersten der 15.000 Feuer begannen schon im Frühling durch Blitzeinschläge im südlichen Queensland und nördlichen New South Wales, entzündeten Regenwald, der nie gebrannt hatte, umschlossen Sydney im Dezember, wüteten monatelang in Victoria, Tasmanien und Südaustralien. Besonders fatal: Einige Regionen erlebten bereits das zweite oder dritte Megafeuer binnen eines Jahrzehnts.
Wissenschaftlerïnnen äußerten sich im November 2020 im State of the Climate Report der staatlichen Meteorologiebehörde und der Forschungsbehöre CSRIO eindeutig: „Unsere Forschung zeigt, dass sich das australische Klima aufgrund zunehmender Treibhausgase wie CO2 in der Atmosphäre weiter erwärmt und die Häufigkeit von Extremereignissen wie Buschbränden, Dürren und Hitzewellen im Meer zunimmt", warnt auch Jaci Brown, Direktorin des Klimazentrums der CSIRO.
Auch zur Intensität und Länge der Feuersaison machen die Wissenschaftler eine klare Ansage: „Die Häufigkeit von gefährlichen Feuerwettertagen hat in ganz Australien deutlich zugenommen, besonders im Frühjahr und Sommer, was zu einem früheren Beginn der südlichen Feuersaison führt", sagt Klima- und Umweltmeteorologe Karl Braganza: „Der Klimawandel beeinflusst diese Trends durch seinen Wirkung auf Temperatur, Niederschlag und relative Luftfeuchtigkeit und die daraus resultierende Veränderung des Feuchtigkeitsgehalts des Brennstoffs."
Konservative wehren sich gegen Konsequenzen
Die Trends, die sich voraussichtlich in den kommenden Jahrzehnten fortsetzen würden, stellten bereits jetzt „eine erhebliche Bedrohung für die langfristige Gesundheit und Widerstandsfähigkeit der Korallenriff-Ökosysteme vor Australiens Küste dar", so Brown. Meteorologen und Klimaforscher hätten ihren Teil zur Aufklärung geleistet, nun seien Verantwortliche in Politik und Industrie gefragt.
Doch immer noch versuchen vor allem konservative Politikerïnnen, eine Verbindung zwischen globaler Klimakrise und dem nationale Desaster zu relativieren.
Premierminister Scott Morrison ist zwar progressiver als sein Vorgänger Tony Abbott, der noch gesagt hatte, Klimawandel sei „Blödsinn”. Morrison räumt einen Zusammenhang ein zwischen „den umfassenderen Fragen des Klimawandels und was sie für das Wetter auf der Welt und die Trockenheit an vielen Orten bedeuten". Gefragt, ob das Konsequenzen für seine Klimapolitik haben würde, antwortet er gerne mit vagen Statements wie: „Ich bin mir sicher, dass auch Sie zustimmen würden, dass keine Reaktion einer Regierung irgendwo auf der Welt mit einem Brandereignis in Verbindung gebracht werden kann."
Andere konservative Kreise wiederholen gerne die Behauptung, vor allem mangelnde Feuerprävention habe zu dem Desaster geführt. Bei diesen vorbeugenden Maßnahmen wird Busch kontrolliert abgefackelt, um die Menge an trockenem Holz und Gräsern zu reduzieren. Vor allem Kommentatoren in Murdochs einflussreichen Medien werfen der Umweltschutzszene vor, aus falsch verstandener Liebe zum Busch präventive Feuer verhindert zu haben.
Zu ihren lautesten Stimmen gehört Barnaby Joyce, der frühere Chef des Koalitionspartners Nationals, der noch während des Desasters mitteilte: „Ich glaube, und das ist meine Meinung, es gibt zu viele Vorbehalte, die den Menschen auferlegt wurden – nennen wir sie 'grüne Vorbehalte’ – die Menschen bei der Brandbekämpfung behindern."
Ross Bradstock, der Direktor des Zentrums für Umweltrisikomanagement an der Universität Wollongong nennt die wiederholten Fingerzeige Richtung ‘Greenies’ – in Australien wird das von einigen Gruppen als eine Art Schimpfwort benutzt – „altbekannt, populistisch und falsch”. Der Professor, der seit über 35 Jahren Feuer erforscht, sagt: „Es ist ein offensichtlicher Versuch, die Diskussion vom Klimawandel abzulenken.”
Wirtschaftsfaktor Kohle
Auch die Expertïnnen der Royal Commission, die 2020 von der Regierung damit beauftragt wurde, Ursachen und Konsequenzen des Megafeuers zu untersuchen, sind zu dem Ergebnis gekommen, dassder Klimawandel das Risiko für derartige Ereignisse erhöht und die Folgen solcher Katastrophen verschlimmert. Sie sagen auch, dass die globale Erwärmung über die nächsten 20 bis 30 Jahre hinaus „größtenteils von der Entwicklung der Treibhausgasemissionen abhängt", vermeiden es aber, die Regierung direkt zu mehr Emissionsreduktion aufzufordern.
Ein Grund, warum die beiden großen Parteien in der australischen Regierung nicht hören wollen, dass der Black Summer auch mit der Klimakrise zusammenhängt, ist handfest wirtschaftlich: Australien gehört zu den führenden Kohleexporteuren der Welt.
Im Rekordjahr 2018 verließen über 200 Millionen Tonnen des fossilen Brennstoffs auf Schiffen das Land, um Kraftwerke rund um den Globus zu befeuern. Zusammen mit Hüttenkohle für die Stahlproduktion brachte Kohle in dem Jahr über 67 Milliarden australische Dollar, um umgerechnet 42 Milliarden Euro, steigert dieses Geschäft das Bruttosozialprodukt.
Dass die Produktion derzeit sinkt, liegt nicht an politischen Entscheidungen, sondern an Streitigkeiten mit einem der Hauptabnehmer, China. Obgleich selbst Australiens schattigste Gegenden im Durchschnitt sechs Sonnenstunden pro Tag haben, die meisten mehr als zehn, stammt australischer Strom noch immer zu 75 Prozent aus Kohle.
Während in Deutschland aus Klimaschutzgründen der Zeitplan für den Kohleausstieg steht, will im Nordosten Australiens die indische Adani Group mit dem Steinkohlebergwerk Carmichael eine der größten Abbaustätten der Welt erst in Betrieb nehmen – mit Unterstützung der Regierung.
