Hallo wach! Wie es uns gelingt, mit der Zeit zu leben. Teil 3: Werft die Wecker weg!

Die inneren Uhren der Menschen ticken verschieden. Manche sind Eulen, manche Lerchen, viele haben den durchschnittlichen Chronotyp. Eine Gesellschaft, die darauf Rücksicht nimmt, profitiert gewaltig. Dritter Teil der RiffReporter-Serie über eine neue Zeitkultur.

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Im Vordergrund steht ein altmodischer Wecker und zeigt sieben Uhr. Unscharf sieht man dahinter einen Mann im Bett liegen, der die Hand ausstreckt, um den Wecker abzustellen.

Frühe Vögel

Jeder kennt sie: diese netten, aufgeweckten Kollegïnnen, die morgens immer als erste im Büro sind. Bestgelaunt und perfekt gestylt grüßen sie Neuankömmlinge mit freundlichem Hallo und überfallen die werten Mitarbeitenden sogleich mit einer Reihe trefflicher Ideen. Auf Ihrem Schreibtisch herrscht schon um acht Uhr morgens Ordnung, da sie die Aufträge vom Vorabend schon abgearbeitet haben. Liegengebliebene E-Mails sind selbstredend längst beantwortet. Auch das zweite Frühstück ist bereits Geschichte – und der Inhalt der Tageszeitung komplett verinnerlicht.

Kaffee trinken diese Menschen selten, allenfalls Tee. Meistens begnügen sie sich mit Wasser. Das ganze Büro profitiert von ihrer frühmorgendlichen Betriebsamkeit.

Die viel später eintreffenden Kaffeetrinker, die vor zehn Uhr auch über den besten Scherz nicht lachen können, Geselligkeit keinesfalls vor 11 Uhr schätzen und wichtige Telefonate ob ihrer Morgenmuffeligkeit lieber erst ab 12 Uhr führen, sind immer wieder irritiert und nicht selten genervt: Wie schafft der Kollege das bloß, morgens immer schon so fröhlich zu sein? Was für Pillen schluckt die Chefin nach dem Aufstehen, dass sie in aller Herrgottsfrühe ein fröhliches Liedchen nach dem anderen trällert?

„Morgenstund hat Gold im Mund“ oder „Der frühe Vogel fängt den Wurm“. Das sind die Lieblingssprüche der Frühaufstehenden. Sie benötigen im Allgemeinen keinen Wecker zum rechtzeitigen Wachwerden – und danach natürlich auch keine Gute-Laune-Pillen.

Um fünf oder sechs Uhr, manche sogar schon um vier, wachen sie ohne fremdes Zutun auf, haben anschließend reichlich Zeit für Frühsport, Haushalt, Zeitung, den Hund und das Frühstück, das zudem besonders üppig ist, da sie bereits ordentlich Appetit entwickeln. Schließlich gehen sie rechtzeitig für das erste Leistungshoch des Tages zur Arbeit, meist lange vor den Kollegïnnen.

Am Wochenende nehmen sie das Mittagessen zu sich, wenn andere gerade erst die Brötchen für das Frühstück holen. Dafür fallen ihnen abends frühzeitig die Augen zu. Die Gesprächigkeit der Frühaufstehenden verschwindet schlagartig, wenn die Morgenmuffel beim geselligen Spieleabend oder beim gemeinsamen Schwatz nach dem Feierabendsport so richtig aufdrehen. Frühaufstehende sind meist auch Partymuffel.

Späte Vögel

Ganz anders die Spätaufstehenden: „Morgenstund ist ungesund“ oder „Der frühe Vogel kann mich mal“, kalauern sie. (Beides übrigens Titel empfehlenswerter Bücher.) Sie wären abends, wenn sie einschlafen sollen, gerne mal so müde wie morgens, wenn der Wecker klingelt. Aufstehen vor neun, zehn oder elf Uhr ist für sie die größte Qual. Appetit entwickeln sie erst gegen Mittag und gute Laune auch nicht viel früher.

Dafür sind sie spätnachmittags und abends richtig auf Touren. Wenn die Kollegïnnen erschöpft Feierabend machen, gönnen sie sich die eine oder andere Überstunde, weil sie nun besonders effektiv, konzentriert und kreativ arbeiten können. Die morgens liegen gebliebene Korrespondenz ist im Handumdrehen abgearbeitet. Das längst überfällige Exposé schreibt sich wie von alleine. Neue Ideen kommen haufenweise.

