Milliardenlücke im globalen Naturschutz: Superreiche spendabel, Regierungen knausrig

Beim Fundraising am Rand der UN-Generalversammlung macht Kanzlerin Merkel keine neuen Zusagen für Biodiversität, private Spender lassen fünf Milliarden Dollar fließen

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
8 Minuten
Ein Landschaft, von der die linke Hälfte abgebrannt braun ist und die rechte Hälfte grüner Regenwald.

Auch nach einer wichtigen Fundraising-Veranstaltung für den globalen Naturschutz am Rand der UN-Generalversammlung fehlen mehrere Hundert Milliarden Euro, um das Funktionieren lebenserhaltender Ökosysteme sicherzustellen und die Vielfalt der Natur zu bewahren. Bundeskanzlerin Angela Merkel enttäuschte wie andere Staats- und Regierungschefs die Umweltorganisationen, die das Treffen veranstaltet hatten, damit, dass sie keine zusätzlichen Finanzmittel für den Naturschutz in Aussicht stellte.

Es blieb offen, ob Merkel eine solche Erhöhung entweder später zusagen oder eine Entscheidung der neuen Regierung überlassen will. Dagegen profilierten sich bei dem Treffen Milliardäre als neue Finanziers des globalen Naturschutzes und gaben eine neue Rekordspende bekannt. Der britische Premierminister Boris Johnson kündigte an, Naturschutz in das Zentrum der Beratungen beim bevorstehenden Weltklimagipfel zu stellen.

Wenige Wochen vor Beginn des UN-Weltbiodiversitätsgipfels bekannte sich Bundeskanzlerin Merkel aber zu einem der Hauptziele für einen besseren globalen Naturschutz. In einem Videostatement auf der hochrangig besetzten Veranstaltung „Transformative Action for Nature and People“ zum bevorstehenden Gipfel am Rande der diesjährigen UN-Generalversammlung forderte sie, die Welt brauche eine echte Trendwende zum Schutz der Natur. „Das erfordert, dass wir mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen wirksam schützen müssen”, sagte sie bei der unter anderem von führenden Naturschutzverbänden sowie der UN-Programme für Umwelt und Entwicklung organisierten Veranstaltung.

Heiße Verhandlungsphase zur Zukunft der Natur

Das Ziel, jeweils 30 Prozent der Land- und Meeresfläche auf dem Planeten unter einen wirksamen Schutz zu stellen, ist eine Hauptforderung zahlreicher Umweltverbände für den bevorstehenden Gipfel der fast 200 Vertragsstaaten der Konvention zum Schutz der Biologischen Vielfalt (CBD) im chinesischen Kunming.

Das sogenannte 30×30-Ziel wird auch von einer Staatengruppe vertreten, die sich als „Koalition der Ambitionierten“ zusammengefunden hat und weitreichende Festlegungen für einen besseren Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auf der Erde anstrebt. Deutschland und die Europäische Union gehören dazu. Mit einem wirksamen Schutz auf 30 Prozent der Fläche des Planeten kann Studien zufolge das Aussterberisiko für 90 Prozent aller Arten reduziert werden. 

Der Gipfel wird im Oktober Oktober mit einer virtuellen Konferenz eröffnet, die eigentlichen Schlussberatungen und die Verabschiedung des neuen weltweit gültigen Rahmenabkommens für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Natur in den nächsten zehn Jahren sollen dann im April und Mai 2022 vor Ort in Kunming folgen. 

Wie effektiver Schutz garantiert wird, ist offen

Während sich abzeichnet, dass das 30-Prozent-Ziel gute Chancen hat, in das Rahmenabkommen aufgenommen zu werden, sind die entscheidenden Details dazu bisher aber noch völlig unklar. So fehlt bislang eine klare Definition darüber, was als „wirksamer Schutz“ gelten soll. Von den Fragen, wie streng die Schutzvorgaben ausgestaltet werden und wie die Vorgaben gemessen und in ihrer Umsetzung kontrolliert werden sollen, wird aber abhängen, ob der 30-Prozent-Schutz mehr sein wird als ein plakatives Bekenntnis.

Das Kunming-Abkommen gilt für den Kampf gegen das dramatische Artensterben auf der Erde als ebenso bedeutend wie das Klimaschutzabkommen von Paris für den Kampf gegen die Erderwärmung. 