Doch es geht nicht nur um wirtschaftliche Fragen, sondern auch um kulturelle. Gerne wird darauf verwiesen, dass Feuer eben zur Natur und zur indigenen Kultur Australiens gehöre und die Natur sich auch von früheren Bränden noch immer erholt habe.
Im Kontext des Black Summers ist das allerdings irreführend – der Blick zurück auf die Megafeuer 2019/2020 macht den großen Unterschied sichtbar.
Kühle Feuer und traditionelles Landmanagement
Mit sogenannten Cultural Burns – mit klug geplanten, saisongerechten, überschaubaren Bränden – kontrollierten die Aborigines seit Jahrtausenden ihr Land. Die Temperaturen dieser Brände waren und sind aber deutlich niedriger als die heutigen Feuer. Besonders gut kennt sich damit Victor Steffensen aus, ein Aborigine, der im Norden Queenslands Feuerpraktiken von den dortigen Ureinwohnern gelernt und darüber 2020 das Buch „Fire Country” veröffentlicht hat. Seine Unterzeile gibt die Richtung an: „Wie indigenes Feuermanagement helfen könnte, Australien zu retten."
„Seit die großen Feuer mehr geworden sind, können weniger heimische Pflanzen und Tiere überleben”, schreibt Steffensen in dem Kapitel ‘Was haben sie dem Land angetan?’ und erklärt, weshalb die großen Brände so zerstörerisch sind: „Auch wüten diese Feuer zur falschen Zeit des Jahres, mit riesigen Mengen abgestorbener Vegetation, die die Flammen füttern, alles wird zu Asche, nichts als schwarzer, verbrannter Boden bleibt. Die meisten Bäume sind bis zu den Spitzen verbrannt, die Kronen haben nur noch tote, braune Blätter.”
Diese Baumkronen schützten die Aborigines bei ihren Bränden, Flammen durften sie nicht erreichen, damit die Bäume überleben konnten und weiter ihre Rolle als Schattenspender ausübten.
Die Vorfahren managten das Land, das Feuer braucht, um die Verschiedenartigkeit der Ökosysteme zu erhalten. (Victor Steffensen, Fire Country)
Steffensen reist zu Feuer-Workshops bis nach New South Wales, bei denen Flächen gekonnt abgebrannt werden. Bei diesen Lehrgängen in indigenen Feuermanagement sitzen schon mal Koalas ungestört oben im Geäst, während am Boden Gräser und Büsche brennen. Die alten Leute im Norden, schreibt Steffensen, seien auch deshalb traurig über die extremen Großbrände, weil ihr Wissen nicht genutzt wurde, um sie zu verhindern.
Unermesslicher Schaden für die Natur
Der Unterschied zwischen den Kulturbränden der Aborigines und den Feuern 2019/2020 liegt auf der Hand: Die Black-Summer-Brände waren weder lokal begrenzt noch saisontypisch. Auch waren sie vielerorts selbst für jene Pflanzen zu heiß, die Rauch oder Flammen zur Reproduktion brauchen. Es brannten die Regenwälder im Norden von New South Wales und Queensland, in denen Feuer weder üblich noch für das Ökosystem nützlich sind.
Das Feuer erreichte sogar Bergregionen. Dort sind nun Arten wie die bedrohten Bergbilchbeutler – kleine, mausähnliche Beuteltiere, die erst 1966 entdeckt wurden und bis dahin als ausgestorben gegolten hatten – noch stärker bedroht als ohnehin schon und können sich nur mit intensiver menschlicher Hilfe wieder erholen.
Es gab zwar schon größere Brände als vor einem Jahr: In der Feuersaison 1974/75 etwa standen 100 Millionen Hektar in Flammen. Das waren aber vor allem Grasland und Steppe im Landesinneren.
Im Black Summer brannte dagegen vor allem Wald, Lebensraum von Hunderten ohnehin bedrohten Arten. Es brannte der Torf von eigentlich feuchten Mooren, es brannte in sensiblen alpinen Regionen ebenso wie in engen schattigen Tälern, die sonst schnelleren Tieren und Vögeln Zuflucht vor Flammen bieten – ein ökologisches Desaster.
Der Schaden für die Natur ist auch nach einem Jahr noch immer unermeßlich.
Nur eine Sondereinheit der Feuerwehr konnte im Wollemi-Nationalpark 250 Kilometer westlich von Sydney verhindern, dass die Flammen die weltweit letzten Bestände einer Baumart zerstört, die es auf der Erde bereits zur Zeit der Dinosaurier gegeben hat: Die Wollemie-Kiefer (Wollemia nobilis) wurde erst 1994 durch Zufall in einer engen Schlucht von einem Wissenschaftler entdeckt.
Der Black Summer hätte den letzten 200 Exemplaren der Art, die es auf der Erde seit 200 Millionen Jahren gibt, beinahe den Garaus gemacht.
Die extrem seltene und erdhistorisch bedeutsame Baumart ist nur ein Beispiel von Hunderten Tier- und Pflanzenarten sowie von speziellen Lebensraumtypen, deren Bestände durch die Brände gefährlich geschrumpft sind.
Koalas auf dem Schlachtfeld
Schon früh machten sich Ökologinnen wie Martine Maron Sorgen um die Artenvielfalt. „Die einheimische Vegetation ist grundsätzlich an Feuer angepasst. Aber diese häufigen, sehr intensiven und großflächigen Brände sind etwas anderes. Die Wildtiere finden zwischen zwei Waldbränden keine Zuflucht mehr, die Natur hat keine Zeit, sich zu erholen”, sagte sie am 1. Januar 2020, als die Brände in einigen Regionen besonders extrem wurden.
Leah Tsang, Ornithologin am Australian Museum, warnte Ende Januar 2020: „Ganze Wälder wurden vernichtet, vielerorts ist keinerlei unverbrannte Vegetation übrig geblieben. Es wird Jahrzehnte dauern, bis sich Wälder von diesen Bränden erholen, in alten Eukalyptuswäldern wird es sogar noch länger dauern.” Ein Jahr nach den Bränden ist die Bilanz immerhin klarer.
Wissenschaftlerïnnen greifen selten zu biblischen Vergleichen. Doch nun, nachdem sie über Monate hinweg die Schäden für die Natur untersucht haben, nennen Australiens renommierteste Ökologïnnen und Feuerforscherïnnen ohne Zögern 2019/2020 eine „Season of Hell.”
