Ampel-Verhandlungen: „Von einer Koalition des Aufbruchs hätte ich eine offenere Diskussion erwartet“

Der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt kritisiert den Verhandlungsstil der Ampel-Parteien und fordert, die Zivilgesellschaft viel stärker am ökologischen Umbau zu beteiligen

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
6 Minuten
Porträtfoto Olaf Bandt

Die Verhandlungen von SPD, Grünen und FDP über eine Regierungskoalition finden unter großer Geheimhaltung statt. Wie in anderen Politikfeldern haben auch die Arbeitsgruppen für die künftige Klima- und Naturschutzpolitik strikt hinter verschlossenen Türen verhandelt. Unter den Naturschutz- und Umweltverbänden wächst die Sorge über aus ihrer Sicht unzureichende Ergebnisse. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden des BUND, Olaf Bandt, über seine Kritik am Verhandlungsstil der Ampel-Parteien und die Rolle der Zivilgesellschaft für den ökologischen Umbau. 

Wie unterscheiden sich die Ampel-Koalitionsverhandlungen aus Ihrer Sicht von früheren Regierungsbildungen?  

Früher gab es auch während laufender Verhandlungen eine breite Debatte in der Gesellschaft und auch in den Medien – darüber, wie man die bevorstehenden Herausforderungen angeht und wie man unterschiedliche Positionen zusammenbringen kann. Von den Ampel-Verhandlungen geht aber bisher ein Signal der Geheimhaltung aus. Das finde ich schon etwas irritierend.

An dem Tag, an dem die SPD auf Druck der Grünen ein Treffen mit den Spitzen der Umweltverbände absagen musste, haben Sie einen erbosten Tweet abgesetzt. Darin werfen Sie den Ampel-Parteien vor, sich vor den Anliegen der Zivilgesellschaft abzuschotten…

Das war nicht nur meine Reaktion auf die aktuelle Absage gewesen. Vielmehr trifft es doch die generelle Situation dieser Koalitionsverhandlungen. Das Signal der Ampel-Verhandler lautet: Lasst uns mal machen, wir finden schon gute Lösungen. Wir können zwar Briefe schreiben und auf die Straße gehen, aber die direkte Rückkopplung ist unerwünscht. Das ist kein ermutigendes Signal für spätere politische Debatten.

Ich erinnere mich an Regierungsbildungen, wo zwischendurch auch mal berichtet und politisch diskutiert wurde.

Ist ihr Tweet nicht doch eher Ausdruck eines beleidigten Verbandsfunktionärs?

Nein, wirklich nicht. Der BUND steht mit 16 Landesverbänden und 2000 Gruppen für eine gesellschaftliche Debatte. Das Gleiche gilt für die anderen Verbände. Es geht schließlich um sehr weitreichende Fragen, die auch tiefgreifende Veränderungen für jede und jeden Einzelnen mit sich bringen werden. Denken Sie an die Frage der Klimapolitik oder den Erhalt der Biodiversität. Es geht darum, Gegner und Befürworter etwa einer Energiewende zu Wort kommen zu lassen und von der Politik einen partizipativen und moderierenden Politikstil einzufordern, der Menschen aktiv beteiligen muss – egal, in welcher Organisation und in welcher Stoßrichtung sie sich auch einbringen wollen. Darum geht es, nicht um Lobbypolitik.

Teilnehmer der Fahrrad-Demo radeln mit einem Banner mit der Aufschrift "Fahrradfahren statt Autobahn" über die Autobahn.
Konfliktthema Verkehrspolitik: Teilnehmer einer Fahrrad-Demo radeln Ende 2020 über die Autobahn A255, um den Protest gegen die A49 im Dannenröder Forst zu unterstützen.

Ist das Verhandeln hinter verschlossenen Türen nicht normal für Koalitionsverhandlungen? Sind Sie zu ungeduldig?

Das eine sind vertrauensvolle Koalitionsverhandlungen. Das braucht man, das bestreitet niemand auch in den Umweltverbänden. Ich erinnere mich aber schon an Regierungsbildungen, wo zwischendurch auch mal berichtet und politisch diskutiert wurde, wo Einschätzungen und Debatten stattfinden konnten. 

Man kann nicht die Klimakrise und den Kampf gegen das Artensterben gegeneinander ausspielen.

Welche Debatte vermissen Sie? 

Wir stehen vor zentralen gesellschaftlichen Entscheidungen: Wie bauen wir die Erneuerbaren Energien aus, ohne die Natur zu zerstören? Wie schaffen wir den Kohleausstieg bis 2030? Wie bauen wir die Landwirtschaft für mehr Artenvielfalt, Klimaschutz und Tierwohl um, aber auch mit fairen Erzeugerpreisen für Landwirte? Wie schaffen wir den Umbau der Mobilität? Das alles wird nur gelingen, wenn wir die Menschen auf diesem Weg mitnehmen. Dazu braucht es ein partizipatives Regieren und eben dieses partizipative Moment vermisse ich gerade sehr. Von einem Bündnis, das sich als Koalition des Fortschritts und des Aufbruchs versteht, hätte ich mir schon erwartet, dass dieser Aufbruch offener mit der Gesellschaft diskutiert wird.