Auf Partys sind diese Menschen oft die letzten, die gehen. Für Gastgebende kann das quälend sein, zumindest wenn die Spätaufsteherïnnen so gut drauf sind (oder so viel getrunken haben), dass sie auch das heftigste Gähnen samt standhaft durchgehaltenem Dauerschweigen nicht bemerken. Doch man darf es ihnen nicht verübeln: Sie werden einfach erst spät müde.

Von Eulen und Lerchen

Die inneren Uhren von Menschen ticken verschieden. Die einen scheinen dem Tagesablauf der Mehrheit immer ein bisschen voraus zu sein, die anderen hinken hinterher. Chronobiologïnnen sprechen in diesem Zusammenhang von Chronotypen. Und sie haben anschauliche Namen für die Extreme gefunden: Spätaufstehende heißen Eulen, Frühaufstehende Lerchen.

Die Rhythmen der Lerchen sind immer ein wenig nach vorne verlagert. Sie sind morgens sehr früh wach, können abends aber nur mit Schwierigkeiten lange aufbleiben. Ihre Leistungshochs liegen am frühen Vormittag sowie kurz nach der Mittagszeit.

Ganz anders die Eulen: Sie haben tendenziell verzögerte Rhythmen. Sie werden abends sehr spät müde und morgens kaum wach. Ihre Leistungsfähigkeit ist am Mittag besonders hoch, und auch spätnachmittags bis abends laufen sie noch einmal zur Höchstform auf. Das durchschnittliche Schlafbedürfnis der Eulen ist übrigens nicht höher als jenes der Lerchen. Deshalb ist der gängige Begriff „Langschläfer“ ein Missverständnis.

Diese Fotomontage zeigt links eine Lerche und rechts eine Eule.
Als Eulen und Lerchen werden die extremen menschlichen Chronotypen bezeichnet. Die Eulen sind die Spättypen, die abends spät müde werden und morgens lange schlafen können. Lerchen sind die Frühtypen, die abends früh müde werden und morgens ebenfalls früh ausgeschlafen sind.
Über einem schönen Abendhimmel ist in einer Fotomontage ein dunkles Zifferblatt geblendet.. Die Zeiger stehen auf 6:49 Uhr..
Unsere innere Uhr folgt der Sonnenzeit, also dem Lauf der Sonne über den Himmel. Darüber, wann wir aufstehen müssen, bestimmt aber meist die soziale Zeit, also der Arbeits- oder Schulbeginn (Symbolbild).
Zwei Grafiken mit mehreren Balken, die weitgehend einer Normalverteilung folgen.
Der Chronotyp beschreibt, wie sich Menschen aufgrund ihrer individuellen inneren Uhren in den äußeren Tag-Nacht-Rhythmus einfügen. Die Grafik zeigt Umfrageergebnisse zu Schlafzeiten an arbeitsfreien Tagen von rund 150.000 Mitteleuropäern, die mit Hilfe eines Chronotyp-Fragebogens gewonnen wurden. Links: Etwa zwei Drittel gehören zu einem der mittleren Chronotypen. Je ein Sechstel fallen in die Kategorien Lerchen oder Eulen (moderate bis extreme Formen). Die meisten Menschen (etwa ein Drittel) schlafen ohne äußeren sozialen Zwang von null bis acht Uhr oder 0:30 bis 8:30 Uhr. Rechts: Weil bei vielen Menschen mit spätem Chronotyp die Arbeitszeit nicht ideal zum biologischen Rhythmus passt, schlafen sie an Arbeitstagen weniger als sie benötigen. Sie leiden am so genannten sozialen Jetlag. Viele Menschen mit frühem Chronotyp kommen dagegen an freien Tagen nicht rechtzeitig zu Bett und schlafen dadurch an diesen Tagen zu wenig.
Porträt des Buchautors Till Roenneberg
Professor Dr. Till Roenneberg, LMU München

Sie möchten mehr über die neue Zeitkultur erfahren?

Weiter lesen Sie im vierten Teil der Serie (erscheint am 21. März)

Teil 4: Schafft die Sommerzeit und andere Schlafräuber ab!

Wir müssen schlafen, um körperlich und geistig fit zu bleiben. Dennoch raubt uns die Gesellschaft systematisch Schlaf. Was können wir dagegen tun?

Eine Einführung ins Thema samt der Übersicht über alle Beiträge finden Sie hier.

Alle Beiträge dieser Serie erschienen erstmals im Buch „Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“. Sie wurden jetzt überarbeitet und aktualisiert.

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