Und die traf auch die Tiere, die neben den Kängurus die Symbole schlechthin für Australien sind: die Koalas.
Dezember 2020: Die Baumkronen eines kleinen Waldstücks über der Lord Street in Port Macquarie bilden fast einen Tunnel. Der Eingang zum „Koala Hospital” am Rande einer ruhigen Wohnstraße der Ostküstenstadt ist diskret. Ein gelbes Zeichen mit der Aufschrift „Vorsicht Koala” baumelt an einem Strommast, ein verblichenes grünes Schild markiert die Zufahrt. Vom kleinen Parkplatz aus führt ein Fußweg vorbei an den Veranden des Roto House, eines der wenigen Gebäude, die hier aus dem 19. Jahrhundert erhalten sind.
Statt Empfang und Notaufnahme gibt es in diesem Krankenhaus ein drei Meter hohes Whiteboard mit Patientenliste. Per Filzstift sind Name, Ankunft und Problem der Tiere eingetragen: „Lismore Myrtle Gehege 1, 2017, zu schwach, um in der Wildnis zu überleben.”
Die „Krankenzimmer” von derzeit zwei Dutzend Patientïnnen sind weitläufige, gen Himmel offene Gehege im Schatten hoher Eukalyptusbäume. Am Rand grenzt ein unscheinbarer Pavillon an die Gehege mit Büro und Lager, einem Souvenirshop und einem großem Behandlungsraum. Dessen riesiges Fenster erlaubt Besuchern zuzuschauen, wenn Tierärztin Pip Beale Tiere versorgt. Doch an diesem Morgen wird nicht operiert. Die ehrenamtlichen Helferïnnen und Mitarbeiterïnnen des 1973 gegründeten Krankenhauses feiern eine neue Etappe in der Geschichte ihres Projekts.
Das Koala-Zuchtprogramm ist einzigartig in der Welt. Es wird schwer, aber wir glauben, wir können es schaffen. (Cheyne Flanagan)
Bisher reichten ihre Mittel nur dafür, verletzte Koalas (Phascolarctos cinereus) zu versorgen. Doch die enorme Zahl von Tieren, die im Black Summer schwer verletzt oder getötet wurden, hatte eine ungeplante Nebenwirkung.
Als Bilder von Koalas mit verbrannten Pfoten um die Welt gingen und die über 100 ehrenamtlichen Helfer des Hospitals mehr Tiere aufnahmen als je zuvor, startete die Klinik eine Crowdfunding-Aktion: Umgerechnet 15.000 Euro wollten die Tierschützer sammeln, binnen Wochen kamen 4,8 Millionen Euro zusammen. Eine Summe, mit der die Einrichtung jetzt mehr tun kann.
Fundraising mit unerwarteten Folgen
Sue Ashton, Präsidentin des Hospitals, hat Port Macquaries Bürgermeisterin eingeladen, die örtliche Parlamentsabgeordnete und eine Handvoll Journalistïnnen. Koalaexpertin Cheyne Flanagan, Genetiker Matt Lott, Artenschutzexperte Nick Boyle vom Zoo in Sydney halten kurze Reden. Wer Cappucchino möchte, trägt sich in eine Liste ein. Zwischen Ocean Summers Gehege und Parkplatz zerschneidet Helferin Beck Kuchenteilchen für später. Vor einer Stunde hat sie noch Eukalyptuszweige in den Gehegen verteilt und die Wege gefegt. Jede fasst hier mit an. Nur fünf Mitarbeiterïnnen werden bezahlt, alle anderen helfen ehrenamtlich.
„Ein Zuchtprogramm stand auf unserer Wunschliste schon lange ganz oben”, sagt Ashton, „das Spendengeld ermöglicht uns jetzt, ein bisher weltweit einzigartiges Programm zu starten.” Das „Wild Koala Breeding Program” versucht zum ersten Mal Koalaszu züchten, die anschließend in die freie Wildbahn entlassen werden sollen.
Australiens Koalas hatten es auch vor den extremen Bränden schwer: Seit 2014 gelten sie als gefährdete Art, vor allem weil ihr Lebensraum ständig schrumpft. Ausmaß, Intensität und Dauer der Brände 2019/2020 machte das Leben und Überleben der Art noch schwieriger: Die Umweltorganisation WWF schätzt, dass 60.000 der weltweit beliebten grauen Beuteltiere starben.
Dank der Spenden kann das Hospital nun weit mehr tun, als kranke Tiere zu behandeln, Eukalyptusbäume zu pflanzen, Habitat- und Artenschutz-Studien voranzutreiben. Jetzt geht es darum, die Bestände der Tiere zu vergrößern. Die Fachleute wollen Koalas züchten, um sie in geeigneten Habitaten anzusiedeln.
Es geht um das Überleben der Koalas
In Gefangenschaft gezüchtete Koalas durften bisher nicht freigelassen werden, da extrem unwahrscheinlich war, dass sie überleben. Das dreijähriges Pilotprojekt bringt jetzt Genetiker, Artenschützer, Biologen und Veterinäre zusammen, um dies zu ändern.
„Es wird schwer, aber ich glaube wir schaffen es”, sagt Cheyne Flangan, klinische Direktorin des Hospitals, bei der Feierstunde zwischen den Gehegen. „Unser Ziel ist es, eine erstklassige Reihe von Verfahren und Methoden zusammenzustellen, die später auch anderen Institutionen als Beispiel dienen können”, sagt Flanagan, die bereits drei trächtige Weibchen für das Programm ausgesucht hat.
Seit Monaten haben die Expertïnnen Gen-Proben untersucht, um die besten potenziellen Eltern zu ermitteln. Sie studieren Verhalten und Krankheiten der Tiere, analysieren auch Bodenproben in den Wäldern der künftigen Population, um optimale Nährwerte der Eukalyptusbäume zu garantieren, von denen die Koalas leben. „Wir müssen die natürliche Umgebung der Tiere so exakt wie möglich kopieren”, sagt der Genetiker Matthew Lott, der das Programm begleitet. Sobald die Jungtiere mit 12 bis 14 Monaten von ihren Müttern entwöhnt sind, sollen sie in die Freiheit entlassen werden und neue Populationen gründen.
Eine Untersuchung der Regierung des Bundesstaats News South Wales kam im Juni zu dem Ergebnis, dass die Feuer fast ein Viertel des Koala-Habitats zerstört oder beschädigt haben, in einigen Regionen sogar bis zu 80 Prozent.