Auch mit der bisherigen Regierungskoalition haben die Umweltverbände nicht nur die Besten Erfahrungen gemacht…

Auch darum geht es. Ich fürchte, dass sich aus der gegenwärtigen Abschottung ein Politikstil verfestigen könnte und wichtige Entscheidungen wieder zu oft nur am Kabinettstisch oder in der Ressortabstimmung getroffen werden, ohne die Menschen wirklich mitzunehmen. Aber die Aufgaben, vor denen wir stehen sind zu groß, um so weiterzumachen wie zum Beispiel beim Insektenschutzgesetz. Damals haben wir monatelang am Runden Tisch der beiden Ministerinnen Klöckner und Schulze gesessen und am Ende wurden dann im kleinsten Kreis zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium irgendwelche Lösungen oder Scheinlösungen ausgehandelt, die für den Insektenschutz absolute Minimalschritte waren. So eine Farce darf sich nicht wiederholen.

Viele Ankündigungen und Versprechungen aus dem Wahlkampf sind de facto wohl schon beerdigt.

Kann das nicht alles noch kommen nach der Regierungsbildung?

Natürlich wird es weitergehen, nachdem der Vertrag vorgelegt ist. Aber einiges ist auch bereits beschlossen, ohne dass es die aus meiner Sicht notwendige gesellschaftliche Diskussion gegeben hat. Nehmen wir das Tempolimit. Das haben die einen gefordert und die FDP hat sich durchgesetzt, dass es nicht kommt. Es ist aber sehr schade, dass eine solche weitreichende Debatte, die ja quer durch die Gesellschaft und quer durch die Parteien geht, innerhalb von zwei Wochen im kleinen Kreis abgeräumt wird. Gerade bei den emotional aufgeladenen Themen brauchen wir mehr und nicht weniger Dialog und Debatte. Da wäre meine Hoffnung, dass die Koalition das künftig ernst nimmt und nicht eine Politik im closed shop betreibt.

Gibt es nach Ihrer Einschätzung weitere solcher Vorfestlegungen wie beim Tempolimit, die schwer mit einer fortschrittlichen Umweltpolitik vereinbar sind, wie sie vor allem die Grünen vertreten wollen?

Bei vielen Veränderungsschritten braucht es Investitionen: Beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bei der Verkehrswende, beim Umbau der Landwirtschaft, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das ist einerseits bislang noch gar nicht in den finanziellen Details entschieden worden und gleichzeitig ist aber mit der kompletten Absage an neue Steuern oder an Steuererhöhungen ein Riegel vorgeschoben worden. Damit sind viele Ankündigungen und Versprechungen aus dem Wahlkampf de facto wohl schon beerdigt. 

Welches Aufbruchsignal in der Umweltpolitik durch die neue Regierung ist für Sie unverzichtbar?

Lange Reihen von jungen Maispflanzen in einer ansonsten leeren Landschaft.
Acht Milliarden Menschen müssen ernährt werden – doch die subventionierte industrielle Landwirtschaft von heute wird dazu nicht dauerhaft in der Lage sein, da sie Natur und Klima massiv belastet.

Wir müssen die Klimakrise und die Biodiversitätskrise zusammen angehen. Man kann nicht die Klimakrise und den Kampf gegen das Artensterben gegeneinander ausspielen…

Aber genau dahin scheint der Zug gerade auch gesellschaftlich zu fahren. Der Verband der Erneuerbaren Energien in Nordrhein-Westfalen hat in dieser Woche gegen den Nabu demonstriert, weil er auch mit Klagen den Artenschutz hochhält. Spaltet so etwas nicht das Bestreben, den Kampf gegen den Klimawandel und den Schutz der Natur gemeinsam zu denken?

Absolut. Ich habe überhaupt kein Verständnis für solche Demo-Aufrufe. Es geht doch darum, gerade den Ausbau der Erneuerbaren zusammen mit dem Naturschutz zu gestalten und da sind Nabu und BUND gemeinsam in Diskussionen mit den Verbänden der Erneuerbaren Energien und der Politik, wie das gehen kann. Und in dieser Situation mit solchen Demonstrationen zu kommen ist vollkommen widersinnig und trägt auch nicht dazu bei, Lösungen zu finden.

Was stimmt Sie hoffnungsvoll, dass die großen vor uns stehenden Veränderungen umwelt- und gesellschaftspolitisch erfolgreich gestaltet werden können?

Vor allem die Beispiele, die wir haben. Es gibt ja gute Vorlagen dafür, wie der Weg beschritten werden kann. Die Debatten, wie wir sie beim Kohleausstieg oder in der Zukunftskommission zur Landwirtschaft geführt haben, allesamt partizipative Politikprozesse, haben ja gezeigt, dass sie gute Lösungen zustande bringen können.

Kann das bei der Energiewende funktionieren?

Warum nicht? Ich würde mir von der neuen Regierung schon erhoffen, dass diese Koalition es fertig bringt, einerseits klar die politischen Weichen in die richtige Richtung zu stellen und zugleich Prozesse zu ermöglichen, bei denen die Menschen mitgenommen werden, um sich an den bevorstehenden sehr weitgehenden Transformation aktiv zu beteiligen. Das wäre der richtigere Ansatz als die Dinge nur am Kabinettstisch oder in der Ressortabstimmung auszuhandeln und dann der Gesellschaft mitzuteilen, was möglich ist.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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