Hallo wach! Wie es uns gelingt, mit der Zeit zu leben. Teil 4: Kampf den Schlafräubern

Wir dürfen schlafen, um körperlich und geistig fit zu bleiben. Dennoch rauben uns viele Gewohnheiten und die sogenannte Sommerzeit systematisch Schlaf. Was können wir dagegen tun? Vierter Teil der RiffReporter-Serie über eine neue Zeitkultur.

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Graifk mit zwei Uhren nebeneinander. Bei der linken wird die Uhr von zwei auf drei Uhr vorgestellt, bei der anderen geht es zurück von drei auf zwei Uhr.

Warum wir schlafen

Fliegen sind auch nur Menschen – zumindest wenn es ums Schlafen geht. Junge Fliegen benötigen mehr Schlaf als ältere, und auch Menschenkinder schlafen fast doppelt so viel wie Erwachsene. Kaffee und Aufputschmittel halten die Insekten genauso wach wie uns, Schlafentzug macht sie ähnlich unkonzentriert.

Und wenn Fliegen längere Zeit nicht schlafen dürfen, holen sie das Versäumte genau wie wir mit einer Extraportion extratiefem Schlaf nach. Selbst das Muster der Gehirnströme wandelt sich bei wegschlummernden Fliegen und Menschen auf ähnliche Weise.

Offenbar ist der Schlaf so lebenswichtig, so grundlegend, dass die Biologie seine Basis nicht mehr veränderte, seit der gemeinsame Vorfahr von Fliege und Mensch gelebt hat. „Die Schlafregulation bei Fruchtfliegen stimmt in den meisten, wenn nicht sogar in allen wichtigen Komponenten mit der von Säugetieren überein“, sagt Reto Huber, Schlafforscher an der Universitätsklinik Zürich.

Alle Tiere schlafen

Alle Tiere schlafen - selbst Fadenwürmer, Flusskrebse und Küchenschaben. Noch ist es zwar nicht bewiesen, aber immer mehr spricht dafür, dass der Schlaf mit der Erfindung der Nervensysteme in die Welt kam. Denn dieses System, vom simplen Nervennetz bis zum hochkomplexen Gehirn, ist nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal der Tiere. Es scheint auch in besonderer Weise vom Schlaf zu profitieren.

Ohne Schlaf können Gehirne auf Dauer nicht lernen, sie verlieren die Fähigkeit zur Erinnerung, zum kreativen Denken und zur internen Kommunikation. „Schlaf schafft klare Vorteile für das Gehirn“, sagt der Tübinger Schlaf- und Gedächtnisforscher Jan Born, „ausgeschlafenere Menschen sind schlauer als andere“. Auch das gilt übrigens so ähnlich für Fruchtfliegen, was sicher kein Zufall ist, sondern ein zusätzlicher Beleg für die derzeit schlüssigste Antwort auf eine der spannendsten offenen Fragen der Wissenschaft: Müssen wir schlafen, damit unser Gehirn funktioniert?

Reinigung des Nervensystems

Erst seit dem Jahr 2012 ist bekannt, dass sich im Schlaf der räumliche Abstand zwischen den Zellen des Gehirns vergrößert und im Denkorgan eine Art Großreinemachen beginnt. Gehirnflüssigkeit durchspült die Räume zwischen den Nervenzellen und transportiert schädliche Abfallprodukte ab, die sich während der letzten Wachzeit angehäuft haben.

Im Frühjahr 2025 publizierten Forschende aus Dänemark, dass es regelmäßige Kontraktionen von Blutgefäßen des Gehirns sind, die die Flüssigkeit im Schlaf durch das Gehirn hindurchspülen.

Sleep is of the brain, by the brain, and for the brain.

Alan Hobson

Die Schlafforscherin Sigrid Veasey von der University of Pennsylvania, USA, forscht schon länger daran, was chronischer und akuter Schlafmangel mit unserem Gehirn anrichten kann. Eines ihrer wichtigen Resultate: Auch schon bei jungen Menschen, die eine Nacht gar nicht schlafen, sterben Nervenzellen ab.

