Climate FictIion: Was passiert, wenn die Klimakatastrophe auf einmal da ist?
Interview mit dem CliFi-Autor Thore D. Hansen, dessen neuester Roman in Berlin und Brandenburg spielt: ein Klimawissenschaftler, der ein radikales politisches Programm aufstellt, während bei 50 Grad Hitze der elterliche Hof abbrennt.
Radikale Proteste, Hitze über 50 Grad, Waldbrände: In seinem Roman „Taupunkt“ lässt Thore D. Hansen in Deutschland die Klimakrise eskalieren. Zwar entwickelt der Klimawissenschaftler Tom Beyer ein Projekt, um Treibhausgase einzufangen, aber die Idee erhält keine politische Unterstützung. Als er ein radikales Transformationsprogramm vorstellt, wird er zum Freiwild für die Medien. Gleichzeitig spitzt sich der Konflikt mit seinem Bruder zu, einem klimagebeutelten Landwirt – und Verschwörungstheoretiker.
Der deutsche Autor und Journalist Thore D. Hansen hat viel zu erzählen in seinem aktuellen Werk und bleibt dabei immer nah an der Wirklichkeit. Im Interview berichtet er, wie er Reales und Erdachtes zu einerClimate-Fiction-Geschichte verknüpft, welche Rolle Wissenschaft dabei spielt – und wie sich Superreiche auf den Weltuntergang vorbereiten.
Warum haben Sie sich für das Thema Klimakrise entschieden?
Jetzt ist wirklich Zeit, den Leuten zu zeigen, was Klimakatastrophe tatsächlich bedeutet. Denn die Prognosen der Klimawissenschaft haben sich immer zum Schlechteren entwickelt. Es ist aber auch wichtig, ein Stück Hoffnung zu zeigen. Den Klimawandel können wir nicht mehr stoppen, in der Zukunft wird es viel um Klimaanpassung gehen und da sind wir zu langsam. Wir müssen insbesondere die Metropolen komplett umbauen, um ein anderes Mikroklima zu schaffen.
Ihr neuer Climate-Fiction-Roman „Taupunkt“ spielt in Ostdeutschland. Warum haben Sie sich für diesen Ort entschieden und welche Rolle spielten reale Ereignisse wie der Hitzesommer 2022?
Ich habe vor zwei Jahren dort im Sommer viel Zeit verbracht. Sachsen, Brandenburg – das werden in den nächsten Jahren die Hotspots des Klimawandels in Deutschland sein. Ich wollte aber nicht zu sehr in die Aktualität, weil man ja nicht weiß, wie schnell sich das in eine andere Richtung entwickelt. Allerdings erreichen wir in Frankreich und Spanien tatsächlich bald die 50-Grad-Marke. Da ist ein öffentliches Leben nicht mehr möglich.
Wann genau spielt der Roman „Taupunkt“?
Es geht um nächstes oder übernächstes Jahr, aber nicht nur um Konflikte mit Klimaleugnern, sondern auch um die Medien. Beim Springer-Konzern beispielsweise hat sich ja zuletzt Matthias Döpfner unfreiwillig geoutet, wonach der Axel-Springer-Verlag damit Geld verdient, Wissenschaftsfeindlichkeit zu schüren. Als man den Klimawandel nicht mehr leugnen konnte, haben sie geschrieben, es wird schon nicht zu schlimm. Als es schlimmer wurde, fing man an, die Klimaschutz-Methoden, die die Wissenschaft vorschlägt, zu diskreditieren. Das ist nicht nur schäbiger Journalismus, das ist buchstäblich brandgefährlich, da diese Stimmungsmache den rechten Rand in seinen Verschwörungsideologien stärkt.
Die Rolle der Presse schildern Sie durchweg kritisch. Ist die Lage so schlimm?
Es gibt auch tolle Entwicklungen in der Presse. Beispielsweise hat Focus-Online gerade eine eigene Klima-Redaktion gegründet. Und es gibt auch andere hochqualitative Presse. Aber es gibt eben auch die konservativen Lager rechts außen.
