UN-Unterhändler für globalen Naturschutz fordert Kraftanstrengung von Staaten und Wirtschaft
Interview mit Basil van Havre: "Eine aktivere und präsentere EU wäre sehr wichtig." Rein digitales Verhandeln gefährdet Erfolg des Weltnaturschutzgipfels im Herbst
Basile van Havre sollte in diesen Wochen viel reisen. Der Kanadier ist einer der entscheidenden Akteure weltweit im Kampf für ein Ende des Artensterbens. Statt zu reisen verbringt er aber sehr viele Stunden vor dem Computer in seinem Haus etwas außerhalb der kanadischen Hauptstadt Ottawa. Tritt er vor die Tür, hat er es nicht weit in die kanadische Wildnis. Doch dazu hat er im Moment wenig Zeit, auch wenn seine Wanderungen ihn daran erinnern, worum es in den ungezählten Online-Meetings geht, die er seit Monaten absolviert.
Gemeinsam mit seinem ugandischen Kollegen Francis Ogwal leitet van Havre die Arbeiten am Entwurf für ein neues globales Rahmenabkommen zum Schutz der Natur und der Nutzung der natürlichen Ressourcen. Sie müssen die Positionen von fast 190 Staaten unter einen Hut bringen und in einen Textentwurf gießen, der als „Post 2020-Global Biodiversity Framework“ im Oktober auf dem Weltbiodiversitätsgipfel CBD-COP-15 im chinesischen Kunming verabschiedet werden und den Weg aus dem Artenkrise weisen soll. Dem Naturschutzgipfel kommt damit eine ähnliche Bedeutung zu wie dem Klimagipfel von Paris 2015.
Aus seinem Büro im ehemaligen Kinderzimmer hält van Havre Kontakt zu Regierungsvertretern in Dutzenden Hauptstädten rund um den Globus.
Wir sprachen – ebenfalls online – mit Basile van Havre über den Stand der Verhandlungen, seine Erwartungen an Europa und die Bundesregierung und über die Schwierigkeiten, unter Pandemiebedingungen internationale Abkommen vorzubereiten.
Thomas Krumenacker: Wird der UN-Biodiversitätsgipfel die klaren Ziele für den Naturschutz stecken, die Wissenschaft, viele Regierungen und auch die globale Umweltbewegung fordern, um eine Wende im Artensterben einzuleiten?
Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Werden wir es schaffen, trotz der aktuellen Pandemie einen Prozess auf den Weg zu bringen, der es uns ermöglicht, dass Verhandlungen in Person stattfinden und nicht nur digital? Wenn wir uns nicht treffen können und wenn wir es deshalb nicht schaffen, den ausstehenden Teil der Arbeit zu erledigen, gibt es keine Chance, dass wir uns im Oktober auf ehrgeizige Ziele verständigen können. Das ist das eine. Auf der inhaltlichen Seite sehen wir in den bisherigen Gesprächen, dass einige der verhandelnden Staaten sehr deutlich gemacht haben, dass es große Herausforderungen mit Blick auf das Thema Geld und künftige Finanzarchitektur gibt.
Was bedeutet das konkret?
Wenn wir keinen Weg finden können, in unseren Plänen die notwendige Finanzierung für den Biodiversitätsschutz sicherzustellen, werden wir nicht erfolgreich sein. Es gibt einen erheblichen Bedarf an Finanzmitteln für den Schutz der Vielfalt des Lebens und der Ökosysteme. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass wir nur möglichst dicke Schecks von den Staaten erwarten. Es geht um mehr.
Sie meinen die vom Weltbiodiversitätsrat und anderen geforderte Transformation unserer gesamten Wirtschaftsweise?
Es geht darum, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in unser Wirtschaften zu integrieren. Dazu suchen Unternehmen und Finanzwirtschaft Antworten: wie Investitionen getätigt werden, wie Finanzierung läuft, wie Unternehmen und Staaten ihre Risiken einschätzen und bei ihren Entscheidungen berücksichtigen, wie finanzielle Anreize neu justiert werden. Wir befinden uns gerade in einem erheblichen Umbruch: Einerseits muss die Wirtschaft noch besser verstehen, welche Risiken vom Biodiversitätsverlust für sie ausgeht. Aber auch die verhandelnden Staaten müssen begreifen, dass das Ergebnis dieses Mal sehr anders aussehen wird als beim letzten Mal. Es geht hier nicht um eine Zahl auf einem Blatt Papier. Wir werden ein ganzes Bündel haben mit vielen verschiedenen Einzelelementen.
