Als wir lernten, in den Himmel zu schreiben

Das Menschenzeit-Projekt, Folge 2: Die Geburt einer großen Idee

10 Minuten
Aufnahme des Sonnenaufgangs aus großer Höhe. Ein heller Streifen schiebt sich über den ründlichen Horizont.

Was im letzten Beitrag geschah: Nach einer Kindheit im Zweiten Weltkrieg und Jahren als Bauingenieur in Skandinavien wendet Paul J. Crutzen sich der Atmosphärenforschung zu. Als einer der ersten erkennt er, dass synthetische Chemikalien die Schutzhülle der Erde angreifen können…

Die FCKW-Moleküle, die in immer größeren Mengen aus ausrangierten Kühlschränken und Industrieprozessen in den Himmel steigen, sind in den späten 1960er Jahren nicht die einzige noch unbekannte Gefahr für die Ozonschicht. Zur selben Zeit machen sich Flugzeugingenieure aus den USA, Frankreich, Großbritannien und der Sowjetunion daran, Flotten von Überschall-Passagierflugzeugen zu bauen, die Zivilisten und Soldaten so schnell wie nie zuvor an ihr Ziel bringen sollen.

Zusammen mit dem amerikanischen Chemiker Harold Johnston erkennt Crutzen als erster die Gefahr, die daraus für die Ozonschicht entsteht. Denn die Flugzeuge würden Stickoxide in gigantischen Mengen in großer Höhe freisetzen. Anfang der 1970er Jahre rechnet Crutzen akribisch aus, dass das zusätzliche Stickoxid, das mit den Abgasen von fünfhundert der hochfliegenden Flugzeuge in die Atmosphäre gelangen würde, ausreichen könnte, um „zumindest in bestimmten Gebieten einen ernsthaften Rückgang des Ozongehalts zu verursachen sowie Änderungen in seiner vertikalen Verteilung in der Atmosphäre" (1).

In ihren Plädoyers gegen die Flugzeug-Technologie wenden die beiden die kühle Logik des Wissenschaftlers gegen den modernistischen Traum, dass Menschen göttergleich jeden Ort der Erde binnen weniger Stunden erreichen können. Mit diesem Engagement von Paul Crutzen und seinen Kollegen kommt eine völlig neue, technologiekritische Botschaft in die Welt: Der Mensch ist durch seine moderne Lebensweise so mächtig geworden, dass er einem globalen Schutzsystem der Erde gefährlich werden kann. Die Natur so groß und die Menschheit so klein? Die Verhältnisse beginnen, sich umzukehren.

Die chemische Industrie leugnet Crutzens Erkenntnisse

Von Crutzens Warnungen inspiriert, beginnen andere Wissenschaftler nach weiteren Chemikalien zu suchen, die der Ozonschicht gefährlich werden können. Mario Molina und Sherwood Rowland werden bereits 1974 fündig: Sie ermitteln, dass ausgerechnet FCKW-Kühlgase, die in Haushalten allgegenwärtig sind, besonders effektiv Ozonmoleküle zerstören.

Als Crutzen von dieser bahnbrechenden Arbeit hört, steuert er sofort Modellberechnungen bei, die zeigen, dass die Hypothese der beiden US-Kollegen stimmt und dass in absehbarer Zeit 40 Prozent der globalen Ozonschicht verschwinden können, falls sich der FCKW-Konsum ungebremst fortsetzt: Die Wissenschaftler erkennen, dass die Folgen verheerend sein könnten: Hautkrebs und Mutationen im Erbgut könnten stark zunehmen, manche Landstriche vielleicht unbewohnbar werden. Crutzen beginnt, sich bei Politikern zu melden und ein FCKW-Verbot zu fordern.

„Eines Tages klopfte dieser kleine Mann an meine Bürotür in Mainz und verlangte, mit mir zu sprechen", erinnert sich der spätere Bundesumweltminister und UNEP-Chef Klaus Töpfer, der damals Staatssekretär im Umweltministerium von Rheinland-Pfalz war. Als Töpfer erfährt, dass er es mit einem bekannten Forscher zu tun hat, hört er zu – und beginnt, Crutzens Forderung in die Politik zu tragen.

Die Thesen der Atmosphärenforscher stoßen auf viel Widerspruch, vor allem aus der chemischen Industrie, die um ihre Profite aus der Produktion von FCKW und um den Absatz an Kunstdüngern fürchtet. Ihre Lobbyisten argumentieren, die Gefahren durch die Kühlgase seien nicht belegt. Es würde enorme wirtschaftliche Schäden verursachen, die Chemikalien zu verbieten, zumal es keine Alternativen gebe.

Bild aus der Antarktis. Ein Eisberg schwimmt im Wasser, im Hintergrund sieht man noch größere Berge aus Eis.
In der Antarktis entdeckten Wissenschaftler zuerst Anzeichen für das vom Menschen verursachte Ozonloch. Das Foto zeigt die Gegend in der Nähe der Wernadsky-Forschungsstation.
Schwarz/weiß Aufnahme des Nobelpreisträgers Paul Crutzen bei der Preisverleihungsfeier in Mainz 1995. Links neben ihm steht seine Ehefrau Terttu.
1995 erhielt Paul Crutzen für seine Verdienste um die Atmosphären- und Ozonforschung den Chemie-Nobelpreis. Im Bild zu sehen ist die Feier in Mainz. Links im Bild Crutzens Ehefrau Terttu.
Aufnahme des Sonnenaufgangs aus großer Höhe. Ein heller Streifen schiebt sich über den ründlichen Horizont.
Erstmals in der Geschichte der Menschheit hatten wir im 20. Jahrhundert einen direkten und weltweiten Einfluss auf die Atmosphäre und auf ihre Rolle für das Leben auf der Erde.
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