Verkauft wird das Prinzip Hoffnung
Optimismus ist im Wissenschaftsjournalismus beliebt – aber oft nur die halbe Wahrheit.
Haben Sie auch Bekannte, Freunde, die keine Nachrichten schauen, hören und lesen, die sich nicht in einem einzigen Medium informieren? Ich habe eine gute Handvoll. Sie sagen, es sei alles so schrecklich. Da schalten sie lieber ab. Sie wollen sich nicht so elend fühlen. Es ist derselbe Reflex, weshalb Menschen nicht in ärmere Länder reisen, obwohl die Armut davon natürlich nicht weggeht. Ihre Seele ruft: „Berühr mich nicht unangenehm! Das ist mir unangenehm!“ Und sie fragen erstaunt: „Silvester in Berlin – was soll da gewesen sein?“
Nun, jeder lebt nach seiner Fasson. Ich sage nicht viel dazu, nur manchmal erwähne ich, dass ich als Journalistin in den Ressorts Wissenschaft und Gesellschaft seit Langem das Gegenteil erlebe: Verkauft wird vor allem das Prinzip Hoffnung.
Positive und zuversichtlich stimmende Themen nehmen die Redaktionen wie geschnitten Brot. Beiträge, die sich mit schweren Themen von Tod bis zu Wirtschaftskriminalität befassen, Missstände entlarven oder Kritik üben, sind viel mühsamer anzudienen. Mit Inflation und dem Beginn des Kriegs in der Ukraine hat sich diese Vorliebe fürs Optimistische noch verstärkt.
Das ist auch kein Geheimnis: „Wir möchten jetzt nicht so viel schweren Stoff bringen“, sagte der Redakteur eines Magazins. „Wir suchen immer dringend nach leichteren Stücken“, schrieb die Redakteurin einer Tageszeitung. Und der ehemalige Chefredakteur eines populärwissenschaftlichen Technologiemagazins stützte sich auf viele Jahre Erfahrung, als er bei einem Autorïnnentreffen Ideen zu kritischen Beiträgen mit den Worten quittierte: „Artikel müssten Hoffnung vermitteln, um viel gelesen zu werden.“ Erfindungen, die die Energiekrise lösen, Innovationen, die der Überalterung ein Schnippchen schlagen, so etwas eben. Ganze Magazine und Rubriken fußen auf dem Verkaufsknüller „Hoffnung“. Das Magazin „enorm“ ist nur eins davon.
Der Hang zum Optimismus ist rentabel
Die Vorliebe für optimistische Berichterstattung geht so weit, dass Absätze in Artikeln, die Kritik zum Ausdruck bringen, beim Redigieren manchmal gestaucht, und das Neutrale positiver herausgestellt wird, als es einem selbst in den Sinn kam. Die Differenziertheit aus Texten wird hin und wieder redaktionell herausgebügelt, damit sie mehr gute Laune verbreiten. Die Kritik schrumpft zum Symbolabsatz im letzten Drittel des Textes. Dass das dem kritischen Verstand widerspricht? Nun so rauben wir wenigstens Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die Hoffnung und damit die Leselust nicht.
Auch wenn so viel Optimismus, nüchtern betrachtet, manchmal nicht angebracht ist, entstehen dann Texte, die tatsächlich durchaus gern gelesen werden. Sie folgen dem Modell beschwingter Küchenzuruf: Wasserrecycling ist die Lösung der Trinkwasserknappheit, Psychedelika lindern Depressionen, Leihmutterschaften in der Ukraine – ach ja, dass massenhaft und heimlich abgetrieben wird, steht auf Seite sowieso.
Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Die Redaktionen bestehen aus vielen erfahrenen Kolleginnen und Kollegen. Sie haben ganz sicher ein bewährteres und viel größeres Gespür für die angesagten Themen als eine einzelne Autorin im Norden Berlins. Sie entscheiden ganz bewusst, ziemlich treffsicher und ökonomisch berechtigt.
Schwerer Stoff verkauft sich schwer
Und trotzdem befällt mich manchmal die Frage. Werden Sie, liebe Leserinnen und Leser, eigentlich wirklich so gern auf den Arm genommen? Es fällt mir schwer, das nachzuvollziehen: Wenn Sie schwermütig sind, warum machen Sie dann keinen Waldspaziergang oder springen Trampolin mit Ihren Kindern statt einen hoffnungsgeladenen Artikel zu lesen, der es mit der Wirklichkeit hält wie die berüchtigte rosarote Brille der Verliebten.
Und manchmal geschieht sogar etwas, dass mich aufbegehren lässt gegen das Prinzip Hoffnung. So ein Tag trat ein, als eine Freundin verzweifelt erzählte, dass ihre Schwiegermutter eine Demenz entwickle und auf einmal äußerst aggressiv werde. Sie wusste weder ein noch aus. Hilfreiches zu lesen, fand sie nicht.
