Heinrich Theodor RELOADED
Arbeitsnomade und „Sich-neu-Erfinder“
Fontane macht Mut. Theodors Imperative zum Abschluss des Fontane-Jahrs:
Folge Deiner Berufung! Sei emsig im Networking! Scheue nicht davor zurück, Dich immer wieder „neu zu erfinden“!
Vielseitig, beharrlich, unerschrocken. Diese Eigenschaften faszinieren mich an Fontane mehr als seine Romane. Als Apothekersohn tritt Fontane zunächst in die Fußstapfen des Vaters, hängt aber im Alter von 29 Jahren den Pharmazeuten-Kittel an den Nagel. Seiner Berufung als Autor und Lektor, der er seit zehn Jahren im Nebenerwerb frönt, folgt er von nun an mit steigendem Einsatz. Fontane erkennt aber schnell, dass es zumindest eines finanziellen Standbeins bedarf und lässt sich vom preußischen Innenministerium anwerben.
Fontane arbeitet mit 31 Jahren in Berlin parallel als preußischer Pressereferent und Gesandter sowie als freier Autor. Fast eine Dekade lang bildet London seinen Arbeitsmittelpunkt – zuerst in Intervallen, nach Übersiedelung ins Vereinigte Königreich gänzlich. Gegen Ende seiner England-Aufenthalte, mit 38 Jahren, kommt Fontane die Idee zu groß angelegten Reisereportagen. Seine berühmten „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ beginnt er ein Jahr später, 1859, also mit knapp 40 Jahren.
Dass er derweil sein finanzielles Auskommen und die Existenz der Familie durch journalistische Brotarbeit zu sichern hat, nimmt Fontane in Kauf. Allein ist er damit in der Intellektuellenriege seiner Generation keineswegs; Theodor Storm oder Gottfried Keller scheuten Aufträge als Schreiberlinge ebenso wenig wie zum Beispiel ein Walter Benjamin oder, viel später, eine Charlotte Roche.
Fontane war mehrfach als Kriegsreporter unterwegs und sogar als vermeintlicher Spion eingekerkert und deportiert (s. Tipp in nachfolgender Bildgalerie). 1876 lässt sich Fontane in Berlin verbeamten, als Erster Sekretär der Akademie der Künste (Aufnahme unten). Obwohl die Stelle gut dotiert ist, bittet er im gleichen Jahr um Entlassung. Fontane beharrt darauf, dass das freie Schreiben seine Berufung ist. Im Jahr 1876 entscheidet sich Fontane für die „irreversible Freiheit des Berufsschriftstellers“, wie es die Literaturwissenschaftlerin Edda Ziegler interpretiert.
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Fontanes Blick – Blick auf Fontane
A) Auf den „Wanderungen“: Fontane folgt als Reiseschriftsteller der Devise „Man sieht nur, was man weiß". Er schreibt in der Vorrede zu den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg", er habe die märkische Landes- und Kulturhistorie gesammelt „nicht wie einer, der mit der Sichel zur Ernte geht, sondern wie ein Spaziergänger, der einzelne Ähren aus dem reichen Felde zieht". [3]
„Wanderung“ legt Fontane übrigens recht großzügig aus: Offenbar nutzte er häufig den Pferdeomnibus und war auch mit den Vehikeln sogenannter Hauderer unterwegs – privat gemieteten, kostspieligen Pferdefuhrwerken.
B) Beharrlich seiner Berufung folgend: Fontane bricht mit biografisch-beruflich Vorgezeichnetem, um trotz großer gesellschaftlicher und medialer Veränderungen seinen Leidenschaften Raum zu geben und beharrlich an deren Verwirklichung zu arbeiten. Ähnliche biografische Marker bilden später vielfach Angelpunkte seiner Romane: „Der Konflikt zwischen normativer Anpassung und individuellem Glücksanspruch, dessen Verwirklichung einen radikalen Bruch verlangt, wird zu einem zentralen Thema.“ [4]
C) Urdeutscher – oder doch nicht? Keineswegs! Häufig übersehen wird, dass Fontane Preuße mit Migrationshintergrund ist: Der Vater war hugenottischer Flüchtling. Nach jüngeren Erkenntnissen besitzt die Mutter ebenso französische Wurzeln. [5]
Martin C Roos
A) Ausgangspunkt
„Kinder, so schlimm wie Ihr es macht, ist es nicht.“ Dieser Satz findet sich in einem Brief Fontanes an seine Frau. Mit „so schlimm ist es nicht“ charakterisiert er die Recherche-Hypothese, mit der im Gepäck sich Fontane aufmachte zu seinen berühmten „Wanderungen“, die nach vielen Jahren in fünf Wälzern über Brandenburg mündeten (Auszüge in [2]). Indem er über Brandenburg viel Positives schrieb sowie einige Faszination zeigte für Schlösser und Adelsgeschichten, geriet er in den Verdacht, sich sozusagen einschleimen oder gar dem Geld hinterherschreiben zu wollen. Im Brief an seine Frau dementiert Fontane diese Intention: Ihm sei es allein darum gegangen aufzuzeigen, dass in Brandenburg Land, Ortschaften und Leben nicht so vermaledeit, die Zustände nicht so prekär seien, wie damals vielfach angenommen. „Die ‚Wanderungen‘ sind (…) keine ‚Heimatliteratur‘ im Sinne von ‚Heimattümelei‘“, urteilt Edda Ziegler in einem Standardwerk über Fontane [4].
B) Quellen
- Briefe an seine Familie, erster Band (Theodor Fontane); Nachdruck des Originals von 1906. Verone, Nikosia 2017
- Wanderungen durch die Mark Brandenburg (Theodor Fontane) – eine Auswahl in zwei Bänden. Aufbau, Berlin und Weimar 1987
- wie Fontane sein Wissen verarbeitet und ausspielt, legt Walter Benjamin Anfang der 1930er Jahre auf einzigartige Weise in einer seiner „Rundfunkgeschichten für Kinder“ dar http://gutenberg.spiegel.de/buch/rundfunkarbeiten-6648/12
- Theodor Fontane – Lebensraum und Phantasiewelt (Edda Ziegler unter Mitarbeit von Gotthard Erler); Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Lizenzausgabe Aufbau Verlag, Berlin 1996
- https://fontane-gesellschaft.de/2012/08/06/manfred-horlitz-neue-erkundungen-zu-theodor-fontanes-vorfahren-muetterlicherseits/
- https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article187415356/Zum-200-Geburtstag-Fontane-ist-der-Autor-fuer-die-Gegenwart.html
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