Das Weltwirtschaftsforum warnt bereits, dass mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung von der Natur abhängt. Wird diese Botschaft in der Wirtschaft verstanden?
Ich habe vor unserem Gespräch mit Vertretern aus der Finanzbranche gesprochen. Dort gibt es eine unglaubliche Bereitschaft, mitzuarbeiten. Mein Eindruck ist, dass diese Leute verstanden haben, dass es am Ende für sie auf den Erhalt der Biodiversität ankommt. Sie sagen uns: Helft uns zu verstehen und wir werden euch helfen.
Wobei?
Es geht jetzt um einen Master-Plan, nicht nur um die klassischen Verhandlungen zwischen einzelnen Staaten. Natürlich verhandeln die Unterzeichnerstaaten, aber genauso müssen die Banken, die Unternehmen und die Zivilgesellschaft an Bord sein. Es fällt nicht allen leicht, diesen Wandel in diese neue Welt zu vollziehen. Aber in diesem Prozess haben alle Teile der Gesellschaften eine wichtige Rolle zu spielen. Am Ende werden wir einen Weg finden, bei dem auf die ein oder andere Weise alle dabei sein werden.
Wir hören, dass die Verhandlungen über das neue Rahmenabkommen auch bedingt durch die Corona-Pandemie nur schleppend vorankommen. Wie läuft es aus Ihrer Sicht?
Es laufen bereits einige sehr wichtige Diskussionen. Das betrifft zum Beispiel die künftigen Regelungen zu den Berichtspflichten und der Bewertung der erzielten Fortschritte bei der Umsetzung künftiger Ziele. Welche Indikatoren wollen wir heranziehen, um Fortschritte zu messen beispielsweise. Auch zum sehr wichtigen Thema der Mobilisierung finanzieller Ressourcen. Wir sind jetzt in einer Phase, wo wir den Dingen wirklich auf den Grund gehen und in die Detailarbeit einsteigen. Dabei bekommen wir als Vorsitzende sehr viel mehr Input als wir erwartet haben – die Delegierten sind sehr gut vorbereitet.
Seit über einem Jahr werden die Verhandlungen ausschließlich virtuell geführt. Ein Sitzungsmarathon reiht sich an den nächsten. Kann man so vorankommen?
Ich stelle fest, dass es in einem reinen Online-Format schwieriger ist, einen Konsens in Positionen herzustellen als in Verhandlungen von Angesicht zu Angesicht. In normalen Verhandlungen präsentiert man zuerst seine Position und beharrt zunächst darauf. Das Ringen und Finden von Kompromisse kommt dann in einer zweiten Phase anschließend. Diesen zweiten Teil sehe ich bisher noch nicht ausreichend. Ich formuliere das nicht als Kritik, sondern stelle es fest.
Wenn wir uns nicht treffen können und wenn wir es deshalb nicht schaffen, einen Teil der Arbeit zu erledigen, gibt es keine Chance, dass wir uns im Oktober auf ehrgeizige Ziele verständigen können.
Der chinesische Umweltminister hat nun überraschend angekündigt, dass sogar der gesamte Weltbiodiversitätsgipfel in einem hybriden Format stattfinden soll – also teilweise virtuell und nur zum Teil in physischer Präsenz. Ist so etwas überhaupt vorstellbar?
Wir haben dieses Statement auch vernommen. Das ist aber eigentlich eine Frage für das Organisationsbüro des Gipfels. Ich glaube, die Organisatoren beider anstehender Gipfel – Klima und Biodiversität – überlegen gerade, wie die Veranstaltungen abgehalten werden können. Was uns betrifft: Wir sind jetzt in einer Phase, wo wir wissen, wieviel Arbeit noch geleistet werden muss bis zum geplanten Gipfeltermin. Unter normalen Umständen würde ich sagen: Zwei Wochen direkte Verhandlungen von Angesicht zu Angesicht irgendwann im August und vielleicht noch eine weitere Woche im Oktober – dann könnten wir das schaffen, eine gute Vorlage zu erarbeiten.
Und auf dem Wege von Online-Konferenzen wie bislang seit mehr als einem Jahr?
