Hallo wach! Aufbruch in eine neue Zeitkultur. Prolog: Warum wir lernen müssen, mit der Zeit zu leben

Ein Leben gegen die Zeit macht unzufrieden, leistungsschwach und oft sogar krank. Dagegen hilft eine neue Zeitkultur. Wie sie funktioniert, erklärt eine neue Artikelserie bei RiffReporter. Hier der Einstieg.

12 Minuten
Im Zentrum verläuft ein gerader asphaltierter Weg, darüber ein Stück blauer Himmel, das von einem intensiven Regenbogen umrahmt wird. Außerhalb des Bogens ist der Himmel von grauen Wolken bedeckt.

Mehr erreichen – weniger tun

Kennen Sie das? Sie werden morgens wach, sinnen noch dem letzten Traum nach, drehen sich zwei Mal um, gähnen beherzt, reiben sich die Augen und schauen schließlich auf den Wecker. Und dann, ein oder zwei Sekunden später, klingelt er auch schon. Sehr vielen Menschen passiert das immer wieder, oft gerade dann, wenn sie deutlich vor der gewohnten Zeit aufstehen sollen.

Haben wir übersinnliche Fähigkeiten? Wohl eher nicht. Aber was wir haben seit unserer Geburt, was schon unsere Vorfahren hatten, sogar jene, die noch gar keinen Wecker kannten, ist eine Art siebter Sinn, ein permanentes, unterbewusstes Gespür für Zeit.

Wenn wir lernen, dieses Zeitgefühl für uns arbeiten zu lassen, wenn wir es noch besser verstehen und Teile unseres Lebens gezielt danach ausrichten, dann wird uns gelingen, was in der jetzigen, auf Optimierung und Wachstum fokussierten Gesellschaft unmöglich erscheint: Wir werden mehr erreichen, obwohl wir weniger tun. Wir werden uns dabei besser fühlen und gesünder und fitter sein.

Innerer Wecker

Der menschliche Körper weiß ganz ohne Zutun des Bewusstseins, wann wir aufstehen sollen. Knapp zwei Stunden bevor wir aufwachen, regt sich bereits das Zwischenhirn. Hier, in einer entwicklungsgeschichtlich alten Struktur im Zentrum des Denkorgans, beginnt für unseren Körper der Tag.

Jetzt befiehlt die Kommandozentrale des inneren Zeitgefühls die Ausschüttung des sogenannten Corticotropin-freisetzenden Hormons, kurz CRH. Dieser Moment bleibt unserem Wachbewusstsein zwar verborgen. Vorbestimmt haben wir ihn dennoch selbst, oft bereits vor dem Einschlafen, als wir darüber nachdachten, zu welcher Zeit wir aufwachen sollen.

Rasch erreicht der Botenstoff aus dem Zwischenhirn die Hirnanhangdrüse, die sogleich größere Mengen eines weiteren Hormons abgibt, Adenocorticotropin genannt. Das gelangt über das Blut zu den Nebennierenrinden, die daraufhin das allseits bekannte Stresshormon Cortisol ausschütten.

Und das ist endlich das Signal an den Rest des Körpers, sich aufs Wachwerden vorzubereiten: Blutdruck und Puls steigen, die Leber produziert Zucker als Energiequelle für die ersten mühsamen, noch verschlafenen Schritte ins Badezimmer. Die Muskulatur wird stärker durchblutet, damit der Zucker auch sein Zielorgan erreicht, und das Immunsystem, das während des Schlafs auf Hochtouren Erreger aller Art bekämpft hat, fährt sich allmählich herunter.

Ein schwarz-weiß-Bild zeigt einen fensterlosen Raum mit Bett, Schreibtisch und Schränken. In der Mitte sitzt eine Frau auf einem Stuhl.
Das Leben im „Bunker“: Bis zu einen Monat lebten Versuchspersonen in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ohne jede Information zur Uhrzeit in einer Isolationskammer unter der Erde beim Max-Planck-Institut in Andechs.
Ein Mann verlässt eine bunkerartige Versuchsanlage und reckt freudestrahlend die Hände nach oben.
Dieser Mann hatte ohne einen von außen vorgegebenen Hell-Dunkel-Rhythmus und ohne Kenntnis der Uhrzeit vier Tage in der unterirdischen Versuchskammer bei Andechs verbracht. Er freut sich, wieder „in Freiheit“ zu sein.
Zwei Personen gehen in einem Wald spazieren. Man sieht sie von hinten. Von vorne strahlt das Sonnenlicht.
Lichtduschen sind gesund. Morgens stellen sie die innere Uhr zudem vor und helfen bei der Anpassung an frühe Schul- und Arbeitszeiten.

Hallo wach! Aufbruch in eine neue Zeitkultur. Die Serie im Überblick:

Teil 1: Mehr Licht! (erscheint am 24. Januar)

Woher weiß der Körper, wie viel Uhr es ist? Wieso hilft eine stabile innere Uhr beim Ein- und Durchschlafen? Und was hat Licht damit zu tun?

Teil 2: Mehr Dunkelheit! (erscheint am 21. Februar)

Nicht nur helles Licht am Tag hilft unserer inneren Uhr und sorgt für tiefen, erholsamen Schlaf. Auch Dunkelheit am Abend und in der Nacht ist wichtig. Denn Leben ist Rhythmus.

Teil 3: Werft die Wecker weg! (erscheint am 7. März)

Die inneren Uhren der Menschen ticken verschieden. Manche sind Eulen, manche Lerchen, viele haben den durchschnittlichen Chronotyp. Eine Gesellschaft, die darauf Rücksicht nimmt, profitiert gewaltig.

Teil 4: Schafft die Sommerzeit und andere Schlafräuber ab! (erscheint am 21. März)

Wir müssen schlafen, um körperlich und geistig fit zu bleiben. Dennoch raubt uns die Gesellschaft systematisch Schlaf. Eltern gehören entlastet, die Sommerzeit gehört abgeschafft und vieles mehr.

Teil 5: Vom Ende der Schichtarbeit (erscheint am 4. April)

Menschen sind nicht dafür gemacht, den Tag immer wieder zur Nacht zu machen. Auf Dauer können Schicht- und Nachtarbeit krank machen. In einer neuen Zeitkultur werden wir umdenken müssen.

Teil 6: Macht Schulzeiten für Lernende, nicht für Lehrer! (erscheint am 18. April)

Jugendliche ticken anders als Kleinkinder und Erwachsene. Sie werden spät müde und müssen morgens länger schlafen. Es wird höchste Zeit, dass Schulen und Ausbildungsbetriebe darauf Rücksicht nehmen.

Teil 7: Mach mal Pause! (erscheint am 2. Mai)

Gehirn und Körper sind nicht dafür gemacht, über lange Zeit hinweg auf hohem Niveau zu arbeiten. Wer sich regelmäßige Auszeiten gönnt, wird mit besseren Resultaten belohnt.

Teil 8: Esst euch fit! (erscheint am 23. Mai)

Im letzten Teil der Serie geht es darum, wie wir sogenannte periphere Uhren im Körper unterstützen können. Denn Essen und Bewegen zur rechten Zeit machen nicht nur Sportlerïnnen fitter.

Alle Beiträge dieser Serie erschienen erstmals im Buch „Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“. Sie wurden jetzt überarbeitet und aktualisiert.

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