Wie hoch ist Ihr Vertrauen in den demokratischen Prozess? In „Taupunkt“, aber auch in ihrem vorletzten Klimaroman„Die Reinsten“zeigen Sie sich ziemlich skeptisch.
Ich habe keine Zweifel am demokratischen System, aber ich habe Zweifel daran, dass Kapitalismus und Demokratie auf Dauer noch zusammenpassen. Ich denke, man könnte das demokratische System effektiver gestalten, indem die Bürger mehr einbezogen werden. Wobei in Spanien jetzt durch den Klimawandel wirklich ernsthafte Konflikte bei der Wasserversorgung entstehen und auch erste gewalttätige Auseinandersetzungen. Wenn man das in einem größeren Maßstab denkt, kommt man zum Thema Humanismus.
Was meinen Sie damit?
In den nächsten Jahren werden wahrscheinlich hunderte Millionen Menschen fliehen. Ich befürchte, dass wir die nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten humanistischen Standards nicht mehr halten können. Bitte nicht falsch verstehen. Natürlich ist es wünschenswert, dass die Demokratie und Menschenrechte erhalten bleiben – und ich wünsche mir das.
Aber wenn wir so weitermachen, ist das gar nicht mehr realisierbar. Das muss man nur weiterdenken, wenn sich eine Milliarde Menschen auf den Weg machen. Wir müssen einen hohen Aufwand leisten, um den Menschen vor Ort bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen. Das alles hat sonst das Potenzial den rechten Rand weiter zu stärken und unsere Gesellschaften zu spalten.
Wie gehen Sie mit diesen düsteren Aussichten um?
Ich glaube, dass wir noch die Kurve kriegen. Aber klar ist es auch frustrierend. Die Öffentlich-Rechtlichen Medien zum Beispiel haben die Verpflichtung zu zeigen, was man machen könnte. Sie tun nicht wenig, aber eben nicht zur Primetime, weil es auch da um die Quote geht.
Sie hätten auch ein Sachbuch schreiben können – warum haben Sie sich für einen Roman entschieden?
Es gibt wahnsinnig viele gute Sachbuch-Autoren und -autorinnen. Da muss ich nicht unbedingt auch noch mitspielen. Ich erreiche damit außerdem nur eine Klientel, die sich damit nur bestätigt fühlt oder es ohnehin schon weiß. Ich wollte auch Menschen erreichen, die sich damit noch nie beschäftigt haben. Das kann funktionieren: Bei einem früheren Roman über die Finanzkrise, „Quantum Dawn“, habe ich sehr viel Feedback von Leuten bekommen, die sagten, jetzt verstehe ich endlich das Geldsystem und seine geopolitischen Hintergründe.
In Ihren beiden Klima-Romanen erwähnen Sie Neuseeland als Rückzugsort der Reichen. Sehen Sie das als reale Entwicklung?
In „Taupunkt“ trifft meine Figur auf Hedgefonds-Manager, was mir auch so widerfahren ist. Einem anderen Autor, Douglas Rushkoff, der das Buch „Team Human“ geschrieben hat, ist das auch passiert. Er wurde zu einem hoch honorierten Vortrag eingeladen – und dann saßen nur vier Leute da, die wissen wollten, ob sie besser in Neuseeland oder im All überleben können.
Wie haben Sie reagiert?
Ich musste lachen: Wie stellen die sich das vor? Selbst wenn ich 20 Jahre Bunker überleben könnte, wäre das ja kein Leben. Es ist eine komische Philosophie, anstatt das Geld für den Fortbestand einer lebenswerten Welt zu investieren, flüchten die einen in den Bunker und der andere will zum Mars fliegen.
Wieviel kann ein einzelner Mensch bewirken?