Die seit mehr als zwei Jahren laufenden Verhandlungen für das neue globale Rahmenabkommen verlaufen aber nach Teilnehmerangaben äußerst zäh. Auch kurz vor dem Auftakt der Schlussrunde lässt sich noch nicht sagen, ob ein substanzielles Abkommen zustande kommt oder nicht. 

Ein erster Entwurf sieht als weitere Zielen neben dem 30-Prozent-Schutzziel beispielsweise die Beendigung der Plastikverschmutzung in den Ozeanen bis 2030 und eine radikale Verringerung des Einsatzes von umweltschädlichen Düngemitteln und Pestiziden vor. 

Bezos, Johnson und Sanchez in feinem Ambiente in New York, alle sitzen, im Zentrum eine britische Flagge.
Am Rand der UN-Generalversammlung traf der britische Premier Boris Johnson Amazon-Chef Jeff Bezos und dessen Partnerin Lauren Sanchez. Johnson ist Gastgeber des UN-Klimagipfels in Glasgow Anfang November, Bezos zählt zu den wichtigsten Spendern eines neuen Fonds von Milliardären für den globalen Naturschutz.

Die Vereinten Nationen streben bis zur Jahrhundertmitte zwei zentrale Ziele im Umweltbereich an: Die weltweite Klimaneutralität und eine globale Wirtschafts- und Lebensweise, die die natürlichen Fähigkeiten der Erd-Ökosysteme nicht überlastet. Die entscheidenden Weichenstellungen dafür sollen die beiden großen Umweltgipfel in den kommenden Wochen stellen: Der Weltklimagipfel im November in Glasgow und der Weltbiodiversitätsgipfel ab Oktober in Kunming. 

Streit um Zahlungen an Länder, die wirtschaftlich arm, aber biologisch reich sind

In beiden Menschheitsfragen – Klimawandel und Arten- und Ökosystemsterben – hat es in den vergangenen Jahrzehnten trotz zahlreicher Vorgängerabkommen keine ausreichenden Fortschritte gegeben. So hat der Weltklimarat gerade festgestellt, dass das Erreichen der Pariser Klimaziele – die Begrenzung der Erderwärmung auf unter 2 Grad Celsius – nur bei einem sofortigen radikalen Umsteuern noch möglich ist. Auf Basis der von den einzelnen Staaten im Vorfeld des Glasgow-Gipfels vorgelegten Pläne wird dieses Ziel indes dramatisch verfehlt. 

Ebenso dramatisch wie im Kampf gegen den Klimawandel präsentiert sich die Situation mit Blick auf die biologischen Lebensgrundlagen, wie die Berichte des Weltbiodiversitätsrates IPBES zeigen, der analog zum Weltklimarat die wissenschaftlichen Grundlagen für die Gipfelbeschlüsse erarbeitet. Die IPBES-Wissenschaftlerïnnen kommen zu dem Ergebnis, dass in den nächsten wenigen Jahrzehnten eine Million von geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten aussterben werden, wenn nicht umgehend eine radikale Wende in der Nutzung der Natur eingeleitet wird.

Einer der Hauptstreitpunkte ist nach wie vor die Finanzierung der vom fortschrittlichen Teil der Staatengemeinschaft angestrebten strengeren Regeln für den Schutz und die Nutzung von Natur. Vor allem die noch sehr artenreichen südlichen Regionen der Erde bestehen darauf, für den Verzicht auf eine weitere Ausbeutung beispielsweise des Amazonas-Regenwaldes entschädigt zu werden. Während auch die reichen Staaten im Prinzip zustimmen, dass es eine Kompensation geben muss, verweisen sie aber auch darauf, dass es sich bei den verbliebenen halbwegs intakten Ökosystemen der Erde – allen voran dem Amazonas – um „globale Güter“ handelt, deren Schutz allen zugutekommt und daher auch in der Eigenverantwortung der Anrainerländer liegt. 

Merkel enttäuscht hohe Erwartungen

Naturschutzverbände sehen in den bisher fehlenden weitreichenden Finanzierungszusagen der reichen Staaten einen Hauptgrund für den ausbleibenden Fortschritt. Sie fürchten, dass dadurch das Zustandekommen eines wirklich ambitionierten Abkommens gefährdet wird. Deshalb richten sich viele Blicke auf Merkel. Mehr Geld für den Erhalt der Biologischen Vielfalt müsse insbesondere auch Deutschland aufbringen, fordern zahlreiche Verbände.

