Von wegen progressiv: Regiert im Badischen der schöne Schein?
Auf Radfahrt durch Deutschland erlebe ich an Murg und in Rastatt ein rückständiges Baden-Württemberg. Manche Bestätigung finde ich beim ADFC und in einem Interview mit Monika Grütters.
Wo sie im Kultursektor den größten Reformbedarf sehe, wurde Monika Grütters kürzlich im Interview der Süddeutschen Zeitung gefragt. Die Kulturstaatsministerin antwortete: „In den Museen. (…) Sie lösen ihre Bringschuld der Öffentlichkeit gegenüber nicht ein.“ Es fehle an Autonomie, Eigenverantwortung und Ehrgeiz.
Grütters Aussage rechtfertigt, ja, treibt mich förmlich dazu an, das Museumserlebnis auf meiner Deutschlandfahrt so unverblümt und drastisch darzustellen, wie ich es erinnere.
Kapitel 8 zur Fahrt durch alle Bundesländer (Kapitelübersicht unten).
Vor der Pandemie durchfahre ich in 24 Etappen durch Deutschland. Die Hälfte der Länder nehme ich von Nord nach Süd unter die Räder; Etappe 12 bringt mich nach Baden. Und ziemlich auf die Palme.
Als ich nach dem Abstecher durch Frankreich den Rhein quere und nach Rastatt einbiege, erreiche ich die alte Heimat im Schwung guter Erinnerungen und im Stolz aufs progressive „Ländle“. Ich bin in Baden-Württemberg geboren; ein Großteil meiner Familie stammt von dort. Doch zwei Enttäuschungen bringen an jenem Vormittag mein positives Heimatbild ins Wanken. Erst werde ich in einem Museum abgeblockt, dann von einer Radroute frustriert.
Ausgebremst ausgerechnet bei den „Freiheitsbewegungen“
Es gab Zeiten, da stand der Oberrhein für Progressivität. Baden erlebte unter Napoleons Protektorat eine Modernisierung der Gesellschaft. Und gewann erheblich an Gebiet dazu. Mitte des 19. Jahrhunderts reüssierte Rastatt im Zuge der Badischen Revolution. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts bekam Rastatt eine Bundesarchiv-Außenstelle, eingerichtet als Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte. Dieses Museum belegt einen hübschen Trakt in Rastatts Bilderbuch-Schloss. Und es hält für mich das erste Ärgernis des Tages bereit.
An jenem Tag im Juni schiebe ich mein Rennrad unter gleißender Mittagssonne übers Pflaster des Schlosshofs. Unterdessen sammle ich geistig bereits Fragen zur Ausstellung: Wie frequentiert ist die Erinnerungsstätte? Welche sind die beliebtesten Exponate? Wie verteilen sich im Schnitt die Interessenten nach Alter, Anlass des Besuchs und Interessen? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Schloss und badischer Revolution?
Ich ahne nicht, dass mein Ansinnen zwei Krisen auslöst: Eine in der Erinnerungsstätte, die andere hernach bei mir – im Frust darüber, dass ich im bürokratischen Obrigkeitsgebilde förmlich abpralle am Museum.
Ich bin einziger Besucher, schildere am Empfang mein Anliegen. Gleich komme jemand vom Besucherdienst, verspricht man mir. Solange schlendere ich durch die Ausstellung. Neben Bild- und Schrift-Exponaten steht ein Segment der Berliner Mauer, gut einen Meter breit, auf knapp vier Meter Höhe, zweieinhalb Tonnen schwer. „Tiefe 2,10 Meter“ ergänzt die Beschriftung, was mir rätselhaft erscheint. Denn dick ist das Mauersegments ja nur ebenso viel, wie mein Unterarm lang ist.
Fragen kann ich ja gleich den Besucherdienst. Er kommt in Gestalt eines jungen Mannes. Ich sei Journalist? Ach, da müsse er mit dem Vorgesetzten sprechen, bevor er mit mir spricht. Aber der Vorgesetzte ist in Urlaub. Es tue ihm leid.
