Verkehrspolitik: Redet miteinander!
In der Diskussion um neue Mobilitätskonzepte muss alles Bestehende hinterfragt werden dürfen – sonst wird die Chance auf intelligente Lösungen im Keim erstickt
Busy Streets – Auf neuen Wegen in die Stadt der Zukunft
„Ich geb Gas, ich will Spaß“, war Anfang der 80er ein Sommerhit in Deutschland. Dieser Refrain ist noch heute das Mantra vieler Autofahrer, Autobauer und Politiker. Wer die Rechte von Autofahrern beschneiden will, bekommt schnell das Image einer Spaßbremse oder gilt als verbissen. Dass nun auch noch Verkehrsminister Andreas Scheuer gegen die Vorschläge seiner eigenen Regierungskommission zur Senkung der CO2-Emission auskeilt, ist kontraproduktiv. Denn die Debatte über Alternativen zum aktuellen Mobilitätsmix hat gerade erst begonnen und braucht mutige Querdenker und Raum für die Entwicklung zukunftsweisender Ideen.
Der Klimaschutz ist ein Bestandteil des Koalitionsvertrags. Damit ist Verkehrsminister Scheuer in der Bringschuld. Im März muss er der Bundesumweltministerin Svenja Schulze Vorschläge vorlegen, wie die CO2-Emissionen im Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 um 40 bis 42 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden sollen. Das ist eine Mammutaufgabe. Denn seit 1990 sind die Emissionswerte im Verkehrssektor fast konstant geblieben.
Die Deutschen sind bereit für eine neue Verkehrspolitik
Deshalb hat Scheuer im September eine Regierungskommission ins Leben gerufen, die Vorschläge erarbeiten soll, wie der Verkehr klimafreundlicher werden kann. Mit dabei sind Experten aus der IG Metall, dem ADAC, der Autoindustrie, der Bahn und den Umweltverbänden. Als nun einige ihrer Ideen durchsickerten, war der Aufschrei groß. Dabei sind die bisher bekannt gewordenen Vorschläge wie ein Tempolimit auf Autobahnen und höhere Spritsteuern nicht einmal besonders revolutionär, sondern tauchen immer wieder in Diskussionen auf. Scheuer selbst sagte der Bild-Zeitung: Einige Lobbyisten wollten ihre „immer wieder aufgewärmte Agenda“ durchdrücken.
Also viel Lärm um nichts? Mitnichten. Angesichts der schlechten Luft und des Verkehrschaos in den Städten sind deutlich innovativere Maßnahmen notwendig als die bislang durchsickerten Vorschläge. Das Stimmung in der Bevölkerung dafür ist günstig. Zwei von drei Deutschen halten laut Umfragen den Klimawandel für ein wichtiges Problem. 80 Prozent der Deutschen würden zudem gerne öfter das Auto stehen lassen. Das sind Steilvorlagen für den Minister, um neue Szenarien nachhaltiger Mobilität zu entwerfen und im Alltag auszuprobieren.
Der Wechsel auf Busse, S- und U-Bahnen oder Regionalzüge ist in der heutigen Situation jedoch für Autofahrer keine ernsthafte Alternative, sondern eher ein Rückschritt. In Hamburg beispielsweise sind die Pendler inzwischen froh, wenn ihre Busse und S-Bahnen zu den Stoßzeiten pünktlich oder überhaupt kommen. Sind sie endlich da, sind sie überfüllt.
Neuverteilung des öffentlichen Raums
Berlin und Hamburg wollen nun mit viel Geld und Personal die Radwege ausbauen, um Radfahren attraktiv zu machen und Menschen zum Umsteigen zu bewegen. Aber das allein reicht nicht aus. Mehr Radverkehr kann nur eine von vielen Maßnahmen sein, um das Platzproblem in den Städten zu lösen und die Luftqualität zu verbessern. Wer die Verkehrswende ernsthaft will, muss den Platz in der Stadt neu verteilen und den Verkehr neu regeln.
Bevor das passiert, muss eine Debatte über den Verkehr der Zukunft geführt werden. Wie nachhaltig muss er sein? Wie groß ist die Menge der Emissionen, die Busse, Bahnen und Autos überhaupt noch gemeinsam in den Zentren produzieren dürfen, damit die EU-Grenzwerte eingehalten werden? Und welche Anteile von Privatautos, ÖPNV und sonstige Verkehre braucht die Bevölkerung, um zu mobil sein? Entsprechend dieser Werte könnte der Mobilitätsmix für die jeweilige Stadt festgelegt werden und die Fläche zwischen Autos, Fußgängern, Radfahrern, Bussen, U- und S-Bahnen in den und auf den Zubringerstraßen neu verteilt werden.
Die spanische Stadt Vitoria Gasteiz hat das 2008 mit ihrem neuen Mobilitätsplan gemacht. Städte wie Gent, Groningen oder Barcelona sperren den Durchgangsverkehr gezielt aus bestimmten Quartieren aus. Damit verringern sie Lärm, Emissionen und die Platzverschwendung durch parkende Autos für die Anwohner.
Verkehrssteuerung wird auch in Deutschland seit Jahrzehnten praktiziert. Allerdings hat die Bundesregierung dabei stets die enge Bindung der Bürger an ihre Autos gefördert. Auf den großzügigen Bau von Straßen und Pkw-Parkplätzen am Start- und Zielort folgten zusätzliche finanzielle Anreize. Wer seinen Wagen berufsbedingt nutzte, konnte ab 1957 bereits 70 Pfennig pro Kilometer absetzen, bei einem Benzinpreis von 50 bis 60 Pfennig.
Freie Fahrt ist längst vorbei
Mit dieser Politik wurde die autogerechte Stadt zum bundesweiten Standard. Freie Fahrt war das Credo der Bundesregierung. Auf diese Freiheit pochen noch heute die Autofahrer. Aber während die Menschen vor 60 Jahren im VW Käfer das Mittelmeer, Italien und Spanien entdeckten, stecken die Pendler heute mit ihren SUVs im Stau. Bundesweit staut sich der Verkehr inzwischen 2000 mal jeden Tag. Das ergaben Berechnungen des ADAC für 2018. Mit freier Fahrt hat das nichts zu tun.
In einigen Städten ist das Auto einer der Hauptverantwortlichen für eine Schadstoffkonzentration in der Luft, die krank macht. Kritische Fragen und Vorschläge zur Verkehrswende dürfen nicht länger wie Ketzerei behandelt werden. Das Verkehrsministerium muss seine Hausaufgaben erledigen und die bundesweiten Emissionen reduzieren. Dabei helfen Querdenker, die unterschiedliche Standpunkte einnehmen und auch unpopuläre Ideen äußern. Scheuers Regierungskommission ist ein erster Schritt in diese Richtung. Aber sie braucht einen Chef, der ihre Vorschläge und seine Aufgabe gleichermaßen ernst nimmt. Es ist Aufgabe der Politik, einen Maßnahmen-Mix festzulegen, der die Emissionen drastisch senkt und moderne Mobilität sicherstellt.
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