Vielleicht ein halbes Jahr vorher hatte mir eine andere Freundin von ihrer Mutter erzählt, die dement geworden war und so aggressiv, dass die ganze Familie immens darunter litt. Ich hatte das für einen Bericht in einer Tageszeitung aufgeschrieben. Doch ihre Geschichte, die die Klammer des Textes gebildet hätte, wurde gestrichen und der Bericht auf Techniken, die das Leben mit Demenz erleichtern, reduziert – IT-Spiele für Demenzkranke, solche Dinge. Begründung: Diese Geschichte der demenzkranken Frau sei „der angeschmierte Normalfall“. Tja, und den, liebe Leserinnen und liebe Leser, mögen Sie eben nicht. Nur, wenn wir selbst betroffen sind, wundern wir uns darüber, warum wir noch nie etwas von diesem Normalfall gehört haben und denken, wir hätten besonders großes Pech.
Zwei weiteren Zeitschriften bot ich den ausführlichen Bericht jener Freundin, die am Schicksal ihrer demenzkranken Mama verzweifelte, an. Zu schwermütig, befand die eine. Vielleicht, vielleicht, reagierte die andere, um nach einem halben Jahr das „Vielleicht“ zu wiederholen. Andere Themen nahm sie gern sofort.
Der Mann bricht mehrmals zusammen
Deshalb für alle unerschrockenen Leserinnen und Leser nun hier die Geschichte der Isabelle Seeger:
Sekunden, nachdem Isabelle Seeger* (Name geändert) die Plätzchenformen in den ausgerollten Teig gedrückt hat, ist ihr schon wieder entfallen, was sie nun mit den Teigherzen und -sternen tun soll. Sie rollt sie wieder zu kleinen Kugeln. Nur, wenn ihre Tochter Barbara sie behutsam an den nächsten Schritt erinnert, wird aus dem Gebäck, was werden soll.
Isabelle Seeger leidet an einer Demenz im fortgeschrittenen Stadium, wie ein Psychiater beim Blick auf die Hirnscans im Dezember 2021 feststellte. In der Folge dehnte sich das Plätzchenbacken mit ihr auf einen ganzen Tag aus. Und doch sind diese Momente noch die Sternstunden für Mutter und Tochter. Selbst in die guten Tage schieben sich Phasen der Aggression und des Wahns.
Mal stellt Isabelle ihrem Mann bis auf den Sportplatz nach und brüllt über das ganze Feld, er solle nach Hause kommen. Nachts wandert Isabelle Seeger rastlos umher und sucht alle paar Minuten die Toilette auf, weil sie vergessen hat, dass sie gerade dort gewesen ist. Isabelles Mann bricht von Herbst 2021 mehrmals zusammen, weil er kaum noch schlafen kann und mit der Situation überfordert ist. Mal behauptet sie gegenüber der Hausärztin, ihr Mann würde sie nun schlagen, sodass diese schließlich zur Einweisung in eine Psychiatrie rät.
Als Ende Januar ein Platz in einem Pflegeheim nahe dem Wohnort frei wird, entschließen sich die Angehörigen schweren Herzens, Isabelle Seeger dort unterzubringen. Sie hoffen, dass sie dort dank professioneller Pflege zur Ruhe kommt und sich ihre Verfassung stabilisiert. „Sie bekommt dort Stuhlgymnastik und morgens gibt es eine Zeitungsschau“, erzählt die Tochter. Wie bei wohl allen Angehörigen überwiegt zunächst der Optimismus, dem schleichenden geistigen Abbau in guter Obhut einen mächtigen Bremsklotz in den Weg zu legen.
Doch als die Tochter ihre Mutter im März aus dem Pflegeheim abholt, erschrickt sie über „die gebeugte zerbrechliche Frau mit verschleiertem Blick, die sie geworden ist“. „Der Unterschied von Januar zu Jetzt ist so krass. Wir können uns das nicht erklären.“ Im Januar noch konnte sie zehn Kilometer gehen, erzählt die Tochter, jetzt schafft sie ein paar Meter. Sie sei schon zwei Mal im Heim gestürzt. Sie verliere ihre Mimik und sehe immerzu ganz traurig aus.
Die Tochter überkommt beim Anblick ihrer Mutter eine bodenlose Ohnmacht. Sie steht einem Menschen gegenüber, der aussieht wie ihre Mutter und es doch nicht mehr ist. Und hinterdrein galoppieren die Zweifel. Bekommt ihre Mutter wirklich die Pflege und Fürsorge, die zu ihrem Besten ist? Trotzdem will Barbara zum Schutz ihres Vaters an der Unterbringung im Pflegeheim festhalten.