Fazit des Reports: „Wird nicht umgehend interveniert und der Lebensraum besser geschützt, sind Koalas bis 2050 in dem Bundesstaat ausgerottet”. Der Report bestätigte, dass Verlust und Fragmentierung von Habitat die größte Bedrohung sind. „Doch gleichzeitig sind unsere Gesetze unzureichend und lassen zu, dass weiterhin gerodet wird”, kritisiert die Senatorin Cate Faehrmann, Grünen-Politikerin und Vorsitzende des Untersuchungsausschusses.
Doch zur traurigen politischen Realität Australiens ein Jahr nach dem Black Summer zählt, dass man sich nicht einmal über den Schutz des nationalen Symboltiers einig ist. Vor allem die Politikerïnnen der National Party wollen mehr Wald und Busch für Bergbau, Bauvorhaben, Holzwirtschaft und Farmland freigeben. Zwei Drittel der Koalas leben aber auf privatem Land. Ihr Habitat zu schützen ist mit diesem Kurs schwer zu vereinbaren.
Ein Lieblingsinstrument australischer Umweltpolitik sind in derlei Situationen die „Offsets”: Wer in Region A für eine neue Wohnsiedlung Habitat zerstören will, zahlt Region B Geld, damit sie genau das nicht macht. Cheyne Flanagan hat für diese Praktiken nur ein Wort: „Rubbish!” – Müll. Den Koalas helfe kaum, wenn im Tausch ein Landstrich geschützt werde, in dem sie weder heimisch sind noch Nahrung finden. „Nach wie vor ist unsere Gesetzgebung zum Habitatschutz armselig”, sagt Flanagan. „Geht es nach den Nationals, wird es noch schlimmer.”
Biologïnnen ziehen erschreckende Bilanz
Als Hoffnungsschimmer sehen es die Koalaschützerïnnen am Tag der Einweihungsfeier deshalb, dass auch die Politikerin Leslie Williams der Einladung gefolgt ist und gratuliert. Es ist ein pikanter Moment: Zwei Monate zuvor lief die Parlamentsabgeordnete von den sehr konservativen Nationals zum marginal weniger konservativen Koalitionspartner, den Liberals, über.
Anlass war ein Streit über den Koala-Schutz, der beinahe die Koalition platzen ließ und noch nicht ausgestanden ist: Die Nationals wollten in New South Wales Beschränkungen wieder aufheben, die das Fällen von Bäumen in vom Feuer betroffenen Gebieten erschwert. Zugleich fürchtet der „Landflügel” der Koalition, Änderungen der Umweltgesetze könnten die Landnutzung für Landwirte einschränken. Leslie Williams entschied sich dafür, dem Koalaschutz zuliebe die Partei zu wechseln, nachdem der Nationals-Chef die angestrebte Gesetzesänderungen als „Sargnagel für die Landwirte” kritisiert hatte. Ihre alte Partei sei „unnötig, nicht hilfreich und politisch rücksichtslos und unvernünftig”, sagte Williams.
Kurz zuvor hatten die NSW Liberals dem Hospital ein Stück Land geschenkt und der Staat fünf Millionen Dollar für einen Ausbau der bescheidenen Anlage.
Koalas sind nur die bekanntesten Vertreter der durch die Brände beschädigten Natur des Kontinents. Schätzungen des World Wildlife Funds (WWF) zufolge haben insgesamt drei Milliarden heimische Tiere ihr Leben oder ihren Lebensraum verloren. Die Zahl ist nicht unumstritten, denn niemand hat die Tiere einzeln gezählt – aber sie macht die Dimension des Geschehens deutlich.
Bei der Suche nach Antworten auf die Frage, ob die Feuer einen Einschnitt in der Klima- und Naturgeschichte des Kontinents ausmachen, haben Wissenschaftlerïnnen in den vergangenen Monaten beunruhigende Erkenntnisse gewonnen.
Australiens Natur ist weltweit einzigartig. Der Grund dafür liegt tief in der Erdgeschichte zurück. Der Kontinent spaltete sich durch Plattentektonik zuerst vor rund 100 Millionen Jahren zusammen mit der Antarktis von der großen Landmasse Gondwana ab, vor 35 Millionen Jahren war auch die Abtrennung von der Antarktis komplett. Zwar bestand bis zum Ende der letzten Eiszeit eine Landbrücke in Richtung Papua-Neuguinea, aber die Tier- und Pflanzenwelt hat sich weitgehend eigenständig entwickelt. Dies führt dazu, dass viele Arten ausschließlich hier vorkommen, also endemisch sind.
Das Land zählt noch immer zu den artenreichsten Gebieten der Welt. Nach Angaben der nationalen Statistikbehörde ist fast jede zehnte Tier-, Pflanzen- oder Pilzart der Erde in Australien heimisch. Biologïnnen haben fast 8.000 Wirbeltierarten erfasst, darunter 830 Vogelarten. Rund 25.000 Pflanzenarten machen auch die Flora besonders artenreich. 87 Prozent der Säugetierarten, 45 Prozent der Vogelarten, 86 Prozent der Pflanzen und 94 Prozent der Amphibien sind den Angaben zufolge endemisch, kommen also nur hier vor.
Bedrohungen für die Biodiversität Australiens gab es schon vor dem Black Summer genug: Von den weißen Kolonisten eingeschleppte Tiere und Pflanzen verdrängen heimische Arten; die Ausbreitung von Weideland und wachsende Urbanisierung haben heimische Habitate verdrängt; die Rodung heimischer Urwälder hält bis heute an.
Der Black Summer vergrößerte die Gefahren enorm. Sechs Weltnaturerbestätten waren betroffen, darunter mehr als die Hälfte des Gondwana Regenwaldes im Norden und 82 Prozent der Blue Mountains Region. Ökologïnnen und andere Australierïnnen, die teils Jahrzehnte ihres Lebens dem Schutz bedrohter Arten gewidmet hatten, waren während der Brände verzweifelt, standen unter Schock oder verfielen in fast panischen Aktionismus.
