Buchtipps zu Weihnachten: Meine sieben Lieblings-Sachbücher aus dem Jahr 2023
Oft werden mir unaufgefordert Bücher zugeschickt. Außerdem bestelle ich Rezensionsexemplare und habe zudem noch viele Freunde und Bekannte, die Bücher schreiben. Zum Jahresende ziehe ich Bilanz: Welche der gelesenen Bücher sind besonders empfehlenswert?
Sie begeistern sich für Naturwissenschaften? Also mögen Sie auch gern Sachbücher mit naturwissenschaftlichen Inhalten. Aber woher wissen Sie, welche etwas taugen?
Auf der Suche nach guter Belletristik liebe ich es, in Ruhe in einer Buchhandlung zu stöbern. Aber beim naturwissenschaftlichen Sachbuch? Bloß nicht! Da ärgere ich mich nur. Die Regale mit Lebenshilfe-Ratgebern oder esoterischen und spirituellen Titeln sind meist dreimal so breit wie die Auswahl der in der hintersten Ecke schamhaft versteckten Werke zu Biologie, Physik, Umwelt, Klima, Mathe, Chemie, Biomedizin oder Astronomie.
Lauter kurze Geschichten
Und dann finden sich dort überwiegend verstaubte, mindestens zehn Jahre alte Klassiker, die in den meisten Heimbibliotheken ohnehin schon doppelt vorhanden sind: Stephen Hawkings „Kurze Geschichte der Zeit“ zum Beispiel oder Bill Brysons „Kurze Geschichte von fast allem“.
Ich spare mir jetzt nicht den Kalauer, dass heutige Buchverlage ihre Leserïnnenschaft offenbar für so zutiefst naturwissenschaftsverängstigt halten, dass sie ihr solche Inhalte nur noch in der kürzestmöglichen Form zumuten möchten. Motto: Hauptsache, schnell erledigt; Hauptsache, rasch abgehakt. Das kann ja keinen Spaß machen.
Aufklärung ist möglich
Leider hält sich auch das Feuilleton der großen Tageszeitungen weitgehend zurück, wenn es um Besprechungen naturwissenschaftlicher Sachbücher geht. Diese (Fehl-)Einschätzung so vieler Büchermenschen ist ein Jammer. Denn es erscheinen trotz der mangelnden Gegenliebe des Literaturbetriebs stetig fantastisch gut geschriebene Bücher, die komplexe wissenschaftliche oder philosophische Sachverhalte heiter, fundiert und verständlich auf den Punkt bringen.
Aufklärung ist also möglich. Sich aufklären lassen kann sogar ein Vergnügen sein! Wir müssen es nur wollen – und wir müssen von den richtigen Titeln erfahren. Um Ihnen die Suche ein wenig leichter zu machen, nutze ich die Gelegenheit, hier meine Lieblingsbücher des auslaufenden Jahres vorzustellen. Sie sind nicht alle streng naturwissenschaftlich, aber sie sind aufklärerisch. Die Auswahl ist subjektiv. Die Bewertung natürlich auch. Viele der Autorïnnen kenne ich persönlich, mit manchen bin ich auch befreundet. Aber ich denke schon, dass ich die professionelle Distanz wahren kann. Folgende sieben Titel können Sie getrost zu Weihnachten verschenken oder sich selbst unter den Baum legen. Sie werden damit Freude haben.
Dagmar Pauli: Die anderen Geschlechter
Demnächst stellen Vertreter von 26 medizinischen und psychotherapeutischen Fachgesellschaften die erste deutsche Leitlinie zur Behandlung von trans Kindern und Jugendlichen vor. Offiziell geht es um „Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik und Behandlung“. Jahrelange Arbeit und zahlreiche Diskussionen liegen hinter dem Gremium. Es hat den Stand des Wissens zum Thema aufgearbeitet und gibt nun Empfehlungen ab, wie die Medizin mit Kindern und Jugendlichen umgehen sollte, deren persönliche Identität nicht mit dem körperlichen Geschlecht übereinstimmt.
Vielleicht haben Sie bei RiffReporter mein ausführliches Interview mit dem Koordinator der Kommission, Georg Romer, zu Geschlechtsdysphorie bereits gelesen? Transgeschlechtliche Menschen haben es auch hierzulande nicht leicht. Sie werden diskriminiert, Hilfe kommt meist sehr spät. Leid wäre vermeidbar. Romer vergleicht die heutige Situation der trans Personen mit jener der Homosexuellen vor 30 Jahren. Die Gesellschaft werde noch lernen, die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten als natürliches, selbstverständliches Phänomen zu begreifen.
