Erfolg oder Scheitern des Masterplans für die Biosphäre – bei UN-Naturkonferenz ist beides möglich

Auch kurz vor der entscheidenden Abstimmung ist völlig offen, ob die Staatengemeinschaft sich auf ein historisches Naturabkommen einigen kann. Umweltministerin Steffi Lemke ist vorsichtig optimistisch.

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
6 Minuten
Chinese auf Podium mit Hammer in der Hand vor Fahnen der UN und Kanadas.

Trotz Fortschritten in einigen zentralen Punkten bleibt ein Erfolg des Weltnaturgipfels COP15 in Montreal bis zuletzt ungewiss. Kurz vor Beginn der entscheidenden Schlussrunde am Montag war offen, ob alle 196 Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention das geplante Weltnaturabkommen verabschieden würden.

Einige Entwicklungsländer zogen zum Ende der Beratungen auf Ministerebene in Montreal überraschend strikte rote Linien. Weil das Abkommen einstimmig verabschiedet werden muss, versuchten sechs zu Sondergesandten berufene Minister und Staatssekretäre bis zur letzten Minute Kompromisse zu schmieden.

Pestizide, Subventionen, Schutzgebiete sind strittige Themen

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zeigte sich verhalten zuversichtlich über einen erfolgreichen Abschluss. Sie betonte im Gespräch mit RiffReporter aber zugleich, der Ausgang sei offen.

Lemke vor Fahnenmeer
Beim Weltnaturgipfel COP15 hat sich Bundesumweltministerin Steffi Lemke für Deutschland verpflichtet, bis 2030 Ökosysteme auf großer Fläche zu schützen und zu renaturieren. Das Waldgesetz taugt dazu nicht, sagt Ökologe Ibisch.

„Die Möglichkeit für ein starkes Abkommen, das tatsächlich die Natur weltweit schützt, sind da“, sagte Lemke. Es werde aber weiter hart gerungen, weil es um substantielle Interessen vieler Länder gehe.

„Pestizidreduktionen, der Abbau umweltschädlicher Subventionen und generell ein besserer Schutz für viele Gebiete – das sind dicke Brocken, und deshalb ist es offen, wie es in 24 oder 48 Stunden ausgegangen sein wird“, sagte sie am späten Samstagabend (Ortszeit) in Montreal.

Geldfrage wird wohl über Erfolg oder Misserfolg entscheiden

Als größte Hürde auf dem Weg zu einer Einigung gilt der Streit über die Finanzierung des Naturschutzes in den Entwicklungsländern. Dort befinden sich die artenreichsten Gebiete der Erde, weshalb dort die größten Anstrengungen zum Schutz der Biodiversität nötig sind. Die Entwicklungsländer fordern von den Industrieländern wie beim Klimaschutz mindestens 100 Milliarden Dollar pro Jahr, um ihre Biodiversität effektiv schützen zu können.

Dem stehen bislang Zusagen von rund zehn Milliarden gegenüber. Eine weitere Verringerung der Lücke durch eine Aufstockung der Hilfen auf etwa 30 bis 35 Milliarden wurde in Verhandlungskreisen als möglich erachtet. Allein Deutschland hat angekündigt, seinen Beitrag für den internationalen Naturschutz bis 2025 auf 1, 5 Milliarden Euro pro Jahr zu verdoppeln.

Blick in die Reihen in der Halle
Viele Länder des globalen Südens haben in Montreal deutlich gemacht, dass auch die reichen Staaten im Naturschutz vorangehen müssen

Sonderbeauftragter Flasbarth: „Erfolg nicht gesichert“

Der von der chinesischen COP-Präsidentschaft als Sonderbeauftragter berufene Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium, Jochen Flasbarth, forderte im Gespräch mit RiffReporter Kompromisse auf Seiten der Industrie- und der Entwicklungsländer. Andernfalls werde das historische Abkommen scheitern.

„Wenn einige sich entscheiden, sich nicht zu bewegen, ist es noch nicht ausgemacht, dass wir hier mit einem Erfolg herausgehen“, sagte er. Für die 100-Milliarden-Forderung gebe es wenig Chancen, wenn nicht die Zahl derjenigen, die tatsächlich auch zahlen, deutlich erweitert werde.

Ausdrücklich nahm Flasbarth dabei China in die Pflicht. Das Land beharrt darauf, als „Nehmerland“ zu gelten, weil es 1992 in der Klimarahmenkonvention als Entwicklungsland eingestuft wurde. „Die Welt hat sich gegenüber 1992 dramatisch verändert“, sagte Flasbarth mit Blick auf den Aufstieg des Landes zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde.

Der Staatssekretär in einer Runde von anderen Delegierten.
Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium.

Länder wie China, aber auch aus der arabischen Welt, könnten „sich kaum noch auf diese Jahreszahl zurückziehen.“

Gegensätze krachen im Schlussplenum aufeinander

Im Schlussplenum der angereisten Minister aus rund 140 der 196 Mitgliedstaaten der Biodiversitätskonvention wurden unmittelbar vor der Schlussverhandlungen fundamentale Differenzen deutlich.

Der stellvertretende indonesische Umweltminister Alue Dohong nannte als „rote Linie“, dass in einem Abkommen keine Obergrenze für den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft festgelegt werden dürften. Schon in den Verhandlungen der vergangenen Tage hatte das Land erklärt, eine Deckelung des Einsatzes der naturschädlichen Chemikalien würde die Lebensmittelversorgung in dem stetig wachsenden Land gefährden. Ähnlich äußerte sich Indien.