Die deutsche Wirtschaft zähle weltweit zu den stärksten Verursachern des Naturverlusts und sei damit einer der Hauptverursacher der Biodiversitätskrise. Ursachen werden besonders im Verbrauch und der Einfuhr von Agrarrohstoffen wie Soja, Palmöl, Kaffee und Rohstoffen für den Industriesektor gesehen. 

Merkel machte indes in ihrem Redebeitrag am Mittwoch keine zusätzlichen Finanzzusagen. Sie lobte das von ihrer Koalition nach zähem Ringen verabschiedete Insektenschutzgesetz und verwies auf den bisherigen Finanzbeitrag Deutschlands. „Deutschland hat 2020 fast 800 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die biologische Vielfalt und Ökosysteme weltweit zu schützen“, sagte sie.

Zudem wiederholte sie die Ankündigung, den deutschen Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung bis spätestens 2025 auf jährlich sechs Milliarden Euro zu erhöhen. Von diesen Mitteln dürfte ein Teil auch dem Naturschutz zugute kommen, weil Deutschland wie andere Staaten verstärkt darauf setzt, durch den Schutz von Lebensräumen, die gleichzeitig Kohlenstoffspeicher sind, die Entstehung von Treibhausgasen zu vermeiden. 

Naturschutz beim Klimagipfel

Dieses Konzept der „naturbasierten Lösungen“ wird auch wichtiger Bestandteil des Klimagipfels sein. Der britische Premierminister Boris Johnson kündigte bei der Konferenz als Ausrichter der Klimakonferenz an, „Natur an die Spitze und in das Zentrum“ des Gipfels zu stellen. Er kündigte Initiativen an, um die internationalen Finanzierungsströme stärker am Naturschutz auszurichten und die Abholzung von Wäldern zu stoppen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bekräftigte ihre Ankündigung, dass die EU ihre Mittel für die biologische Vielfalt auf acht Milliarden Euro verdoppeln werde. Von dem zusätzlichen Geld sollten die am stärksten von Biodiversitätsverlust gefährdeten Länder profitieren. 

Der jährliche Finanzbedarf für einen wirksamen weltweiten Naturschutz, der das Artensterben stoppt und die Nutzung der natürlichen Ressourcen nachhaltig gestalten würde, wird auf 700 Milliarden Dollar geschätzt. Dem steht eine bisherige Finanzierung von weniger als 140 Milliarden gegenüber. 

Milliardäre sagen fünf Milliarden Dollar zu

In der Allianz Finance for Biodiversity zusammengeschlossene Institutionen der Finanzwirtschaft gaben bekannt, dass 75 Finanzinstitute mit einem Gesamtvermögen von 12 Billionen Euro sich verpflichtet hätten, die biologische Vielfalt durch ihre Finanzaktivitäten und Investitionen zu schützen und Renaturierungsprojekte zu unterstützen.

Während von Staatenseite bei der Veranstaltung in New York keine neuen Finanzzusagen gemacht wurde, vermelden die Organisatoren eine Rekordspende von fünf Milliarden US-Dollar für den Schutz der Biologischen Vielfalt. Die Gelder sollen nach Angaben der Veranstalter durch eine Koalition von Philanthropen – unter anderem die Wyss Stiftung, der Bezos Earth Fund, die Rob und Melani Walton Foundation und Bloomberg Philanthropies – bis 2030 für den Schutz der Natur bereitgestellt werden.

Dies sei die bisher weltweit größte Summe aus privater Hand. Das Geld solle der wirksamen Umsetzung des 30×30-Ziels zugute kommen. Mit dieser Verpflichtung sende die „Protecting Our Planet Challenge“ im Vorfeld der Weltbiodiversitätskonferenz ein klares Zeichen an andere private und staatliche Geber des Nordens“, sagte Georg Schwede, der Europachef der von der Wyss-Stiftung finanzierten „Campaign for Nature“. 

„Diese müssen dringend ihrer historischen und moralischen Verantwortung gerecht werden und ausreichende Finanzmittel bereitstellen, um die Krise der biologischen Vielfalt zu bewältigen“, sagte Schwede. Von der neuen Bundesregierung forderte er, dass sie die internationalen Mittel für Biodiversitätsschutz mindestens auf sechs Milliarden Euro jährlich aufstockt.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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