Genauso sieht es Dagmar Pauli, Romers Kollegin an der Universitätsklinik Zürich. Sie hilft Betroffenen in ihrer trans Sprechstunde seit 13 Jahren. „Meine Einstellungen zum Thema Geschlecht und trans haben sich in dieser Zeit gewandelt“, schreibt sie im empfehlenswerten Buch „Die anderen Geschlechter“. Ihr Credo: „Wir müssen zuhören, um zu begreifen.“
Das mit dem Zuhören hat sie uns jetzt besonders leicht gemacht. Die Lektüre ihres offenen, sehr fundierten und erstaunlich breit angelegten Buchs sei nicht nur jenen empfohlen, die selbst betroffen sind oder nicht-binäre und trans Personen kennen. Alle, die sich eine offene, tolerante, menschliche Gesellschaft wünschen, kommen um die Lektüre des Werks „Die anderen Geschlechter“ im Grunde nicht herum. Es verändert den Blick auf den Menschen an sich. Wir sind nicht entweder Frau oder Mann, wie es sich in unserer Kultur seit Langem festgeschrieben hat.
Wer dieses Buch gelesen hat, wird schwangere Frauen in Zukunft bestimmt nicht mehr als Erstes fragen: „Was wird es werden? Ein Junge oder ein Mädchen?“ Ganz nebenbei wappnet Dagmar Pauli uns mit vielen Argumenten gegen Ausgrenzung und Diskriminierung geschlechtsinkongruenter Menschen. Wir werden diese Argumente brauchen, denn schon heute nutzen rechtspopulistische Politikerïnnen eben diese Ausgrenzung als unredliche Methode, Wählerstimmen zu gewinnen.
Thomas Metzinger: Der Elefant und die Blinden
Thomas Metzinger schreibt über sich selbst: „Ich bin ein Philosoph des Geistes und der Kognitionswissenschaften, der interdisziplinär arbeitet und einen undogmatischen naturalistischen Ansatz verfolgt.“ Für mich ist Metzinger vor allem der Autor des Buchs „Der Ego Tunnel“. Das habe ich damals verschlungen, begeistert von der Idee einer „neuen Philosophie des Selbst“.
Ich möchte sogar behaupten, dass Metzinger mich ein Stück weit beeinflusst hat, das Leben als ein systemisches Ganzes zu betrachten und die Systembiologie zur zukünftigen Leitwissenschaft zu erklären. Kein Wunder, dass ich mich über die ersten Worte in Metzingers neuestem Buch gefreut habe: „Gewidmet den postbiotischen bewussten Systemen der Zukunft.“
Darin stellt sich der Philosoph und Neuroethiker einer gewaltigen Herausforderung: Er möchte „das Problem des Bewusstseins aus einem neuen Blickwinkel betrachten“. Dazu reduziert er die Bewusstseinserfahrung auf ihren Kern. Sein neues Projekt möchte das Gefühl des Bewusstseins vom Gefühl des Selbst trennen. Metzinger geht es um nicht weniger als einen Neuanfang der Bewusstseinsforschung. In minimal bewussten Erfahrungen sucht er das, was er mit dem sprichwörtlichen Elefanten im Raum vergleicht, den alle übersehen.
Also lauscht Metzinger Menschen, die meditieren oder besonders achtsam sind. Er fahndet in ihren Erlebnissen nach einer „Phänomenologie des ‚reinen Bewusstseins‘ oder des ‚reinen Gewahrseins‘“. Wenn ich es richtig verstehe – und ich gebe zu, dass ich mir nicht sicher bin –, dann sucht der Philosoph jenen grundlegenden Teil des Bewusstseins, der ohne das Erleben des Außen und das Erinnern des Ehemaligen auskommt. Es geht ihm darum, den Ego-Tunnel von dem zu befreien, was er „Meinigkeit“ nennt.
Zugegeben: Dieses Buch ist vor allem etwas für Bewusstseins-Spezialisten und (Hobby-)Philosophen, aber für die ist es ein Muss. Bisher habe ich nur auszugsweise darin gelesen, aber schon jetzt sollte ich warnen: Sie werden deutlich mehr Zeit mit Gedanken über das Buch verbringen als mit der Lektüre selbst.
