Jeder Tag sollte Weltspatzentag sein

Liebeserklärung an einen treuen Begleiter

von Cord Riechelmann
5 Minuten
Nahaufnahme eines weiblichen Haussperlings in weichem Licht.

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Haussperlinge sind unter den Sperlingen die Anpassungsfähigsten. Sie haben sich so weit mit dem Menschen vergesellschaftet, dass man über ihren ursprünglichen Biotop nur spekulieren kann. Man vermutet, dass der Spatz vor seiner Bindung an den Menschen in trockenwarmen, lockeren Baumsavannen lebte. Beweise dafür gibt es aber nicht. Als er hier in Mitteleuropa auftauchte, war er bereits als Kulturfolger an den Menschen und seine Siedlungen gebunden.

Das allerdings kann ihm jetzt zum Verhängnis werden. Denn aus Großstädten wie Paris, London und Hamburg wird teilweise ein dramatischer Rückgang der Spatzenbestände gemeldet. Das hängt mit der neuen Architektur zusammen. Die großflächige, strukturarme Glasfassadenbauweise, wie man sie zum Beispiel in Berlin am Potsdamer Platz findet, nimmt den Spatzen Unterschlupf und Nischen, in die sie ihre Nester bauen können. Das gilt aber nicht nur für Neubauten, auch sanierte Altbauten schränken ihre Bewegungsfreiheit ein.

Spatzen bevorzugen sozusagen die ornamentale Bauweise. In Höhlen, Spalten und Nischen unter Dachgiebeln bauen sie ihre Nester mit Vorliebe. Sie brüten aber auch in verlassenen Spechthöhlen, Erdwänden oder Mehlschwalbennestern. Die Berichte von Nistplätzen an ungewöhnlichen Orten sind kaum zu zählen. Man fand ihre Nester in lauten und schmutzigen Fabrikhallen, in Straßenlaternen oder auf Baumaschinen, die bewegt wurden.

Spatzen scheinen sich an Menschen und ihren Tätigkeiten nicht zu stören, und wie der Spatz am Moskauer Flughafen zeigt, nutzen sie auch Menschen, um an Nahrungsquellen zu kommen, die ihnen sonst verschlossen wären. Das setzt eine kalkulierende Lernfähigkeit voraus. Denn der Flughafenspatz muß ja nicht nur bedenken, wie er in die Halle kommt, er muss auch daran denken, wieder herauszukommen.

Welche Anstrengungen das für die Tiere mit sich bringen kann, konnte ich in Moskau beobachten. Spatzen müssen ihre Fluchtdistanzen ständig verringern, beziehungsweise überwinden. Denn sicher sein, dass ihnen die Menschen nichts tun, können sie nicht. Und das kann Stress bedeuten. Immer wieder abwägen, ob der Sprung auf den Tisch jetzt lohnt oder nicht, ist bestimmt nicht entspannend. Außerdem waren die Vögel nicht immer beliebt.

Sie können die Gesänge anderer Arten imitieren

Spatzen wurden bis in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts teilweise rigoros mit Fallen und Gift verfolgt. Man konnte damals neben den gängigen Thesen, dass sie Ernteschädlinge sind und alles dreckig machen, auch hören, dass sie seltenere Arten vertreiben und "keine Singvögel" mehr hochkommen lassen. Das ist natürlich schon allein deshalb Unfug, weil Spatzen Singvögel sind.

Auch wenn in vielen populären Texten über Spatzen der Vogel als unmusikalisch dargestellt wird, er ist es nicht. Der gerade jetzt überall zu hörende monoton scheinende Gesang der Spatzenhähne ist ein Ereignis. Es lohnt sich dem „tschilp„, „tschirp“ oder „tschrp“ länger zuzuhören. Es ist nämlich schon mit bloßem Ohr festzustellen, dass sie nicht immer gleich klingen. Strukturanalysen ihrer Sonagramme, der Abbildung der Frequenz der Töne in ihrem zeitlichen Verlauf, haben ergeben, dass die Töne kompliziert aufeinanderfolgen und stark variiert werden können. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Spatzen in ihren Werbegesängen individuelle Merkmale genauso codieren wie die jeweiligen Stimmungen des Sängers.

Auch ihre Lernfähigkeit geht weit über das hinaus, was man ihnen gemeinhin zugesteht. Spatzen können die Töne anderer Arten wie die von Grünlingen und Kanarienvögeln übernehmen und in ihre Lieder einbauen.