Retten, was zu retten ist
Noch ehe heftige Regenfälle die letzten Feuer im Februar 2020 schließlich löschten, rückten Artenschützerïnnen, Ökologïnnen, Biologïnnen und Feuerforscherïnnen aus: für Bestandsaufnahmen, aber auch, um zu retten, was zu retten ist. Die Wissenschaftlerïnnen zogen durch die verkohlte Landschaft und kamen mit ernüchternden Eindrücken und einer Einsicht zurück: „Zu ermitteln, wie viele Arten den Black Summer langfristig nicht dauerhaft überleben, wird Jahre dauern.”
Einige Erkenntnisse gelten jedoch als gesichert: 327 Pflanzen- und Tierarten der 1.800 bereits zuvor als bedroht gelisteten australischen Arten verloren einen großen Teil ihres Lebensraums. 114 von ihnen büßten mindestens die Hälfte und 49 Arten mehr als 80 Prozent ihres Habitats ein, schreiben die Ökologen Sarah Legge und Brendan Wintle und der Naturschutzbiologe John Woinarski in einer Bestandsaufnahme.
Legge und Woinarski gehörten auch zu einem Experten-Gremium, das neun Monate lang Fakten, Daten und Erkenntnisse zusammen trug: Das „Wildlife and Threatened Species Bushfire Recovery Expert Panel” erarbeitete einen Lagebericht für die Regierung und suchte Antworten auf Fragen: Wie können Arten kurzfristig besser geschützt und langfristig gerettet werden? Wie kann künftigen Ausrottungs-Katastrophen besser vorgebeugt werden?
Zum Resümee der Expertïnnen gehörte eine Prioritäten-Liste: Aus 26.000 „kritischen Fällen” filterten sie knapp 800 Arten und 25 Lebensraumtypen heraus, die von den Bränden an den Rand des Aussterbens gedrückt wurden. Ihr Überleben erfordert nun dringendes Eingreifen (siehe Graphik).
Zu diesen besonders betroffenen Arten zählen der Westliche Erdsittich (Pezoporus wallicus flaviventris), eine quietschgrüne, vom Aussterben bedrohte Vogelart, ebenso wie der Blue-Mountains-Wasserskink, ein Reptil, und der nur knapp drei Zentimeter große Nördliche Corroboree-Frosch (Pseudophryne pengilleyi). Zu den bedrohten Lebensraumtypen gehören Gebirgsmoore ebenso wie sumpfige Küstenwälder und die spezielle Wildgrasvegetation von New South Wales.
Spektakulärer Einsatz für einen raren Sonderling
Um auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse To-Do-Listen zu erstellen, haben Biologïnnen und Artenschützerïnnen Verbreitungskarten, Feuerintensität und Bedrohungsstatus studiert.
Schon während der Feuer hat es nicht nur für die extrem seltene Wollemien-Kiefer, sondern auch für andere rare Sonderlinge spektakuläre Rettungsmissionen gegeben. So wurden zum Beispiel Olivscheitel-Borstenvögel (Dasyornis brachypterus) eher unscheinbare grau-braune Vögel, per Hubschrauber aus einer Krisenzone geflogen.
Die Dasyornis führen eine Linie von Singvögeln fort, die auf den Superkontinent Gondwana zurückgeht. Doch da Borstenvögel nicht gerade Langstreckenpiloten sind, würden sie aussterben, wenn ihre Habitate zu klein werden. In einem Wettlauf mit den Flammen rückten Ornithologïnnen von NGOs, Behörden, Parks und Zoo aus und fingen ein knappes Dutzend ein. Die Vögel überdauerten den Neujahrsbrand in Melbournes Zoo, ehe sie später wieder freigelassen werden konnten. Obgleich – aus Glück und dank drehender Winde – Dasyornis-Habitat erhalten blieb, war das Team sicher, dass sich der Aufwand gelohnt hatte, nicht zuletzt als Probelauf für künftige Artenrettungen.
Schlamm, Asche und Sediment lassen nach den Feuern Hunderttausende Fische in den Flüssen sterben.
Nicht nur Land-, sondern auch Wasserbewohner litten: Anwohnerïnnen beobachteten, wie in den breiten Flüssen der Ostküste Hunderttausende Fische verendeten. Dies geschah vor allem durch sinkenden Sauerstoffgehalt, verursacht durch Asche und Sediment, die mit dem einsetzenden Regen über kahle Böden in die Gewässer gespült werden.
Im alpinen Kosciuszko National Park im Süden von New South Wales bangte Mark Lintermans, der an der Universität Canberra Süßwasserfische erforscht, um den Galaxias tantangara, einen fingerlangen Fisch. Der stämmige Galaxias ist die einzige Fischart eines Gebirgsbachs, in dem vor dem Black Summer immerhin noch 2000 Galaxias lebten.
Corona-Restriktionen erschwerten die Arbeit
Lintermans versuchte schon, die Art zu schützen, bevor sie 2014 überhaupt offiziell anerkannt wurde: „Sie sind für mich wie Familienangehörige”, sagt Lintermans, der seit 35 Jahren bedrohte Süßwasserfische erforscht. Sie zu verlieren wäre schlimm. Der Wissenschaftler nutzte ein kurzes Zeitfenster zwischen mehreren Bränden in den Bergen, versetze den Fischen einen Mini-Elektroschock, um sie zu fangen und sorgte dafür, dass sie Feuer und die zeitweilige Verschlammung des Tantangara Baches in wohltemperierter Tank-Quarantäne überlebten.
Zwölf Monate nach den Feuern ist Lintermans vorsichtig optimistisch: „Wir hatten ein paar Probleme bei der Haltung der geretteten Fische in den Tanks, von denen einige überraschende Aggressionen zeigten, die für Galaxiid-Fische untypisch ist und zu erhöhter Sterblichkeit führte. Die Population in freier Wildbahn musste Rückschläge einstecken, hat aber überlebt.” Glücklicherweise habe das Feuer nicht den gesamten Bachlauf verbrannt, etwas Ufervegetation blieb erhalten, die den Bach später vor Sedimenten nach heftigen Regenfällen schützte.
Wie Lintermans warteten viele professionelle Retterïnnen, private Naturschutzorganisationen, Umweltbehörden ebenso wie freiwillige Helferïnnen nicht darauf, bis Anteile der angekündigten 200-Millionen-Dollar-Naturschutz-Hilfen der Regierung eintreffen.
Tausende Engagierte retten, seit die Flammen gelöscht sind, Lebewesen, Saatgut und Pflanzen aus den betroffenen Regionen, ergreifen Maßnahmen zur Regeneration von Habitaten oder bekämpfen Katzen und Füchse, die mit heimischen Arten konkurrieren und zusätzliche Stressfaktoren sind.