Joachim Bauer: Realitätsverlust
Joachim Bauer macht sich Sorgen. Der Mediziner, Psychologe und Bestsellerautor, mit dem ich seit Langem befreundet bin, fürchtet, wir würden im Zeitalter der Digitalisierung stückweise den Zugang zur Realität verlieren. Tatsache ist: Wir leben zunehmend in simulierten Welten. KI nimmt uns immer mehr Aufgaben ab. Laut Bauer droht uns deshalb eine Art Rückfall in die Zeit vor der Aufklärung. Er spricht treffend von der „digitalen Mystik“, deren schlimmste Ausprägung der unmenschliche Wahn des Transhumanismus wäre.
Bauers Sorge scheint berechtigt. Denn: „Soziale Ausgrenzung oder Beschränkung der Freiheit oder Kreativität sind potente Auslöser von Aggression oder, falls Aggression nicht möglich ist, von Depression.“ Was das bedeutet, sehen wir bereits: Die Gesellschaft wandelt sich, psychische Krankheiten werden häufiger. Insofern ist der intelligente, kenntnisreiche Blick des erfahrenen Psychotherapeuten und Menschenfreunds sehr lesenswert.
„Man hilft gesunden Menschen so lange beim Gehen, bis sie nicht mehr selbst gehen können“, kritisiert Joachim. Das gefährde längst schon unser aller Wohlbefinden: „Tatsächlich zählt analog erlebte soziale Verbundenheit zu den wichtigsten die Gesundheit schützenden, die Lebenszufriedenheit erhöhenden und die Langlebigkeit begünstigenden Faktoren.“
Aber Bauer wäre nicht Bauer, bliebe er nicht optimistisch und zeigte er nicht genau, an welchen Stellen eine Gesellschaft ihre Resilienz gegenüber den Herausforderungen der modernen Informations-, Medien- und Kommunikationstechnik stärken könnte: „Die Bewahrung der Humanität beginnt im Kindesalter“, schreibt er. Zugewandte andere Menschen sind zwingend für eine gesunde Entwicklung. Später ist es dann erfüllende, menschliche Arbeit. Und als Drittes sollten wir stets bemüht bleiben, eine stabile Beziehung zu einer möglichst gesunden Natur zu bewahren.
Zugegeben: Nicht alle neuen Entwicklungen empfinde ich als ähnlich bedrohlich wie Bauer. Manches empfinde ich als Chance, wir müssen nur lernen, damit richtig umzugehen. Und genau dabei helfen seine Warnungen und Lösungsvorschläge.
Bauer kann messerscharf kombinieren und sehr verständlich schreiben. Ob der Mensch, wie er vermutet, eine evolutionäre Bestimmung hat? Wer weiß. Es ist aber meines Erachtens auch egal – so lange wir nicht dem transhumanistischen Gerede von der Erlösung in einer simplifizierten Hightech-Welt auf den Leim gehen. Diese Szenarien als bloße antiaufklärerische Ersatzreligion zu entlarven ist eine der Stärken des Buchs.
Entscheidend ist, dass der Mensch ein evolutionäres Recht auf ein erfülltes Leben hat und dass ihm das nur inmitten einer realen Welt mit realen Beziehungen und der nötigen Rücksicht auf das viele andere Leben auf der Erde gelingen kann.
Angelika Huber-Janisch & Jana Walczyk: Die Werkzeugkiste der Tiere
Wussten Sie, dass Seeotter Salzwasser trinken können? Für uns Menschen ist das in großen Mengen tödlich. Die putzigen Wassermarder haben aber eine Art eingebaute Entsalzungsanlage. Ihre Nieren arbeiten so effektiv, dass sie im Meerwasser gelöste Salze herausfiltern.
Dank ihrer Supernieren können die Otter Seeigel oder Seesterne jagen. Sie nutzen auch Steine, um Muscheln zu knacken. Und das, ohne zwischendurch zum Trinken an Land gehen zu müssen. Ich bin Biologe, aber das war mir neu. Gelesen habe ich es in dem neuen Kinderbuch „Die Werkzeugkiste der Tiere“ der Biologin Angelika Huber-Janisch und der Illustratorin Jana Walczyk.
