Hallo wach! Wie es uns gelingt, mit der Zeit zu leben. Teil 2: Mehr Dunkelheit!

Nicht nur helles Licht am Tag hilft unserer inneren Uhr und sorgt für tiefen, erholsamen Schlaf. Auch Dunkelheit am Abend und in der Nacht ist wichtig für unsere Gesundheit. Denn Leben ist Rhythmus. Zweiter Teil der RiffReporter-Serie über eine neue Zeitkultur.

24 Minuten
Ein Ausschnitt der Erde bei Nacht. In der Mitte die leichte Krümmung des Horizonts, darüber ein bläuicher Schimmer und der dunkle Himmel, darunter viele helle Leuchtpunkte, die von den Großstädten stammen.

Leben ist Rhythmus

Leben ist Rhythmus. Leben ist Musik. Ohne periodisches Auf und Nieder vieler verschiedener Uhren, die wie die Instrumente eines Orchesters miteinander harmonieren, wäre Leben nicht möglich, denn nichts belastet biologische Systeme mehr als Disharmonie und Gleichförmigkeit.

Das gilt auch für Sie, geschätzte Leser: Werden Ihre Augen fixiert, so dass Sie permanent auf denselben Fleck starren müssen, sehen Sie rasch gar nichts mehr. Im Dauerlärm verlieren Ihre Ohren jede Sensibilität. Ihre Muskulatur verfällt, wenn Sie niemals entspannen kann. Ihre Nerven verarbeiten keine Signale mehr, wenn ihre Erregung nicht schwanken darf. Und auch Ihr Gehirn muss regelmäßig vom Modus der Datenaufnahme (Wachheit) in jenen der Datenverarbeitung (Schlaf) wechseln, um leistungsfähig zu bleiben.

Der Wechsel aus Ruhe und Aktivität ist ein biologisches Grundprinzip. Und das fundamentale Timing dieser Rhythmik wird zusätzlich von der Physik bestimmt. Die Evolution hat sich die musikalische Orchestrierung des physiologischen Geschehens nämlich geschickt zunutze gemacht. Die Taktung der Umwelt vorauszuahnen, ist für Organismen ein unschätzbarer Vorteil. Manchen Tieren hilft es, bei Sonnenaufgang schon aktiv zu sein, anderen, vor dem ersten Frost in den Winterschlaf zu fallen. Und natürlich folgt auch der Mensch unbewusst den Rhythmen seiner Billionen Zellen, die allesamt verbunden sind zu einem hochkomplexen Räderwerk des Zeitgefühls.

Forschende erkunden, wie, wo und warum das Uhrwerk der Natur so tickt, wie es tickt. Die lawinenartig angewachsenen Erkenntnisse der Wissenschaft begreifen, heißt sein Leben ändern. Im ersten Teil dieser Artikelserie habe ich erklärt, warum uns helles Licht tagsüber gut tut. Es ist nur folgerichtig, sich als Nächstes mit der Dunkelheit bei Nacht zu beschäftigen.

Hell und dunkel: Wir brauchen beides

Hell und dunkel: Das ist der bestimmende Rhythmus unseres Lebens. Er prägt unsere Natur und die unserer biologischen Vorfahren seit Milliarden Jahren. Doch so, wie das Licht am Tag derzeit aus unserer Existenz verschwindet, so werden die Nächte für uns Menschen immer heller. Auf der Strecke bleibt die innere Rhythmik – unser Gleichgewicht. Und weil Leben Rhythmus ist, belastet diese Tendenz in letzter Konsequenz das Leben selbst.

Mäuse, die einem ungewohnten Hell-Dunkel-Zyklus ausgesetzt sind, altern schneller. Ist es nachts hell, werden sie zudem dick, selbst wenn sie nicht mehr fressen und genauso aktiv sind wie andere Mäuse, die unter natürlichen Lichtbedingungen gehalten werden. Leben Mäuse in einem Hell-Dunkel-Rhythmus von abwechselnd dreieinhalb statt der natürlichen ungefähren zwölf Stunden, schlafen sie zwar nicht weniger als sonst.

Eine Landkarte der Erde bei Nacht, die aus realen Fotos zusammengesetzt wurde. Deutlich zeichnen sich fast überall, wo Land ist, hell erleuchtete Städte und Straßen ab. Nur an den Polen sowie in den großen Wüsten udn Gebirgen ist es noch dunkel.
Die Erde bei Nacht: Es wird allmählich schwierig, einen wirklich dunklen Ort zu finden. Unter der Lichtverschmutzung leiden die inneren Uhren von Mensch und Tier. Das Bild wurde aus vielen Fotos zusammengesetzt.
Weiße und gelbe Lichter füllen das gesamte Bild und erzeugen das Straßenmuster einer typischen  Großstadt. In der Mitte fällt der Lauf eines Flusses auf, weil er das einzig dunkle im Bild ist.
In Großstädten ist die nächtliche Lichtverschmutzung besonders groß. Das Bild wurde im Jahr 2013 aus der Internationalen Raumstation ISS aufgenommen.
Die typische, an einen Stiefel erinnernde Form Italiens zeichnet sich aus dem Weltraum betrachtet als Lichtermeer im Dunkel des tatsächlichen Meers ab.
Mitteleuropa ist besonders dicht besiedelt. Aus dem Weltraum ist zum Beispiel die Lichtverschmutzung in Italien gut zu sehen.
Eine Hand hält ein Streichholz und zündet damit eine Kerze an.
Kerzenlicht am Abend ist nicht nur gemütlich, es hilft auch unserer inneren Rhythmik und damit unserer Schlafqualität.
Ein Mann sitzt mit hell erleuchtetem Gesicht nachts im Bett. Er schaut auf sein Smartphone.
Innere Uhren reagieren besonders empfindlich auf das bläuliche Licht aus LED Monitoren. Es ist deshalb keine gute Idee, nachts auf das Smartphone zu schauen.

Sie möchten mehr über die neue Zeitkultur erfahren?

Weiter lesen Sie im dritten Teil der Serie

Teil 3: Werft die Wecker weg!

Die inneren Uhren der Menschen ticken verschieden. Manche sind Eulen, manche Lerchen, viele haben den durchschnittlichen Chronotyp. Eine Gesellschaft, die darauf Rücksicht nimmt, profitiert gewaltig.

Eine Einführung in das Thema samt der Übersicht über alle Beiträge finden Sie im Prolog.

Alle Beiträge dieser Serie erschienen erstmals im Buch „Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“. Sie wurden jetzt überarbeitet und aktualisiert.

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