Geht das auch in einem virtuellen Format? Ich weiß es wirklich nicht. Ich glaube, es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keine endgültigen Entscheidungen über das Format des Gipfels. Wir sind im Rahmen, wir verfolgen eine Strategie der kleinen Schritte und jetzt ist es an der Zeit, über diese Dinge nachzudenken.
Das klingt nicht gerade optimistisch.
Ich sage nicht, hier gibt es ein Problem, aber das sind Arbeitspakete und Entscheidungen, die in den kommenden Wochen anstehen. Wenn wir uns nicht treffen können und wenn wir es deshalb nicht schaffen, einen Teil der Arbeit zu erledigen, gibt es keine Chance, dass wir uns im Oktober auf ehrgeizige Ziele verständigen können.
Vor zehn Jahren hat sich die Welt schon einmal ambitionierte Ziele zum Schutz der Natur gesetzt. Kein einziges dieser Aichi-Ziele wurde erreicht. Werden wir in zehn Jahren wieder feststellen müssen: Schöne Ziele, aber leider alle verfehlt – oder wird es in einer neuen Rahmenvereinbarung auch eine verlässliche Umsetzung samt Kontrollen geben?
In der zuständigen Arbeitsgruppe gibt es dazu sehr harte Diskussionen. Hier ist noch einiges an Arbeit zu leisten. Meiner Meinung nach sind diejenigen, die stärkere Kontrollen bei der Umsetzung von Zielen und das wollen, was wir in der Verhandlungssprache „robuste Instrumente“ nennen, nicht stark genug und nicht besonders gut organisiert. Diejenigen, die eine Lösung suchen, die mehr auf gegenseitiges Vertrauen und auf nationale Berichtspflichten setzen, vertreten ihre Sache dagegen sehr stark und effektiv.
"Eine aktivere und präsentere Europäische Union wäre sehr wichtig für den Prozess."
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle Europas bislang?
Die Europäische Union hat im internationalen Konzert eigentlich eine sehr starke Stimme. Meiner Meinung nach erklingt diese Stimme aber nicht sehr häufig. Die meisten Beiträge kommen von den anderen entwickelten Staaten.
Von wem?
Es ist zum Beispiel sehr interessant zu sehen, dass Großbritannien eine sehr aktive und auch proaktive Rolle spielt. Ich weiß, dass die Ausgangslage in der EU nicht einfach ist. Es gibt die Notwendigkeit, eine gemeinsame Sprachregelung zwischen sehr unterschiedlichen Positionen zu finden. Das macht es schwierig, rasch zu reagieren. In den Routinediskussionen ist von der EU nichts zu hören. Wenn es um harte Probleme geht, sind ihre Vertreter aber da und auch sehr effektiv.
Ist die EU zu passiv in den Verhandlungen?
Ihre Stimme könnte lauter sein. Ich würde mir wünschen, dass die Europäische Union Wege hin zu einer stärkeren und flexibleren Sprache findet. Und die EU könnte enger mit anderen Ländern zusammenarbeiten wie Norwegen, der Schweiz, Kanada oder Großbritannien. Eine aktivere und präsentere Europäische Union wäre sehr wichtig für den Prozess.
Inhaltlich vertritt die EU, wenigstens auf dem Papier, eine sehr fortschrittliche Haltung. Beispielsweise hat sie eine Biodiversitätsstrategie auf den Weg gebracht, die sehr viele wichtige Veränderungen enthält. Hilft dieses Vorangehen?
Solche Initiativen sind sehr wichtig und können auch eine Art Vorbild sein. Das ist auch der Grund dafür, warum ich meine Anmerkungen zur EU nicht als negative Kritik verstanden wissen möchte. Sie haben gute Konzepte, sehr gute Experten, treiben intelligente Diskussionen voran. Aber wenn es darum geht, diese Positionen in den multilateralen Rahmen, in die Verhandlungen zwischen den Staaten einzubringen, sehen wir sie nicht auf dem Niveau spielen, auf dem sie es tun sollte.
Was ist ihre Erklärung für diese Zögerlichkeit?
