Wissenschaftler fordern von neuer Bundesregierung Natur- und Klimaschutz aus einem Guss

Führende Experten kritisieren bisherige Maßnahmen als unzureichend, um Artensterben aufzuhalten und warnen davor, Biodiversität weiter als Randthema zu behandeln

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
6 Minuten
Ein weißer Schmetterling auf Lavendelblüten.

Kurz nach der letzten Bundestagswahl, im Herbst 2017, fanden parallel zwei Ereignisse statt: Die Parteien feilschten in langen Verhandlungen über ihren Koalitionsvertrag. Und das Fachmagazin PLOS One publizierte die inzwischen weltbekannte Krefelder Studie zum Insektensterben. Deren wichtigste Erkenntnis: Die Biomasse der Fluginsekten ist in 30 Jahren um 75 Prozent geschrumpft – ein Alarmruf für die Biodiversität.

Die Ergebnisse der Krefeld-Studie haben Fachleute wie Katrin Böhning-Gaese nicht wirklich überrascht. Die Direktorin des Senckenberg Biodiversitäts- und Klimaforschungszentrums in Frankfurt am Main, die den Deutschen Umweltpreis 2021 erhält, hat schon 1990 in ihrer Doktorarbeit festgestellt, dass die Vögel aus der Agrarlandschaft verschwanden. „Für mich ist erstaunlich, dass eine einzelne Studie wirklich so eingeschlagen hat und diese gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit ausgelöst hat“, sagt die Forscherin. Das Thema Insektenschutz wurde damit auf die politische Agenda gesetzt.

Am Anfang der Legislaturperiode kamen wichtige Ereignisse in Gang. Das Bundesamt für Naturschutz legte Ende 2017 neue Monitoringprogramme auf. 2018 dann sagte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) im Bundestag: „Was der Biene schadet, kommt vom Markt.“ Und zwei Jahre später mobilisierte das Insektensterben genug Menschen, um in Bayern ein Volksbegehren für Insektenschutz zum Erfolg zu tragen. In der Endphase der Legislaturperiode legte die scheidende Regierung dann nach langem Tauziehen zwischen dem Landwirtschaftsministerium und dem Umweltressort unter Klöckners Amtskollegin Svenja Schulze (SPD) vor den Sommerferien ein Insektenschutzprogramm vor, schrieb mehr Insektenschutz ins Bundesnaturschutzgesetz.

Doch wie bewerten Fachleute wie Katrin Böhning-Gaese die Artenschutzpolitik der ausgehenden Legislaturperiode? Was vermissen sie im Wahlkampf? Und wo sehen sie die wichtigsten Baustellen für die nächste Regierung?

Eine blonde Frau schaut in die Kamera, die linke Hand am Kinn.
Katrin Böhning-Gaese ist Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum:
Ein Mann mit kurzen grauen Haaren und Brille schaut in die Kamera.
Thomas Fartmann leitet die Abteilung Biodiversität und Landschaftsökologie an der Universität Osnabrück. Er sieht die Verhandlungen zur Agrarpolitik als vertane Chance für den Artenschutz.
Wir dürfen Klimawandel und Artensterben nie getrennt denken. (Bernhard Misof, ZFMK)
Ein Mann mit eckiger Brille und Drei-Tage-Bart schaut in die Kamera.
Bernhard Misof ist Direktor des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig.
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