Die Engagierten installierten Nistkästen für Braunkopfkakadus oder warfen über grashalmlosen Landstrichen Karotten für hungrige Wallabies und Kängurus per Hubschrauber ab. Sie päppelten verwaiste Wombat-Junge auf und siedelten eierlegende Schnabeltiere in saubere Gewässer um. Covid-19-Restriktionen machte die Arbeit noch schwieriger, aber die Helferïnnen ließen sich nicht entmutigen.
Viele Untersuchungen, zu wenige Konsequenzen
Die große Frage ist nun, was die Regierung tut. Denn die Regierungen – ganz gleich, ob Labour oder Liberals am Ruder sind – sind traditionell gut darin, Expertengremien einzuberufen und das als Handlung zu vermarkten. Jeder Katastrophe folgt eine Flut an Komitees. Selten münden deren Empfehlungen in Taten. „Seit 1939 gab es 57 offizielle Untersuchungen, Überprüfungen und Royal Commissions zu Waldbränden und deren Management”, schreibt Kevin Tolhurst, Feuerökologe der Universität Melbourne. An sieben Untersuchungen war er als Experte beteiligt.
Viele dringende Vorschläge, die etwa die Royal Commission von Victoria schon 2009 gemacht hätte, seien bis heute nicht umgesetzt, kritisiert er. „Statt Zeit und Ressourcen für die nächste Untersuchung zu verwenden, sollten wir uns verpflichten, die Empfehlungen der bisherigen Überprüfungen und Königlichen Kommissionen vollständig umzusetzen”, so Tolhurst im Januar 2020. Eine neue Kommission werde vor allem Bekanntes wiederholen. Natürlich gab es dennoch eine weitere Königliche Untersuchung, die schließlich im Oktober auf fast 1000 Seiten Fakten, Zeugenaussagen, Probleme darstellte und 80 dringliche Empfehlungen aussprach.
Der australische Premierminister Scott Morrison hat zugesagt, die meisten der an die Regierung gerichteten Forderungen zu erfüllen: darunter eine bessere Notfall-Koordinierung und Warnsysteme für die Bevölkerung – er nickte sogar ab, künftig das traditionelle Feuermanagement der Ureinwohner stärker einzubeziehen. Eine neue Behörde zum Katastrophenschutz soll künftig die Arbeit im Fall von Überschwemmungen, Dürren und Waldbränden unter ein Dach bringen. Dass das genügt, bezweifeln viele Experten.
Die Biodiversitätskrise in Australien ist ein massives Problem, das durch die jüngsten Feuer noch verschärft worden ist. (David Lindenmayer)
„Die australische Regierung muss richtig in den Schutz bedrohter Arten investieren – derzeit gibt sie nur etwa 10 Prozent von dem aus, was tatsächlich nötig ist”, kritisiert der Landschaftsökologe, Waldforscher und Artenschützer David Lindenmayer von der Australian National University. „Jetzt gerade wurde die Forschungsinitiative über bedrohte Arten aufgelöst, die Kapazitäten in diesem Bereich werden damit noch marginaler.”
Ende 2021 wird sich Australien beim UN-Naturschutzgipfel in China die Chance bieten, zu zeigen, dass man aus dem Feuer gelernt hat. Dann kommen Vertreterïnnen von knapp 200 Staaten im Rahmen der UN-Konvention für biologische Vielfalt zusammen, um gemeinsame Ziele für die Zeit bis 2030 festzulegen. Konkret allerdings werden Australiens Behörden in ihren Zukunftsplänen auch nach dem Feuer nicht.
Am umstrittensten bleibt die Klimapolitik
Auf dem „One Planet Summit” im Januar 2021 lassen sich keine Australier blicken. Für die Umweltbehörde kein Thema: „Australien verpflichtet sich, ein ehrgeiziges und zielgerichtetes Rahmenwerk zu verfolgen, um die Schutzbemühungen an Land und im Meer zu steuern, wobei der Schwerpunkt auf echten Maßnahmen liegt”, teilt das Ministerium für Landwirtschaft, Wasser und Umwelt auf Anfrage mit.
„Wir arbeiten aktiv mit unseren internationalen Partnern in einer Reihe von Foren zusammen, um dieses Rahmenwerk zu entwickeln und Schutzziele festzulegen.” Diese Arbeit schreite gut voran. Australien sei „aktiver Teilnehmer an den Verhandlungen für das Post-2020 Global Biodiversity Programm, das derzeit im Rahmen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt entwickelt wird”, sagt die Sprecherin. Klare Ansagen zu konkreten Zielen bleiben aber Mangelware.
Am umstrittensten bleibt die Klimapolitik.
Appelle gibt es viele, nicht nur von Klimawissenschaftlern sondern auch aus den Reihen der Feuerwehren. Doch der australische Regierungschef bleibt vage. Viele Folgen des globalen Erwärmung stellten ja schon jetzt ein erhöhtes Risiko für die nächsten 20 Jahre dar, so Morrison zuletzt. Wesentlich im Umgang mit dem Klimawandel sei daher die „Widerstandsfähigkeit gegenüber dem bereits Vorhandenen”, orakelte der Konservative in der für ihn typischen, ausweichenden Art auf die Frage, ob er angesichts häufigerer katastrophaler Feuer die kohle- und gasfreundliche Politik des Landes überdenken will.
Im Rahmen des Pariser Klimaabkommens der Vereinten Nationen hat sich Australien verpflichtet, die Emissionen bis 2030 um 26 bis 28 Prozent unter das Niveau von 2005 zu senken. Den Beispielen anderer Länder, die sich um Null-Emissionen bis 2050 bemühen, will Morrison nicht folgen: Australien werde seine Verpflichtungen erfüllen, „basierend auf unseren nationalen Interessen und der Politik, die wir hier in Australien festlegen.” Das klingt weniger global verantwortungsvoll als nach einem traditionellen „Australia First”, wobei mit nationalen Interessen besonders die der Bergbau- und Kohleunternehmen gemeint sind.
Viele Wissenschaftlerïnnen sind skeptisch, ob die Regierung ausreichend konsequent handeln wird.