Ich sage, mit der Hand in Richtung der menschenleeren Ausstellungsräume zeigend: Der Vorgesetzte würde sich sicher freuen, bekäme die Erinnerungsstätte durch den Spontanbesuch eines Journalisten etwas kostenfreie Werbung. Schließlich könne ich mit meiner Mauerfall-Mission gar nicht anders, als zunächst positiv voreingenommen zu sein.
Neinnein, unterbricht mich der Museumsmann, so einfach gehe das nicht.
„Also, ich hole jetzt erstmal meine Kollegin", sagt er.
Wie der Mann vom Besucherdienst betont, arbeite er erst drei Jahre hier. „Die Kollegin weitaus länger.“
Wir warten auf die Dienstkollegin. Sie bestätigt: Ohne Rückversicherung beim Vorgesetzten geht hier für Journalisten gar nichts. Ich weiß natürlich, dass die Frau recht hat, wenn sie darauf beharrt. Beharrlich bin aber auch ich: „Hat der Vorgesetzte keine Vertretung?“ Sie: „Da muss ich nachschauen.“
Ich warte. Sie kommt mit einem Telefon zurück in den Eingangsbereich, wo ich in der Summe bereits zwanzig Minuten ausharre. Die Frau sagt, sie rufe jetzt die Vertretung in Koblenz an.
Niemand hebt ab. Auch wenn ihr Tonfall nach dem Gegenteil klingt, sagt die Frau: Es tue ihr leid, da könne sie nichts machen.
Wie ätzend!
Ich, durch ihren Ton in Rage geraten: „Das ist ja nun wirklich ätzend. Da komme ich nach 1132 Fahrrad-Kilometern in Rastatt vorbei – ausgerechnet im Jahr, wo man heuer das 30-Jahre-Jubiläum der Befreiung vom DDR-Regime begeht. Aber in der Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte bekomme ich nicht den Hauch einer Auskunft.“
Nun habe ich es mir endgültig verscherzt, zumindest ein paar technische Auskünfte zu bekommen, zur ominösen „Mauertiefe“ zum Beispiel. Ich verlasse das Gebäude. Draußen vor dem „Wir sind das Volk“-Plakat des Museums sammle ich mich halbwegs, um mein MobileReporting nicht allzu polemisch rüberkommen zu lassen.
Bei RiffReporterin Carmela Thiele mehr und ausführlicher über die Museumsszene lesen:
Ich verziehe mich für ein halbes Stündchen in Rastatts Schlosspark, geistig und körperlich Kraft sammeln für später. Ich will mich mit Baden versöhnen: ein Bergtal durchfahren und einen Bergpass erklimmen. Bin ich jetzt nicht in einem veritablen Radfahr-Paradies unterwegs?
„Genießerland im Süden“
Baden-Württemberg, kurz BW, macht keine Ausnahme von der Regel: Länder-Eigenwerbung kommt eher dröge daher. In riesigen Annoncen wirbt das „Land der Rekorde“ mit 1.300 Museen, Deutschlands größtem Freizeitpark und 52 Millionen Übernachtungen jährlich. Plakativ haben die BW-Werber eine Rekordziffer zuoberst gestellt: 40.000 Kilometer Radstrecken!
Auf einer dieser Strecken bin ich nachmittags unterwegs, von Rastatt hinein in den Schwarzwald. Fünf Kilometer nach der ersten Brücke geht es mir noch als kurios durch, wie umständlich Radfahrer auf dem Radweg entlang der Murg gelotst werden. Aber in Kuppenheim häufen sich seltsame Umfahrungen der Hauptstraße. Nach zehn Kilometern tritt die Tour de Murg in Resonanz mit meinem Rastatt-Erlebnis: Unterwürfigkeit ist angesagt. Radfahrer müssen unter der Straße in einen schmalen, gefährlichen Tunnel – und schieben. Während oben Kraftfahrzeuge eilig die breite Straße entlangdröhnen.