Ich glaube nicht, dass es Zögerlichkeit ist. Sie müssen sich intern auf eine bestimmte Linie verständigen und diese ist dann ein Kompromiss. Wenn die Unterhändler dann diese sehr spezifische Position vertreten müssen, ist es schwierig, einen Punkt zu machen. Wenn man in seinem Mandat nur wenig Spielraum hat, kann man nicht reagieren. Es ist viel einfacher für jemanden, der nur einen Staat vertritt, auf den Tisch zu hauen und zu erklären: Das ist Unsinn, das kommt nicht in die Tüte.
Bedeutet das aber nicht auch, dass die EU noch nicht ihre Hausaufgaben gemacht hat und sich intern auf klare Positionen verständigt hat?
Ich glaube, es liegt mehr an der sehr komplexen Ausgangssituation, eine gemeinsame Position aus sehr unterschiedlichen Grundhaltungen heraus zu formulieren. Im Ergebnis treten die EU-Verhandler mit einem Mandat auf, das recht präzise Sprachregelungen umfasst. Ich bin sicher, dass auch die Unterhändler lieber mehr Spielraum hätten, um sich in die Diskussionen einzubringen. Aber das gute ist: Wenn es um kritische Elemente geht, sind sie da, gar keine Frage. Wenn es darum geht, das das Komma in einem Text zu entdecken, das die Bedeutung des ganzen Satzes ändert, ist die EU da.
Südamerikanische Staaten werden sich nicht für ein System einsetzen, das aus ihrer Sicht bedeutet, dass sie Teile ihrer staatlichen Hoheit abgeben müssten.
Wer bremst in den Verhandlungen und wer treibt den Prozess voran?
Wenn Sie mich als Ko-Vorsitzenden fragen würden, wie sehen die unterschiedlichen Haltungen aus, wäre es für mich einfacher, die Frage zu beantworten.
Wie sehen für Sie als Ko-Vorsitzenden die unterschiedlichen Positionen aus?
Es gibt eine Reihe sehr gut organisierter Entwicklungsländer, die sehr auf die Bewahrung dessen achten, was sie als ihre staatliche Souveränität ansehen. Südamerikanische Staaten beispielsweise werden sich nicht für ein System einsetzen, das aus ihrer Sicht bedeutet, dass sie Teile ihrer staatlichen Hoheit abgeben müssten. Das betrifft etwa Berichtspflichten. Auch einige asiatische Länder vertreten eine ähnliche Linie.
Und die andere Gruppe?
Das sind Staaten, die sehen, dass stärkere Kontrollen dafür nötig sind, dass vereinbarte Ziele auch umgesetzt werden. Das bedeutet, einige nationale Privilegien abzugeben und die Kontrolle über die Umsetzung an ein internationales Gremium zu überantworten – so, wie es auch im Klimaschutz gemacht wird..
Bedeutet das beispielsweise konkret, dass Staaten wie Brasilien nicht grundsätzlich gegen Biodiversitätsschutz sind, aber blockieren, wenn sie Fremdbestimmung fürchten?
Das ist eine gute Übersetzung. Ich habe sehr gute Gespräche mit den Unterhändlern beispielsweise aus Brasilien und Argentinien. Denken sie nur daran, dass Brasilien mit die strengsten Gesetze zum Lebensraumschutz hat. Es geht sehr stark um Fragen der Perspektive und darum, diese Sichtweise zu verstehen und daraus Lösungen zu entwickeln. Brasilien einfach zu sagen, dass sie ihre wirtschaftliche Entwicklung nicht vorantreiben dürfen, wird nicht funktionieren. Das gilt umso mehr, wenn solche Forderungen aus Ländern kommen, die ihre eigene Biodiversität durch Übernutzung selbst sehr stark geschädigt haben. So wird das nichts werden.
Wie kann es dennoch Fortschritte geben?
Wir müssen international zu Abläufen kommen, die beispielsweise über die Lieferketten die Interessen der Produzenten und der Natur berücksichtigen. Wenn wir in einen Supermarkt gehen und ein argentinisches Steak kaufen, muss zuerst sichergestellt sein, dass es aus einer nachhaltigen Landwirtschaft kommt und dass ein Teil des Preises an die Produzenten und den Schutz der Lebensräume zurückfließt, die zur Herstellung genutzt wurden. Wenn wir härter an solchen Lösungen arbeiten, werden diese Länder an Bord sein.
Es gibt ein beachtliches Maß an Unterstützung für das Ziel, 30 Prozent des Globus unter Naturschutz zu stellen.