Ich bin kein großer Freund von Galionsfiguren, aber das hat die Menschheit immer gebraucht. Unabhängig davon, was wir von Greta Thunberg halten: Mir fällt niemand in den letzten 20, 30 Jahren ein, der bei diesem für unseren Fortbestand alles entscheidenden Thema so viel in Bewegung gebracht hat. Auf der anderen Seite ist es interessant, dass sich Bewegungen wie die „Letzte Generation“ nun zu radikalisieren beginnen.
Was halten Sie von der „Letzten Generation“?
Sie richten aus meiner Sicht mehr Schaden an, weil sie so viele Leute gegen sich aufbringen, deren Bewusstseinswandel wir eigentlich brauchen, also die arbeitende Mitte unserer Gesellschaft. Das kann nicht der Weg sein. Ich würde denen eine andere Strategie empfehlen: den Reichen klarzumachen, was nicht mehr geht und ihnen auf die Pelle zu rücken.
In Ihrem neuen Roman „Taupunkt“ müssen sich die Protagonisten lernen, sich einander zuzuwenden und eigene Fehler anzuerkennen. War diese „Lösung“ beim Schreiben von Anfang an geplant?
Mit einem Konstrukt läuft man Gefahr, dass die Geschichte vorhersehbar wird. Ich gehöre deswegen zu den Autoren, die sich trauen, keinen Plan zu haben. Zur Frage, wie die Handelnden zu einer Lösung kommen: In der differentiellen Psychologie geht es vor allem um eine Frage: Was hindert mich daran das zu tun, was ich als richtig erkannt habe? Es geht um Handlungsanbahnungen, Motivationen, intrinsische Motive.
Was war der Ansatz bei „Taupunkt“?
Ich hatte eine klare Vorstellung darüber, dass die Konfliktlinien innerhalb einer Familie verlaufen, weil ich so eine Familie mit ähnlicher Konstellation kenne: einen weltbekannten Klimaforscher mit einem Bruder als Querdenker.
Welche Herausforderungen gab es beim Schreiben?
Bei den „Reinsten“ war für mich der Dialog zwischen der Künstlichen Intelligenz und dem Menschen extrem schwierig: Wie kann ich ihn schreiben, wenn ich selbst keine KI bin? Ich habe das dadurch versucht zu lösen, indem ich mich von menschlichen Gefühlen immer weiter distanziert habe – denn es geht hier um pure Logik. Bei „Taupunkt“ war es am schwierigsten, die Story für ein 800-Seiten-Buch auf 300 Seiten unterzubringen. Das ist immer ein Risiko, da es auch um familiäre Konflikte geht, die beispielhaft für ganze Gesellschaftsschichten stehen. Vom Feedback her kann ich sagen, dass das doch funktioniert hat, weil sich viele in dem innerfamiliären Streit wiederfinden können.
In beiden Romanen ist Technik Problem und Problemlöserin. Im ersten ist es die KI, die alles umfasst und kolonisiert. Im zweiten geht es um den kurzsichtigen Fokus auf Geoengineering. Warum diese Zuspitzung auf Hightech?
Wir kommen ohne Technologie nicht mehr aus der Klimakrise heraus. Das Potenzial der CO2-Verpressung ist enorm, aber mit viel Aufwand verbunden – und ethisch extrem umstritten. Sie können in einem Land einen Vorteil erzeugen, in einem anderen aber womöglich einen Riesenschaden anrichten. Aber wir brauchen sowieso ein Konglomerat von Einzelmaßnahmen. Wir haben das Potenzial, das noch in den Griff zu bekommen. Es ist „nur“ gesellschaftlich-politischer Wille, der jetzt fehlt.
Haben Sie die Künstliche Intelligenz ChatGPT mal auf Ihre Romane losgelassen?
Ja. Meine Biografie war falsch, die Zusammenfassung von „Taupunkt“ war komplett falsch. Das war dann doch eine Nummer zu groß. Aber um auf den Punkt zu kommen: KI wird nie fühlen, riechen, tasten können – also in der Natur sein. Sie hat keine Empathie. Das ist die größte Gefahr.