Das ansprechend und kindgerecht illustrierte Werk ist voller Aha-Erlebnisse: Schimpansen haben Heilkräuter, Krähen knacken Nüsse mithilfe von Autos, Eisbären werfen Eisbrocken in Auftauchlöcher von Robben, um die Tiere anzulocken. All das und noch viel mehr erfahren Sie, wenn Sie Ihren Kindern vorlesen – oder vor dem Verschenken selber schmökern. Im Gespräch mit der Kollegin Christiane Enkeler habe ich das Buch ausführlich besprochen. Wir sind uns einig: „klare Empfehlung.“
Ulrich Bahnsen: Das Uhrwerk des Lebens
Die Alternsforschung gibt es vermutlich schon so lange, wie es alternde Menschen gibt. Die meisten unserer Vorfahren dürften sich gefragt haben, was sie mit den Jahren gebrechlich werden und sterben lässt. Sogar die Vorstellung, das Leben habe eine Art „Uhrwerk“, das uns Tag für Tag ein Stückchen weiter auszählt, bis wir greis sind, ist nicht neu.
Was aber ziemlich neu ist, was die Wissenschaft vom Altern derzeit komplett umkrempelt, ist der Umstand, dass Forschende seit einigen Jahren beginnen, das Ziffernblatt der Lebensuhr zu lesen. Sie entdecken und verstellen „Das Uhrwerk des Lebens“. So lautet der Titel des neuen Buchs von Ulrich Bahnsen. Der Wissenschaftsredakteur der ZEIT schildert spannend, unterhaltsam und mit unerhörter Souveränität von der unglaublichen Reise der Alternsforschung. Bahnsen hat acht Jahre lang recherchiert. Mit vielen Protagonisten hat er persönlich gesprochen. Er ließ sich Zeit mit diesem Buch. Zum Glück. Denn nur mit solcher Ruhe kann es gelingen, einem derart „heißen“ Thema gerecht zu werden. Gerade weil sich das Forschungsgebiet, von dem es handelt, derzeit so sehr beschleunigt, dass einem schwindlig werden kann, hilft dieses Buch.
Bahnsen gelingt das Kunststück, auch komplexeste Sachverhalte verständlich aufzubereiten und sorgfältig einzuordnen. Trotz der vielen wichtigen Details verliert der Autor nicht den Überblick und bleibt stets gerade so sachlich, dass wir ihm gern weiter folgen. Es ist wohl wirklich wahr: Die Wissenschaft lernt, die Uhr des Alterns gezielt zu manipulieren. Der Anti-Aging-Traum von dauerhafter Gesundheit und anhaltender Jugend muss kein Traum bleiben – theoretisch zumindest.
Ich berichte schon seit Jahren über bahnbrechende Studien, die die molekularen Grundlagen des Alterns verstehbar machen. Allen voran die Entwicklung der epigenetischen Alterungsuhr durch Steve Horvath, auch Horvath'sche Uhr genannt, oder die Experimente zur Reprogrammierung gealterter Zellen oder ganzer Mäuse von David Sinclair oder Juan Carlos Izpisua Belmonte.
Die Wissenschaft vom Altern stochert längst nicht mehr im Nebel. Sie ist zur molekularbiologisch Gero-Science geworden. Das Altern wird zum beherrschbaren Phänomen. Und im Zentrum der Entwicklung steht die Wissenschaft von der nebengenetischen Aktivierbarkeit der Gene, Epigenetik genannt. Der Einfluss von Lebensstilfaktoren, Umwelteinflüssen und Medikamenten wird messbar. Mithilfe molekularbiologischer Techniken lässt sich die Alternsuhr gezielt verstellen.
Die Wissenschaft hat die Mechanismen des Alterns entdeckt und beginnt, sie im Kampf gegen Krankheit und Gebrechen zu manipulieren. Forschende verjüngen menschliche Zellen oder vollständige Versuchstiere teils um Jahre. Dabei wird das Leben epigenetisch reprogrammiert. Die Umgebung der Gene wird also derart manipuliert, dass die Zellen ins Genregulationsprogramm der Jugend zurückkehren.