Neben den Finanzaspekten, wo hakt es weiter?
Wenn es um konkrete mit Zahlen unterlegte Ziele beispielsweise für Düngung und den Einsatz von Pestiziden geht, wird es sicher sehr spannend. Auf diesem konkreten Niveau sind wir aber noch nicht – wir sind noch nicht in die Detaildiskussion über konkrete Ziele eingestiegen. Ich bin sicher, dass wir etwa gute Diskussionen über das Ziel des Schutzes von 30 Prozent der Land und der Meeresfläche haben werden.
Werden wir am Ende das von vielen als sehr wichtig erachtete Ziel erreichen, jeweils 30 Prozent der Land- und Meeresfläche unter effektiven Schutz zu stellen?
Es ist eigentlich nicht meine Aufgabe, das zu sagen. Aber ich sehe ein beachtliches Maß an Unterstützung für dieses Ziel. Wichtige Länder wie etwa China stehen dem recht positiv gegenüber. Ich bin hoffnungsvoll, dass die Staaten hier einen Konsens finden werden.
Das Konzept, Klimaschutz und Biodiversitätsschutz gemeinsam voranzutreiben, gewinnt unter dem Stichwort Nature based Solutions starke Unterstützung. Wie wichtig ist dieser Ansatz ?
Das ist eine sehr wichtige Entwicklung. Nature-based Solutions werden ein entscheidender Teil der Lösung sein müssen, aber sie können nicht die ganze Lösung sein. Es gibt eine Schnittmenge zwischen den Komplexen Klima und Biodiversität. Die Experten sagen uns, dass naturbasierte Lösungen für den Klimaschutz bis zu 30 Prozent der nötigen Einsparungen von Treibhausgasen ausmachen können. Und die Kosten naturbasierter Lösungen sind in der Regel geringer als wenn dies auf anderem Wege stattfinden würde.
Die Staaten geben sehr viel mehr Geld für Klimaschutz aus als für Naturschutz. Wenn nun tatsächlich Klimaschutzmittel im großen Maßstab in die Renaturierung von Lebensräumen flössen, könnte dann vor allem der Biodiversitätsschutz stark profitieren?
Absolut. Auch wenn dann vielleicht nicht 30 Prozent des Geldes wieder auf unsere Seite des Biodiversitätsschutzes fließen wird, bleibt es doch ein beachtlicher Teil der Lösung für die finanziellen Fragen. Die größte Herausforderung in dieser Hinsicht wird es aber sein, naturschädliche Subventionen endlich abzubauen und die freiwerdenden Mittel an neue Zwecke zu knüpfen. Das ist die wichtigste Priorität. Hier müssen die Finanzminister der einzelnen Staaten eine wichtige Rolle einnehmen. Es gibt Fortschritte, aber es liegt noch sehr viel Arbeit vor uns.
Hier verpasst die EU gerade eine Riesenchance. Die Gemeinsame Agrarpolitik ist eines der größten naturschädlichen Subventionsprogramme. Und es zeichnet sich ab, dass es hier keinen Systemwechsel hin zu einer Bindung der Milliardensummen an ökologische Voraussetzungen geben wird. Raubt das nicht die Glaubwürdigkeit der europäischen Position?
Es ist ein schrittweiser Prozess. Es wird interessant sein zu sehen, wie Großbritannien das regelt, denn sie starten nach dem EU-Austritt komplett neu. Hier gibt es die Chance für eine neue Politik, die den Rahmen setzt, der gebraucht wird. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Dinge ändern werden. Und dass auch die Europäische Union dazu in der Lage sein wird.
Sie erwähnen Großbritannien nun bereits zum zweiten Mal positiv. Auch mit Blick auf den Klimaschutz hat das Gastgeberland der nächsten Weltklimakonferenz starke Initiativen angekündigt, nicht zuletzt mit Blick auf Nature-based Solutions. Nimmt die britische Regierung auch bei den Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen für die biologische Vielfalt eine so positive Rolle ein?
Eindeutig. Sie agiert sehr proaktiv, sehr interessiert. Ich spreche regelmäßig mit Minister Goldsmith, sie sind wirklich engagiert. Und vergessen wir nicht: Die Regierung dort kann sich auf eine große Unterstützung in der Bevölkerung verlassen, denn die ist ebenso engagiert, was den Naturschutz angeht wie beim Klimaschutz.