„Nichts zu tun ist noch kostspieliger und zerstörerischer angesichts der unerbittlichen, durch den Klimawandel angetriebenen Katastrophen." (David Bowman)
„Grundsätzlich wird der politische Biss entscheiden, ob die Empfehlungen der Wissenschaft je Realität werden”, sagt David Bowman, Professor für Feuerwissenschaften an der Universität Tasmanien. Die Morrison-Regierung gebe aber leider „so gut wie keine Hinweise darauf, dass sie bereit ist, das Problem des Klimawandels ernsthaft anzugehen.”
Ein Land versucht, seine Wissenslücken zu schließen
Dennoch kann er sich vorstellen, dass die Dimensionen des Black Summers Auswirkungen haben werden: „Ich glaube, dass das Ausmaß des Anpassungsprogramms – und das Ausmaß der Bedrohung durch den Klimawandel – eine breitere Basis für die Dekarbonisierung schaffen wird. Unsere Reaktion auf Covid-19 zeigt, dass Australier die Wissenschaft und die Regierung respektieren, wenn es hart auf hart kommt."
Merkwürdig mutet an, dass bis heute keine Einigkeit herrscht, wie groß die Brandfläche 2019/2020 eigentlich war. Man sollte meinen, dass diese Frage im Zeitalter von hochauflösenden Satellitenbildern und lückenloser Verwaltung leicht zu klären wäre. Dem ist aber nicht so.
Australien hat durch das Megafeuer auch seine großen Wissenslücken entdeckt – über seine Landschaften und seine Natur.
Während Australiens Wissenschaftsbehörde CSIRO die verbrannte Fläche im Süden und Osten mit „über 10 Millionen Hektar“ angibt und einige Studien einen ähnlichen Wert von 97.000 Quadratkilometer ermitteln, errechnete das AFAC, ein nationales Feuer- und Katastrophenschutznetzwerk, eine Brandfläche von über 17 Millionen Hektar – das ist eine Fläche so groß wie Griechenland und die Schweiz zusammen.
Die Royal Commission (RC), ein unabhängiges, hochkarätiges Expertenkomitee, das das Ereignis im Auftrag der Regierung monatelang untersucht hat, kommt sogar zu dem Ergebnis, es könnte fast doppelt so viel Landschaft verbrannt sein – das wäre dann beinahe eine Fläche von der Größe Deutschlands. Die Kommission fordert daher, verlässliche Erhebungsmethoden einzuführen.
Ein Fazit aus 2019/2020 ist für die Ökologin Sarah Legge die Forderung, schlicht eine bessere Übersicht zu bekommen, wo es gebrannt hat, um künftig effektiv handeln zu können: „Eine wichtige Aufgabe wird es sein, Hindernisse zu identifizieren, die effektivem, schnellem Eingreifen im Weg stehen, damit wir bei zukünftigen Naturkatastrophen schnell und entschlossen reagieren können.”
Mit Spürhunden auf Koala-Suche
Selbst zu der Frage, wie viele Koalas es auf dem Kontinent eigentlich gibt, herrscht keine Einigkeit. In ganz Australien lebten 2016 etwa 330.000 der Tiere, schätzte damals 15-köpfiges Expertenteam. Doch die Schätzung stützte sich auf Sichtungen – und es ist enorm schwer, Koalas wirklich im Geäst auszumachen.
Wenn ein Report des Worldwide Fund for Nature (WWF) überschlägt, dass allein auf Kangaroo Island 41.000 Tiere die Feuer nicht überlebt hätten, ist auch hier ein Unsicherheitsfaktor vorhanden.
Die Schätzungen schwanken so stark, dass Australien jetzt als Teil eines 18-Millionen-Dollar Koala-Hilfspakets zwei Millionen australische Dollar für eine Bestandsaufnahme ausgibt.
Die Ökologin Romane Cristescu weiß, wie schwer es ist, Koalas zu finden. „Als Studentin habe ich oft Stunden damit verbracht, braun-graue Erde nach kleinen und ebenso braun-grauen Koalaködeln zu durchforsten”, sagt die Wissenschaftlerin von der Sunshine Coast University und lacht.
Wenn Naturschutzmanager oder Landbesitzer sie heute um Hilfe bitten, durch Feuer verletzte Tiere zu finden, nimmt sie einen Hund mit.
Fünf Bordercollies und Koolies hat ihr Team als „Detection Dogs for Conservation” trainiert. Die Tiere sind von Besitzern im Tierheim abgegeben worden, oft weil sie für ein Dasein als Sofakumpane für die Vorstadtfamilie deutlich zu lebhaft waren. Ihr neuer Job ist maßgeschneidert für Tiere, die laut Romane nichts mehr hassen als Ferien und Wochenenden: Sie wollen laufen, schnüffeln, laufen und ständig in Bewegung sein. Die fünf Hunde sind auf den Geruch von Koala-Kot, Koalas selbst oder habitat-typische Pflanzen trainiert und sollen Australiens Wissenslücke zur Größe der Bestände schließen.
Menschen übersehen 80 Prozent der Koalas, die Hunde lokalisieren können. (Romane Cristescu)
Im Wildnisreservat „Two Thumbs" etwa 100 Kilometer südlich von Canberra ist Cristescu im April zum dritten Mal mit Spürhund Bear in dem noch immer stillen Wald unterwegs. Unterstützt vom International Fund for Animal Welfare kann ihr Team die 1300 Kilometer aus Queensland erneut anreisen. Denn das Reservat brannte in dieser Saison nicht einmal, sondern gleich zweimal.
„Das zweite Feuer war verheerend”, sagt Romane, „nicht nur brannte noch mehr Vegetation, auch ein Haus, in dem viele Tiere vor den Flammen geschützt werden sollten, wurde zerstört.” Ein Löschflugzeug mit drei amerikanischen Helfern stürzte beim Versuch, das Reservat zu retten, ab, alle drei Besatzungsmitglieder starben. „Es war eine absolut traumatische Zeit für alle”, sagt Cristescu, die mit Drohnen und Spürhund Bear wenigstens für einen kleinen Hoffnungsschimmer sorgen will.
Cristescu und Bear sind ein eingespieltes Team. Der Koolie lässt sich seine Schutzschuhe anziehen und sieht die junge Frau mit stahlblauen Augen erwartungsvoll an. Romane ruft: „Let’s go find”, und der Koolie läuft voraus, kratzt im verkohlten Laub, schnüffelt und rennt weiter, riecht er Koala-Urin, -Kot oder ein Tier, meldet er dem Team und führt sie zur Stelle.
