Verschleppte Agrarwende: „Wir Bauern wissen, dass sich etwas ändern muss“
Claudia Gerster betreibt den Hof Sonnengut bei Naumburg (Saale). Sie ist seit über 12 Jahren aktiv in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, seit 1 Jahr sitzt sie im Bundesvorstand. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen, vor denen Bauern derzeit stehen, und darüber, wie Interessenverbände die notwendige Transformation in Deutschland ausbremsen.
Dieses Interview ist Teil unserer Recherche-Serie „Countdown Earth: So lösen wir die Klima- und Artenkrise“.
Frau Gerster, wie sind Sie Bäuerin geworden?
Meine Großeltern hatten einen landwirtschaftlichen Betrieb, der in der DDR zwangskollektiviert wurde. Mein Mann stammt von einem landwirtschaftlichen Betrieb. Als wir uns kennengelernt haben, ist die Idee entstanden, einen Hof zu gründen – leicht war das nicht. Schon damals kämpften große Agrarunternehmen um die Flächen.
Sie halten Milchkühe, betreiben Ackerbau – vermarkten Ihre eigenen Produkte. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie dabei aktuell?
Die Preise! Wir stellen unsere Produkte mit großem Aufwand her. Halten unsere Milchkühe extensiv auf der Weide, pflegen so mit den Tieren artenreiches Grünland. Außerdem betreiben wir kuhgebundene Kälberaufzucht – das heißt, wir lassen die Kälber bei ihren Müttern trinken, statt sie direkt nach der Geburt von ihnen zu trennen. – All das ist natürlich schwer zu transportieren über die Preise. Als handwerklicher Betrieb muss ich mich in einem Markt behaupten, der von industriellen Betrieben dominiert wird.
Der Arbeitsalltag von Bäuerinnen und Bauern ist zunehmend von harten Klimafolgen bestimmt – langen Dürreperioden und immer heftigeren Starkregen und Hochwassern. Darauf müssen sie reagieren. Wie gehen Sie und Ihre Kolleg:innen diese Aufgabe an?
Alle Bauern wissen, dass wir unsere Landwirtschaft transformieren müssen - aber die Rahmenbedingungen sind halt vollkommen unklar.
Was muss sich konkret transformieren?
Die Landwirtschaft muss den Übergang zu nachhaltigen Praktiken schaffen, um ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Dazu gehört etwa, den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln zu reduzieren, Agroforste anzulegen, Fruchtfolgen zu ändern oder zu erweitern und Techniken zur Bodenregeneration anzuwenden. – All das praktiziert unser Hof schon. Aber solche Leistungen sollten honoriert werden, weil sie für mehr Biodiversität, Klimaschutz und Widerstandskraft gegen Klimawandelfolgen sorgen. Nebenbei stellen wir auch noch gesunde Lebensmittel her.
Gibt es einen gemeinsamen Nenner zwischen Großbauern und Kleinbauern?
Abgesehen von den Agrarholdings, die meist von Großinvestoren außerhalb der Landwirtschaft geführt werden: Die Bauernproteste haben schon ein Miteinander zwischen Kleinbauern und Großbauern angestoßen, auf jeden Fall eine Diskussion zum Beispiel über Preise.
Die werden bei vielen Agrarerzeugnissen - etwa Getreide und Milchprodukten - vom Weltmarkt mitbestimmt. In der EU auch durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Für den Zeitraum 2023 bis 2027 erhält Deutschland von der EU jährlich rund 6,2 Milliarden Euro für die Agrarförderung.
Den Großteil davon – rund 70 Prozent – erhalten die deutschen Landwirt:innen als Direktzahlung, das ist die „erste Säule“ . Wie viel jeder einzelne Betrieb davon abbekommt, bemisst sich fast ausschließlich an der bewirtschafteten Fläche. Für die „zweite Säule“ stehen in Deutschland für 2023 rund 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung – deutlich weniger als für die Flächen. Und von diesen anderthalb Millionen werden viele verschiedene Dinge finanziert: etwa klima- und naturschonende Bewirtschaftung, wie das Anlegen von Blühstreifen und der Erhalt artenreichen Grünlands. Aber auch ländliche Entwicklung im allgemeinen, Internetversorgung und die Förderung des Tourismus.
Was sollte sich an diesem System ändern?
Generell müssen wir das EU-Fördermodell, das sich auf reine Flächenzahlungen konzentriert, dringend reformieren. Auch die intensive Tierhaltung sollte nicht länger unterstützt werden, denn sie produziert viele Probleme und schadet sowohl der Natur als auch dem Klima.
Wie könnte ein neues Fördermodell konkret aussehen?
Wir könnten uns da zum Beispiel an Dänemark orientieren. Dänemark wird eine CO₂ Steuer einführen: Dort sollen die Methan-Emissionen von Rindern und Schweinen ab 2030 mit umgerechnet rund 40 Euro pro Tonne CO₂-Äquivalent besteuert werden. Gleichzeitig werden die Bauern für die Transformation motiviert: zum einen über eine Steuerentlastung, zum anderen dadurch, dass die Einnahmen aus der CO₂-Steuer in die ökologische Umstellung der Landwirtschaft investiert werden. Das ist ein langfristiger Rahmen, mit dem Bauern planen können.