Zu Beginn der Pandemie gab es die Hoffnung, dass Corona vielleicht sogar die Bereitschaft zum Schutz der Artenvielfalt erhöht, schließlich zeigt die Pandemie, wie wichtig eine intakte Natur ist. Spielt dieser wichtige Punkt überhaupt noch eine Rolle?
Sie werden genau wie ich die Berichterstattung über die neu aufgeworfene Frage zum Ursprung der Pandemie verfolgt haben. Überlassen wir es den wissenschaftlichen Experten, uns zu sagen, wie diese Pandemie entstanden ist. Die Verbindung zwischen zoonotischen Krankheiten und menschlicher Gesundheit, der „One Health“-Ansatz – nach dem die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt eng miteinander verknüpft sind und gemeinsam geschützt werden müssen – ist nicht mehr aus der Diskussion wegzudenken. Das wird bleiben.
Welche Erkenntnisse aus der Zeit der Pandemie – die ja noch nicht vorbei ist – werden noch überdauern?
Die Corona-Pandemie hat uns sehr deutlich gemacht, dass wir ein besseres System brauchen, zoonotische Erkrankungen zu managen und ihre Entstehungen wachsam zu verfolgen. Auch hat sich gezeigt, dass der Ansatz, Krisen gemeinsam, multilateral zu bekämpfen, die bessere Alternative zu rein nationalen Vorgehen ist. Es lohnt sich, gemeinsam in Krisen oder Katastrophenvorsorge zu investieren. So schrecklich hoch der Preis dafür war, denke ich, dass die Menschen das nun viel besser verstehen als zuvor.
Auch die neue US-Regierung unter Präsident Joe Biden hat sich im Klimaschutz zurück auf der Weltbühne gemeldet. Die USA sind aber nicht Mitglied der Konvention über biologische Vielfalt. Wie wichtig wäre ihr Beitritt der größten Volkswirtschaft der Erde zur CBD?
Das wäre natürlich fantastisch und sehr hilfreich. Denn es würde ein sehr starkes Signal senden, beispielsweise an Organisationen wie den Internationalen Währungsfonds (IWF). So lange die USA nicht Teil der CBD sind, hat auch im IWF die Finanzierung von Biodiversitätsschutz eine geringere Priorität – denn die USA sind einer der größten Anteilseigner am Fonds und bestimmen maßgeblich die Förderprioritäten.
Gibt es Hinweise, dass die US-Regierung einen Beitritt erwägt?
Sie haben sich auf das 30-Prozent-Naturschutzziel verpflichtet, das ist wichtig. Sie bekennen sich zum Konzept der naturbasierten Lösungen für den Klimaschutz, ebenfalls sehr wichtig. Aber das Rechtssystem in den USA macht es sehr unwahrscheinlich, dass wir in der näheren Zukunft einen CBD-Beitritt sehen werden. Dazu bräuchte es eine 60-Prozent-Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Die ist nicht absehbar. Wir würden es sehr begrüßen, aber wir rechnen jetzt nicht unmittelbar damit und halten deshalb unseren Atem an.
Was erwarten Sie von Europa und vielleicht auch von Deutschland im Hinblick auf einen erfolgreichen COP- 15
Deutschland ist ein wichtiger und guter Akteur im gesamten Prozess. Wir sehen viele Dinge durch die gleiche Brille. Wichtig ist, dass Deutschland wie die EU insgesamt sich weiter in den Dialog einbringt. Und dass es noch härter daran arbeitet, dass die EU und generell die entwickelten Staaten eine starke Stimme haben gegenüber denjenigen, die nicht so ambitioniert sind. Zweitens wünschte ich mir noch mehr Anstrengungen mit Blick auf die Mobilisierung der nötigen Finanzmittel – in dem Sinne, dass es ein Paket geben wird, das den Bedürfnissen der Entwicklungsländer entspricht. Sowohl was die langfristigen grundsätzlichen Veränderungen angeht, über die wir gesprochen haben wie auch bei der Brückenfinanzierung.
Es wird eine Verdoppelung des deutschen Beitrags für Biodiversitätsschutz von derzeit 500 Millionen Euro im Jahr auf eine Milliarde gefordert. Wäre das ein Wort?
In der Tat.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.