Ohne Spürhunde Koalas zu suchen gilt als Zeitverschwendung
„In ‘Two Thumbs’ konnten wir so 18 Koalas finden, neun davon haben wir retten und behandeln können”, berichtet Cristescu von der Mission, an der auch Koala-Expertin Karen Ford und ein Tierarzt beteiligt waren. Manche Tiere sind zu hoch in den Bäumen, um sie sicher erreichen zu können, andere haben zu schwere Verbrennungen erlitten.
Die Wissenslücke, wie viele der Beuteltiere es in Australien gibt, hat einen simplen Grund: Hoch oben im Eukalyptus-Geäst sind sie notorisch schwer zu entdecken. Und laut sind sie nur, wenn die Männchen auf Partnersuche sind, dann aber ist es meist stockdunkel. „Die Hunde riechen, was wir nicht sehen”, sagt Cristescu. Ihre Vierbeiner seien auf der Suche nach Koalas bis zu 150 mal effizienter als sie selbst.
„Wir sind stolz sagen zu können, dass unser ‘Team Bear’ zwischen November 2019 und April 2020 mehr als 100 verletzte, kranke, dehydrierte oder verhungernde Koalas gefunden hat, die wir untersuchen konnten und wenn nötig behandeln und in Pflege geben könnten.” Ohne Hunde und Drohnen Koalas zu suchen oder zählen, hält die Ökologin inzwischen für Zeitverschwendung. „Es ist gut, dass wir landesweit einheitliche Methoden entwickeln”, sagt Cristescu.
Ein Vorgeschmack auf eine eskalierende Krise
Solche Wissenslücken lassen sich vergleichsweise leicht schließen – man muss nur wollen. Viel schwerer fällt es den Australierïnnen zu verstehen, was der Black Summer für ihre Zukunft bedeutet. War es keine durch Sonderfaktoren verschlimmerte Naturkatastrophe, sondern vielmehr die direkte Folge eines gefährlichen Lebensstils im eigenen Land und weltweit?
Kann sich so etwas wiederholen – und wenn ja wie oft? Befindet sich Australien vielleicht sogar auf dem Weg in einen dauerhaften ökologischen Ausnahmezustand, in dem die Klimakrise und die Krise der Biodiversität fusionieren zu einem üblen Gemisch, das den ökologisch so reichen Kontinent unwiederbringlich verarmen wird?
Viele Wissenschaftler sind sich darüber einig, dass der Black Summer ein Vorgeschmack auf eine eskalierende Krise ist.
„Die Saison 2019/2020 war beispiellos in Bezug auf das Ausmaß der verlorenen Artenvielfalt. Gebiete, in denen es nie Feuer gegeben hatte, brannten ausgesprochen stark. Dies wird typisch sein, für das was wir in der Zukunft erleben werden”, sagt der Landschaftsökologe David Lindenmayer von der Australian National University..
„Wenn Australien und andere große Treibhausgasverursacher ihre Emissionen nicht schnell und gravierend reduzieren, wird es in der Zukunft noch gravierendere Ereignisse dieser Art geben”, sagt der weltweit bekannte australische Klimaforscher Will Steffen.
Ein Jahr nach dem Black Summer bestehen nicht nur die ökologischen, sondern auch die psychischen Schäden fort. „Meine akute Trauer über die Notlage der Natur hat sich gelegt”, sagt Daniella Teixeira, eine Nachwuchs-Ökologin von der University of Queensland, die sie wissenschaftlich mit den bedrohten Braunkopfkakadus beschäftigt. Teixeira wünscht sich mehr psychologische Unterstützung für Wissenschaftlerïnnen. „Eine unterschwellige Traurigkeit und Sorge um die Zukunft bleibt. Aus meinen Gesprächen mit anderen Naturschützerïnnen weiß ich, dass ich nicht die Einzige bin, die so fühlt.”
Andere versuchen, sich mit dem zu trösten, was nachwächst, und beobachten die Regenerationskräfte der Natur. „Direkt nach dem Feuer war ich am Boden zerstört, ” sagt Angela Frost, deren Haus im Oberen Pappinbarra-Tal Ende 2019 nur knapp den Flammen entging, während die Umgebung abbrannte. „Ich bin immer noch traurig, aber es ist nicht mehr die totale Vernichtung, die wir gleich nach den Feuern sahen. Heute finde ich bemerkenswert, wie viel tatsächlich wieder wächst”, sagt sie.
Sie macht aber eine Beobachtung, die sie mit vielen anderen teilt: Die neue Vegetation ist eine andere, es sind nicht die üblichen Pflanzen, wie sie nach früheren Bränden häufig wieder hochgekommen sind. „Es ist nicht das Gleiche, es sind andere Pflanzen, vieles von der früheren Flora wird sich nie erholen.”
Auch Grün, aber anders
Wochenlang loderten vor einem Jahr die Feuer, fraßen sich vom Oberlauf des Pappinbarra Flusses bis in den 30 Kilometer entfernten Ort. Einige Nachbarn sagen trotz der Erfahrung immer trotzdem noch, Schuld seien die „Greenies”, die nicht genug präventiv verbrannt oder gemäht hätten. Angela Frost schüttelt den Kopf. Wer dieses Inferno erlebt hat und immer noch denken kann, Nachbars zu langes Gras sei schuld – das macht die Biologin wütend.
In einer einstigen Regenwald-Schneise sprießt ein Jahr nach dem Pappinbarra-Feuer helles Grün zwischen verkohlten Stämmen. „Wilder Tabak und überwiegend Unkräuter”, sagt Frosts Nachbarin Kelly Benson, eine resolute und humorvolle Frau, die seit 25 Jahren im Auftrag von Gemeinden und Firmen zerstörte Buschvegetation nach Feuern oder Bauprojekten regeneriert. Sie weiß genau, welche Pflanzen sich durchsetzen, welche vermutlich nicht wieder heimisch werden.
„Den schnell wachsenden wilden Tabak würden wir normalerweise rausreißen, aber jetzt ohne das Baumkronendach ist besser, wenn überhaupt etwas wächst, wenn wenigstens feuertolerante Pflanzen nachwachsen und den Boden beschatten, bis andere Saat wieder eine Chance hat”, sagt Benson.
Die Australierïnnen sind dankbar für das, was nach dem Black Summer überhaupt noch wächst.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.