EU tritt dafür ein, dass 30 Prozent der Erdoberfläche zum Schutzgebiet werden

Dagegen machte EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius deutlich, dass die 27 Mitgliedstaaten auf einer Verringerung des Pestizidgebrauchs um 50 Prozent beharren. „Wer ein Boot vor dem Untergang bewahren will, muss alle Löcher stopfen“, sagte Sinkevicius. Allerdings wird in der EU gerade heftig um diesen Kurs und das geplante Verbot, Pestizide in Schutzgebieten einzusetzen, gerungen.

Er nannte zudem die Renaturierung von weltweit sechs Milliarden Hektar Ökosystemen an Land und an Meer und einen „wirklich ehrgeizig ausgestalteten Schutz von jeweils 30 Prozent der Meeres- und der Landfläche des Planeten“ als unverzichtbar, um „das Boot über Wasser zu halten“.

Mikronesische Delegation
Für viele kleine Staaten wie Mikronesien ist die COP15 ein Hoffnungsschimmer im Kampf gegen den Artenverlust

Darüber, ob diese Ziele mit festen Zahlenvorgaben im Abkommen festgeschrieben werden sollen, gibt es auch nach insgesamt fast vierjährigen Vorverhandlungen keine Einigung. Die endgültige Entscheidung müssen die Minister treffen. Bis Montag Mitternacht Ortszeit (Dienstag 6.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit) sollen die Minister und Ministerinnen der 196 Mitgliedstaaten der UN-Biodiversitätskonvention – alle Länder der Erde, mit Ausnahme der USA und des Vatikans – den neuen Weltnaturvertrag verabschieden.

Das Abkommen enthält nach derzeitigem Stand 22 Ziele, mit denen bis zum Jahr 2030 das Artensterben und die ungebremste Zerstörung von Lebensräumen gestoppt werden sollen und die Natur auf einen Pfad der Erholung gebracht werden soll.

Von einem Montreal-Abkommen erwarten Wissenschaft, Umweltorganisationen und viele Staaten ein Abkommen, das für den Natur- und Klimaschutz so bedeutend wird wie der Klimavertrag von Paris, der fast auf den Tag genau vor sieben Jahren nach dramatischen Verhandlungen beschlossen wurde.

Morgenebel steigt aus dichtem Wald auf.
Bedrohter Lebensraum: Tropenwälder werden weltweit abgeholzt, um Holz zu gewinnen, Weide- und Anbauflächen zu schaffen oder Rohstoffe abzubauen.

Viele Punkte schon abgeschwächt

Während der mehr als einwöchigen Verhandlungen in Montreal wurden die Ziele für mehr Naturschutz und eine nachhaltigere Nutzung der natürlichen Ressourcen in zahlreichen Punkten abgeschwächt, um sie für alle Länder zustimmungsfähig zu machen.

Ein erster Entwurf für das Abkommen sah beispielsweise vor, das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten bis 2030 zu halbieren. Im aktuellen Entwurf wird dieser Wert nur noch mit höchstens 20 Prozent angegeben. Allerdings ist selbst dies als umstritten in Klammern gesetzt.

Alle wichtigen Streitpunkte ungeklärt

Alle zentralen Streitpunkte waren bis zuletzt ungeklärt. Es wurde erwartet, dass die chinesische Konferenzpräsidentschaft bis Sonntagabend einen Entwurf für das endgültige Abkommen vorlegen werde, der dann die Grundlage für die allerletzte Verhandlungsrunde und die Verabschiedung des Abkommens wäre.

Eisbär aus Eis in nächtlicher Umgebung
Eine. Skulptur eines langsam schmelzenden Eisbären symbolisierte beim Weltnaturgipfel das Zusammenspiel von Artensterben und Klimawandel.

Während ein Abkommen nach einhelliger wissenschaftlicher Meinung unerlässlich wäre, um das größte Artensterben in der Geschichte der Menschheit zu stoppen und so auch die Lebensgrundlagen für Menschen zu sichern, zeigten sich langjährige Beobachter der Biodiversitätsverhandlungen skeptisch, ob ein Abkommen zustande kommt.

„Diesmal ist die Stimmung aggressiver, die Kompromissbereitschaft geringer, und dass wir einen Tag vor Abschluss des Gipfels noch keinen einzigen der vorher bekannten Knackpunkte gelöst haben, ist ein schlechtes Zeichen“, sagte Axel Paulsch. Der Vorsitzende des Instituts für Biodiversität, eines Vereins von Expertinnen und Experten mit Sitz in Regensburg, begleitet die UN-Verhandlungen seit zwanzig Jahren.

Entsprechend eindringlich klangen die Appelle zum Ende der offiziellen Ministerberatungen. Der kanadische Umweltminister Steven Guilbeault appellierte an seine Kollegen aus aller Welt, den Weg für ein Abkommen freizumachen, das für die Natur ebenso wichtig sei wie das Pariser Klimaabkommen für den Kampf gegen die Erderwärmung. „Konsens ist möglich, wir haben es in Paris gemacht, wir können es in Montreal machen“, sagte er, „wir haben die Kraft, den Lauf der Geschichte zu ändern – geben wir der Natur einen Paris-Moment.“

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