Die Spitzen sitzen zusammen auf einem Ast. Sie sind einfach sehr sozial, diese Tiere.
Unterschätzte Spatzen: Mit verschiedenen Warnrufen können sie unterschiedliche Strategien mobilisieren und so entsprechend auf die Gefahr reagieren.

Wie unterschiedlich sie im Einsatz ihrer Lautäußerungen vorgehen, kann man am Spektakel der Gruppenbalz beobachten. In Extremfällen verfolgen bei diesem Akt bis zu 15 Männchen in einer rasanten Jagd ein Weibchen. Die Männchen umringen das Weibchen, tschilpen durcheinander, versuchen, ihr in die Kloakenregion zu picken und zu kopulieren. Die Männchen werfen in dieser Raserei den Kopf mit offenem Schnabel nach hinten, heben die Flügel etwas an und zerren auch schon mal an den Federn des Weibchens.

Dieses entkommt den Attacken aber meist dadurch, dass es den Schwanz mit der Kloake gegen den Boden preßt und sich im Kreis dreht. Zu Kopulationen kommt es bei der Gruppenbalz selten. Ausgelöst wird sie vielmehr durch ein unbewachtes, fruchtbares Weibchen, das an Männchen vorbeifliegt. Dann fliegt einer der männlichen Spatzen mit einem schrillem „jiek“-Ruf hinterher. An dem Tumult ist immer nur ein Weibchen beteiligt, und bei den Männchen überwiegen solche mit einem großen schwarzen Kehlfleck. Die Gemeinschaftsbalz ist zwar in diesen Wochen am häufigsten zu beobachten, kommt aber das ganze Jahr über vor.

Dieses dahinplätschernde Chor-Tschilpen!

Spatzen sind ganzjährig soziale Tiere, und Stimulationen, die aus dem Gruppenleben hervorgehen, machen neben der Nahrungssuche einen Hauptteil ihrer Beschäftigung aus. Auch außerhalb der Zeit der Werbegesänge der Männchen sind diese Tiere nie ruhig. So tschilpen sie an Ruheplätzen und in ihren Schlafgemeinschaften unaufhörlich durcheinander. Spatzen unterbrechen ihre Nahrungssuche immer wieder und versammeln sich in Hecken, um auszuruhen.

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Die täglichen Versammlungen in Hecken sind genauso wie die nächtlichen Schlafgemeinschaften artspezifisch und unabhängig von den klimatischen Bedingungen. In den Tropen sammeln sie sich ebenso regelmäßig wie in den dichten Büschen deutscher Städte. Und neben der Lust, die ihnen selbst die Streitereien in der Versammlung bereiten, was man an dem im Unterschied zum Werbetschilpen hörbar einförmig zufrieden dahinplätschernden Chor-Tschilpen auch hören kann, bietet ihnen die Gemeinschaft auch Schutz vor Elstern, Rabenkrähen und Eulen, die manchmal versuchen, ihren Hunger mit dem Verzehr von Spatzen zu stillen.

Auswirkungen auf die Populationsgrößen der Vögel zeitigt das aber nicht. Die gedrungenen Vögel mit dem klobigen Schnabel wissen sich sehr gut zu helfen. Mit verschiedenen Warnrufen können sie unterschiedliche Strategien mobilisieren und so entsprechend auf die Gefahr reagieren. Ertönt ein Luftwarnruf wird der ganze Trupp augenblicklich still, stürzt sich zu Boden und „friert“ buchstäblich minutenlang reglos ein. Ein Bodenfeindalarmruf führt hingegen zu aufgeregter Hektik. Die Vögel kommen aus allen Richtungen zusammen, zetern anhaltend und „hassen“ mit breitem „tät“ oder „tertet“ gegen Katzen und Marder. Eichhörnchen attackieren sie gelegentlich körperlich und bearbeiten sie mit dem Schnabel.

Manchmal spielen sie aber auch nur. Man sah Spatzen schon tagelang kleine Steine von einem Dach auf den Zementboden werfen und hinterherhorchen. Schon diese Eigenschaft macht Spatzen so sympathisch, dass es nicht reicht, ihnen wie am Dienstag einen einzigen „Weltspatzentag“ zu widmen. Angesichts ihrer Nähe zum Menschen und ihrer Bedrohung sollte jeden Tag Weltspatzentag sein.

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