Das Beispiel Dänemark klingt gut, aber eine Umsetzung in Deutschland scheint kaum vorstellbar. Die Streichung einer klimaschädlichen Subvention hat im Frühjahr wochenlange Proteste ausgelöst.
Ich hätte die Proteste eher unterstützt, wenn sie andere Schwerpunkte gesetzt hätten. Die französischen und die spanischen Bauern haben gesagt: wir wollen faire Preise und Planungssicherheit. Das finde ich enorm wichtig. Ich kann eben nicht nur sagen, ich möchte die Schweinehaltung in Deutschland ändern, die Schweine sollen auf Stroh gehalten werden und die Bauern und Bäuerinnen stehen mit den Kosten und ohne sichere zukünftige Absatzwege allein da. Das geht nicht. Zudem produzieren wir oft nicht-kostendeckend.
An den Preisen für Agrarprodukte hat sich seither kaum etwas geändert. Aber die EU-Kommission hat durchaus auf die anhaltenden Proteste reagiert: Anfang Februar 2024 entschied sie, landwirtschaftlichen Betrieben 2024 mit weitreichenden Ausnahmen bei der geplanten Flächenstilllegung entgegenzukommen.
Eine Katastrophe, dass wir nicht einmal diese 4 Prozent Stilllegung hingekriegt haben! Dabei sollte das mehr natürliche Lebensräume für Wildkräuter und Wildtiere schaffen, um dem extremen Verlust der Biodiversität in den Agrarlandschaften entgegenzuwirken.
Das politische Zögern bei der Transformation der Landwirtschaft könnte teuer werden. Die Landwirtschaft, wie wir sie aktuell in Deutschland kennen, verursacht laut der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) gesellschaftliche Folgekosten von über 90 Milliarden Euro - pro Jahr.
Die Kosten sind das eine. Ich glaube aber auch, dass unsere Arbeit von der Gesellschaft mehr anerkannt werden muss. Dass wir Bauern, die nachhaltig arbeiten, auch die Umwelt und den Lebensraum der Menschen schützen, letztlich auch unser aller Gesundheit – das muss viel bekannter werden. Es steht so viel auf dem Spiel!
Landwirtschaft und Umweltschutz werden oft als Gegenpole wahrgenommen….
Ja, leider wird auch in der Ausbildung immer noch ein angebliches Spannungsfeld zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz hochgehalten. Das weiß ich von meinen Kindern: Meine Tochter hat Naturschutz und Landnutzung studiert, meine beiden Söhne studieren Landwirtschaft. Da wird teilweise immer noch an alten Glaubenssätzen und Feindbildern festgehalten. Das gilt allerdings nicht nur für die Landwirtschaft…
Für wen noch?
Ich kenne aktive Umweltschützer, die meinen, dass Nutztierhaltung aus Deutschland komplett weggehört. Damit würden wir das Problem aber nur verlagern. Landwirte, die Weidetiere extensiv halten, betreiben auch Naturschutz. Und erbringen damit eine gesellschaftliche Leistung, die honoriert werden muss. Das ist ein wichtiger Punkt: Wir können solche Leistungen nicht gratis machen; das muss bezahlt werden.
Wie kann die Honorierung in der Praxis aussehen?
Ein guter Weg sind Maßnahmen, die für einen guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand sorgen (GLÖZ-Maßnahmen) und die im Rahmen der EU-Politik honoriert werden – wie zum Beispiel der Erhalt von Landschaftselementen wie Hecken, Feldgehölzen und anderen Biotopen. Das müsste noch konsequenter sein als bisher und sie müssten besser finanziert werden.
Landwirtschaft kann so viel Gutes für die Natur bewirken – die Schaffung neuer Lebensräume ist nur ein Bereich. Einen weiteren positiven Effekt hätte die Reduktion von Pestiziden. Die EU wollte deren Einsatz in der Landwirtschaft ursprünglich um 50 Prozent verringern, bis 2030. Die Pläne wurden jedoch ausgebremst, durch den Einfluss der Agrochemie-Industrie im Schulterschluss mit dem landwirtschaftlichen Lobbyverband Copa-Cogeca. Wie könnte man dennoch erreichen, dass Bauern weniger Pestizide auf die Felder bringen?
Da macht wiederum Dänemark vor, wie es geht: mit einer zweckgebundenen Abgabe auf Pflanzenschutzmittel. Die kann eine Lenkungswirkung entfalten, weg von besonders gefährlichen Pestiziden hin zu weniger kritischen Stoffen oder eben alternativen Methoden. Die Einnahmen aus der Abgabe fließen vollständig in die Landwirtschaft zurück – etwa zu Landwirt:innen, die umweltgerechtere Methoden zum Pflanzenschutz einführen. Die Anwendung von chemisch-synthetischen Pestiziden sollte zur Ausnahme werden. Technisch ist inzwischen so viel möglich: So können Bauern etwa über Kameras sondieren, wo es wir wirklich einen Schädlingsbefall gibt, und nur punktuell spritzen.