Umgang mit demenkranken Angehörigen sorgt für Spannungen in der Familie
Der Ehemann aber erträgt es absolut nicht, seine Frau im Heim so leiden zu sehen. Es kommt zu einem großen Streit in der Familie. Er kündigt schließlich eigenmächtig und gegen den Willen der anderen Angehörigen den Platz im Pflegeheim. Die Tochter ist fassungslos und entsetzt.
Sie hat schlimme Zweifel, wie ihr Vater mit der nun sehr dementen Mutter klarkommen will. Doch er stellt schließlich eine rumänische und eine ukrainische Pflegekraft an. Für Isabelle Seeger gibt es jeden Tag Kaffee und Kuchen, das Einzige, was sie in großen Mengen isst. Und manchmal reicht es für eine Runde des Kartenspiels Canasta oder Stadt, Land, Fluss, bei denen die demenzkranke Frau die Regeln selbst festlegt und garantiert gewinnt.
Nach und nach wird die demente Frau immer sanftmütiger, was auch am Stadium ihrer Demenz liegen dürfte. „Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, dass sie einmal so aggressiv gewesen ist“, sagt die Tochter rückblickend. Neulich hat sie ihrer Mama den Rücken gestreichelt, eine weitere Pflegekraft massierte ihre Füße und „Mutti sah aus wie im siebten Himmel“.
Diese Geschichte ist nicht mehr und nicht weniger als die Anschauung des Einzelfalls. Und sie tröstet meine Freundin, die dachte, nur ihre Schwiegermutter würde mit der einsetzenden Demenz so aggressiv. Sie ist ein Fingerzeig, dass der individuelle Umgang mit einem demenzkranken Familienmitglied eine immense Herausforderung sein kann.
Zu viele Zukunftsmärchen
Das größte Problem am Prinzip Hoffnung ist, dass es Verheißungen auf die Zukunft transportiert, die nüchtern betrachtet schon in der Gegenwart unrealistisch sind. Was haben wir alles geschrieben? Das elektronische Papier war ein Riesenhype zur Jahrtausendwende. Es sollte sich ausrollen und immer wieder beschreiben lassen. Ein paar Unternehmen forschten daran. Die Artikel waren ziemlich gefragt. Warum es auch zwei Jahrzehnte später nicht da ist, und es die Firmen nicht mehr gibt, haben wir nie recherchiert.
Die embryonalen Stammzellen erhitzten nicht nur die Gemüter der Abgeordneten vor ein bis zwei Jahrzehnten. Sie sollten der Quell für Organersatz und noch so viel mehr sein. Wir schrieben darüber, tausende hoffnungsgeladene Artikel. Jetzt kann man mit dem Thema kaum noch eine Redaktion überzeugen. Denn die embryonale Stammzellforschung hat nicht geschafft, was sie sollte, und wurde von der Entdeckung induzierter pluripotenter Stammzellen überrollt – die aber genauso schwer Organersatz hervorbringen werden. Warum, das haben wir auch nicht geschrieben.
Ich sage nicht, man hätte nicht über embryonale Stammzellen schreiben sollen. Durchaus, aber mit mehr Bodenhaftung und in Kenntnis der und auch über die Hürden auf dem Weg zum Organersatz. Weniger Hoffnung und weniger Artikel wären kritisch zurückgeschaut mehr gewesen.
Natürlich kann man sich mit Prognosen vertun. Aber man kann auch sehenden Auges wichtige Fragen ausblenden: Woraus bestehen Kaffeebecher aus Bambus, die weich und biegsam sind, nicht zu vergleichen mit dem frisch geschnittenen Bambus? Das Problem ist, dass die wichtigen, meist einfachen Fragen, gar nicht leicht zu beantworten sind. Niemand will sie für uns beantworten, weil klar ist, wie viel Hoffnung dann womöglich zerplatzt. Und für manche ist genau diese Hoffnung der Garant von Investitionen in Millionenhöhe.
Die Antworten auf die einfachen, kritischen Fragen sind deshalb manchmal Firmen- oder Forschungsgeheimnis. Und an dieser Stelle vertrete ich eine journalistisch unkonventionelle Auffassung. Man sollte die Fragen trotzdem in der Berichterstattung stellen, nur um Sie, liebe Leserinnen und Leser, selbst zum Nachdenken zu bringen und zugleich klarzumachen, dass man die Antwort selbst nicht herausgefunden hat. Fragen aufzuwerfen, die offen bleiben (Woraus besteht der Bambuskaffeebecher denn noch?), das irritiert und erregt Misstrauen. Jedenfalls weckt es keine Hoffnung. Und es ist auch noch Misstrauen, dass nicht einmal auf Fakten, sondern nur auf kritischem logischem Nachdenken beruht. Das ist zugegeben ziemlich unerhört und erfordert Mut. Aber „die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, fand schon Ingeborg Bachmann. Und Sie?