Gaggenau, der nächste Ort, war Geburtsstätte des legendären Unimog, ist bis heute Hochburg für Automobile und hat Schwarzwalds größten Industriebetrieb. Ein zementierter Anspruch, dass Deutschlands bedeutender Wirtschaftszweig auch das Murgtal dominiert.
Mein Vehikel und ich, wir bekommen hypochondrische Anwandlungen. Am Rad streikt der vordere Kettenwerfer; ich muss mit dem Schuh nachhelfen, um das Kettenblatt zu wechseln. Mir selbst schlägt das verkrampfte Fahren über Holperstrecken auf Gemüt, Gesäß und andere Körperteile.
Versöhnt nach schweißtreibendem Anstieg
Gernsbach generiert wieder gute Laune. Ich sitze am Marktbrunnen, der Kulisse, an der die zwei Durchgeknallten im Film 25 km/h ihre Fahrt auf zwei Rädern beginnen. Florentiner Apfelkuchen habe ich im Café bestellt; einen besseren Kuchen werde ich auf der gesamten Deutschlandfahrt nicht essen.
Vier Kilometer lang kann ich hinter Gernsbach noch verdauen, dann gehört alles Blut den Muskeln. Sie müssen die Kaltenbronner Wand bewältigen. So heißt unter Eingefleischten die Bergstraße, die auf 190 Meter Meereshöhe an der Murg beginnt und auf 930 Meter Höhe mit der Schwarzmiss-Passhöhe endet.
Miss ist der Name eines Hochmoors. Unweit der Passhöhe überblicke ich das Rheintal, bis weit hinüber ins Elsass. Kuchen, Kaltenbronner Wand und sättigender Weitblick: All dies stimmt mich gegen Ende der 12. Deutschland-Etappe versöhnlich. So fühle ich mich am Ende doch noch willkommen in meiner alten Heimat Baden-Württemberg.
Was sagt der ADFC zur Radroute im Murgtal?
Vor Veröffentlichung dieses Kapitels Nummer 8 meines RadReport Deutschland bat ich den Kreisverband Baden-Baden·Bühl·Rastatt des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs ADFC um seine Sichtweise zur Radroute entlang der Murg. Vertreten durch Klaus Mutterer nahm der ADFC-Kreisverband wie folgt Stellung:
„Die Tour de Murg ist ein Tourenrad-Highlight im Murgtal und gehört zu den beliebtesten Radwanderstrecken des Landkreises. Konzeption und Anlage der abwechslungsreichen Radwanderstrecke erfolgte Anfang der 1990er Jahre. Seither gab es etliche Verbesserungen der Radwegführung, insbesondere dort, wo Konflikte mit dem Autoverkehr auf der vielbefahrenen B 462 bestanden. Momentan wird eine weitere verkehrstechnische Schwachstelle beseitigt (Murgbrücke Weisenbach).“
„In eine begleitende Beurteilung von Schwachstellen ist der ADFC bei dieser Strecke nicht eingebunden.“
„Nach unserer Einschätzung sind der Landkreis Rastatt und die angrenzenden Kommunen um laufende Verbesserungen bemüht. Allerdings würde auch der ADFC sich wünschen, dass die Beseitigung von bekannten Schwachstellen in einem deutlich kürzeren Zeitraum erfolgt. In eine begleitende Beurteilung von Schwachstellen ist der ADFC bei dieser Strecke nicht eingebunden.“
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Per Rad durch alle Bundesländer
Aus der Feder des RadelndenReporters bisher erschienen:
- Von Milch und Miseren in Holstein
- Seltsame Blüten der Ostalgie in Boizenburg
- Ein Ehepaar rettet alte Apfelsorten in Hamburg
- Ärger, Erdgas, Echolot – durch den Norden Niedersachsens
- Schuldig bei Nichtnutzung von Radwegen? – „Das ist pflichtgemäßes Ermessen!“
- In Deutschlands Westen wankt der Optimismus
- Entdeckungen im kleinsten Flächenland.
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