Im Juni dieses Jahres forderten der Deutschen Bauernverband (DBV) und 29 weitere Agrarverbände das Bundeslandwirtschaftsministerium auf, die Vorschläge für das „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ zurückzuziehen. Man erhält den Eindruck, eine Vielzahl von Bauern möchte nicht weniger spritzen.
Ich sehe das differenzierter. Einerseits herrscht bei vielen Landwirten große Ratlosigkeit und Verunsicherung. Vor einiger Zeit hatten wir eine Veranstaltung zum Thema Glyphosat, der Saal voller Landwirte. Einer stand auf meinte, er sei ganz schön durcheinander; wenn er kein Glyphosat benutzen könne, wie sollte er dann noch Landwirtschaft betreiben? Kurz darauf fand die Agritechnica statt, da standen die Landwirte Schlange, um sich mechanische Lösungen zur Unkrautbekämpfung anzugucken. Der Wille, etwas zu ändern, ist auf jeden Fall da. Wichtig ist, auch unter Landwirten immer wieder klarzumachen: die Folgeschäden des Pestizideinsatzes trägt die gesamte Gesellschaft.
Häufig argumentieren Landwirte, dass sie ohne Pestizide weniger Erträge einfahren würden.
Das trifft natürlich zu, wenn man Feldfrüchte in Reinkultur oder sogar in Monokultur anbaut. Aber davon muss man sich verabschieden. Mit vielfältigeren Fruchtfolgen und vielen anderen Tools kann man Beikräuter heute gut in den Griff bekommen. Der ökologische Landbau macht das seit Jahrzehnten vor. Wobei auch dort noch Luft nach oben ist, was die Erforschung neuer Anbaumethoden angeht.
Es gibt so viele Vorschläge, wie man die Transformation der Landwirtschaft vorantreiben könnte. Aber die Interessenverbände der Branche bremsen bis heute vieles aus.
Man muss klar sagen, wer welche Interessen vertritt. Wer unterstützt die Bauern wirklich? Die Rattenfänger - das hört sich jetzt böse an - stehen am Ende nicht für unsere Interessen. Von 2020–2023 haben in Deutschland 7800 Betriebe aufgegeben, und das sind nicht die großen Betriebe mit Tausenden Hektar Land, sondern vor allem kleinere Betriebe.
Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht der Bauernverband?
Der Druck, den berufsständische Verbände wie der Deutsche Bauernverband (DBV) ausüben, ist groß. Der DBV sitzt in verschiedenen Gremien der Genossenschaften, etwa dem Deutschen Milchkontor, der größten Molkerei Deutschlands, und der BayWa AG in München, die ursprünglich zur Unterstützung der heimischen Landwirtschaft gegründet wurde. Hier wie dort ist der DBV nicht seiner Aufgabe nachgekommen, bäuerliches Kapital und Einkommen zu schützen, sondern hat auf Exportorientorientierung mit Billigware gesetzt. Seine Vertreter sind quasi in jedem Aufsichtsrat der Agrarindustrie präsent. Und die Landmaschinen-Technik hängt auch noch dran.
Die Landmaschinen-Technik?
Die Landtechnik hat die Bauern-Proteste hofiert. Ich habe erst neulich einen Prospekt bekommen, Tenor: Wir freuen uns, dass wir so erfolgreich auf der Straße waren – wir haben euch unterstützt. Klar werden die Landtechnik-Hersteller diese Art von konventioneller Landwirtschaft immer weiter unterstützen: Große Maschinen werden vorrangig an große Ackerbau-Betriebe verkauft. Und die verdienen mit EU-Zahlungen nach Fläche gut, profitieren also von der Verschleppung der Transformation. Die haben kein Interesse daran, dass sich etwas ändert.
Wie wirken sich die Kräfteverhältnisse in der Agrarbranche auf Ihre Arbeit aus?
Wir haben es lange schwer gehabt, uns gegen die großen Verbände wie den DBV zu behaupten. Die AbL ist oft jahrelang nicht in wichtige Gremien berufen worden. Wir sind ein kleiner Verband mit 2400 Mitgliedern mit konventionell und ökologisch wirtschaftenden Bauernhöfen.
Was gibt Ihnen Hoffnung?
Die Bauern wissen, dass sich etwas ändern muss, und es gibt hierzulande eine hervorragende wissenschaftliche Expertise in Sachen Agrarwirtschaft und Agrarökologie. Wir müssen dieses Wissen durchsetzen gegen die Menschen, die genau das verhindern wollen aus rein kapitalistischer Motivation. Und, ganz wichtig: Wir Bauern müssen in die Veränderungen eingebunden werden.
Dieser Beitrag wurde gefördert durch die Hering-Stiftung Natur und Mensch.