Es wird nicht mehr lange dauern, da messen wir unser Alter nicht mehr kalendarisch, sondern nur noch biologisch. Dann sind wir immer gerade so alt, wie es unsere Biologie zu diesem Zeitpunkt ist. Eine durchwachte Nacht wird uns rapide altern, ein erholsamer Schlaf deutlich jünger werden lassen. Wir können morgen jünger sein als heute.
Der Deutsch-Amerikaner Steve Horvath, den Bahnsen immer wieder zitiert und dessen epigenetische Uhr die Revolution in der Alternsforschung erst möglich gemacht hat, wird dann längst Nobelpreisträger sein. Nur Unsterblichkeit wird ihm verwehrt bleiben, so wie allen anderen Menschen auch. Das menschliche Leben wird länger werden, da ist sich Ulrich Bahnsen sicher, aber „sterben müssen wir schließlich doch“.
Christian Weymayr: Vergesst Fleisch!
Immer mehr Menschen verzichten zumindest zeitweilig auf Fleisch. Sie sind Veganer, Vegetarier oder Flexitarier. Grund dafür ist meistens nicht, dass das Fleisch nicht schmecken würde. Den Appetit verderben quälerische Massentierhaltung und drohende Klimakatastrophe. An beidem ist regelmäßiger Fleischkonsum maßgeblich beteiligt.
„Alternatives Fleisch ist alternativlos“, schreibt Christian Weymayr in seinem glasklar auf den Punkt verfassten Büchlein „Vergesst Fleisch!“. Es geht nicht um Biofleisch, sondern um Fleischersatz. Der erlebt seit Jahren einen großen Aufschwung, und das aus gutem Grund: „Weil Fleisch aus Pflanzen gut ist für die Tiere, gut für die Umwelt und gut für die Menschen.“
Das Buch ist an einem Abend ausgelesen. Es konzentriert sich auf die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte, die das Phänomen Fleischersatz bereits hinter und dank weiterer Entwicklungen wie dem Laborfleisch vermutlich auch noch vor sich hat. Als roter Faden dient die Geschichte von Godo Röben, der als Geschäftsführer Forschung & Entwicklung seit 2013 viele Produkte der Wurstfirma Rügenwalder Mühle auf „fleischlos“ umstellen konnte. Dieser Kniff macht aus dem eher trockenen, zahlenlastigen Thema einen spannenden Lesestoff.
„Bald wird für die Ernährung der Menschheit kein Tier mehr sterben müssen.“ Davon ist Weymayr überzeugt. Und was noch besser ist: Es gelingt ihm, auch uns Lesende davon zu überzeugen.
(Christian Weymayr ist Mitglied der RiffReporter.)
Martin Rücker: Ihr macht uns krank
Um Ernährung geht es auch in Martin Rückers Buch „Ihr macht uns krank“. Der Autor nähert sich dem Thema aber von einer völlig anderen Seite: Es geht um Missstände und Fehlentwicklungen eines zunehmend aus dem Ruder laufenden und nur am Gewinn orientierten Industriezweigs, die letztlich unser Wohlergehen bedrohen. Der Untertitel bringt es auf den Punkt: „Die fatalen Folgen deutscher Ernährungspolitik und die Macht der Lebensmittellobby.“ Das ist ein sehr wichtiges Thema. Und es ist in diesem bestens informierten und hintergründig aufbereiteten Werk gut aufgehoben.
Das Buch stammt zwar aus dem Jahr 2022, nur leider hat es bisher wenig bewirkt, sodass es heute aktueller ist denn je. Erinnern könnte ich hier an meinen Newsletter aus dem Frühjahr, als ich mich über den Widerstand gegen die sehr gute Idee des Landwirtschaftsministers Cem Özdemir aufregte, „an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit zu viel Zucker, Salz oder Fett künftig nicht mehr zu erlauben“.
Rücker kennt sich mit der Materie aus. Er ist investigativer Journalist und zeichnete als Presse-Chef bei foodwatch für einige spektakuläre Kampagnen verantwortlich, die der Lebensmittelindustrie sicher nicht gefallen haben. „Ernährungspolitik muss sich von ihren Lobbyfesseln“ befreien, fordert der Autor. Das heißt aber auch, dass diejenigen, die Politikerïnnen wählen, sich informieren sollten. Und genau das gelingt mit diesem gut geschriebenen, sorgfältig recherchierten und streckenweise atemberaubenden Buch.
(Martin Rücker ist Mitglied der RiffReporter.)