Spätestens dieser letzte Punkt sollte uns zu denken geben. Oder möchten Sie Ihre kostbarsten Zellen verlieren, nur weil Sie meinen, ausschlafen könnten Sie auch noch, wenn Sie in Rente sind? „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“, lautete das Credo des arbeitswütigen deutschen Regisseurs, Autors und Schauspielers Rainer Werner Fassbinder. Er starb im Juni 1982 – mit 37 Jahren – an Herzstillstand.

Der berühmte amerikanische Schlafforscher Alan Hobson fasste die Zusammenhänge schon vor langer Zeit griffig zusammen: „Sleep is of the brain, by the brain, and for the brain.“ Schlaf kommt vom Gehirn, wird vom Gehirn gemacht und vom Gehirn gebraucht.

Schlafbedürfnis wird ignoriert

Ausgerechnet uns Menschen scheinen diese Erkenntnisse aber nicht anzufechten. Wir setzen uns ständig über unser Schlafbedürfnis hinweg, halten fast alles für wichtiger, als ausgeschlafen zu sein. Jede noch so kleine Zerstreuung ist es uns wert, ihretwegen auf Schlaf zu verzichten. Sofern wir es – völlig übermüdet wie wir mittlerweile als Gesellschaft sind – überhaupt noch können, sollten wir endlich beginnen, über ein paar grundsätzliche Dinge nachzudenken.

Ein Säugling mit einer blauweiß geringelten Mütze schläft vollkommen entspannt mit offenem Mund auf einem bunten Wäschestapel..
Schlafen wie ein Kind: Das wünschen sich viele Erwachsene. Doch in der modernen 24-Stunden-Geselslchaft ist der Schlaf oft zu kurz und Schlafprobleme nehmen zu.
Zeichnung eines Mannes, der wach liegt und versucht, eingebildete Schäfchen zu zählen.
Wer immer wieder lange wach liegt und tagsüber unausgeschlafen ist, leidet unter Umständen an einer Insomnie. Bei Schichtarbeitenden ist diese Art der Schlafstörung besonders häufig.
Vier Senioren unterhalten sich nach dem Sport.
Sport macht nicht nur zufrieden, auf Dauer verändert er auch die Regulation unserer Gene. Und er hilft uns, nachts besser zu schlafen.
Ein sitzender Mann ist von hinten zu sehen. Im  Raum ist es dunkel. Vor dem Mann leuchtet bläulich ein TV-Monitor.
Viele Menschen gehen abends nicht dann zu Bett, wenn sie schläfrig werden, sondern, wenn ihre Lieblingsfernsehsendung vorüber ist.
Grafik zeigt den Lauf der Sonne. Die Sonne steht am höchsten Punkt.
Morgendliches Tageslicht stellt die inneren Uhren vor, abendliches Licht stellt sie zurück. Dadurch justiert sich das System unabhängig von der Tageslänge - also auch unabhängig von der Jahreszeit oder dem Breitengrad - immer nach der Zeit, zu der die Sonne am höchsten Punkt steht. Diese Zeit ist der biologische Mittag, weshalb auch die Normalzeit so eingeteilt wird, dass es dann ungefähr 12 Uhr mittags ist. In der sogenannten Sommerzeit gerät das System zwangsläufig in die Schieflage, wobei die Probleme für die Menschen umso größer sind, je weiter westlich sie in ihrer Zeitzone leben. Die Menschen in Frankreich und Spanien, die rein physikalisch ohnehin in die Zeitzone Großbritanniens gehörten, leiden deshalb besonders unter der Sommerzeit.
Graifk mit zwei Uhren nebeneinander. Bei der linken wird die Uhr von zwei auf drei Uhr vorgestellt, bei der anderen geht es zurück von drei auf zwei Uhr.
Die Uhrenumstellung zur sogenannten Sommerzeit ist einer der größten Schlafräuber unserer Zeit. Schuld ist dabei allerdings weniger die Umstellung selbst, als das siebenmonatige Leben in der falschen Zeitzone.

Sie möchten mehr über die neue Zeitkultur erfahren?

Weiter lesen Sie im fünften Teil der Serie (erscheint am 11. April)

Teil 5: Vom Ende der Schichtarbeit

Menschen sind nicht dafür gemacht, den Tag immer wieder zur Nacht zu machen. Auf Dauer können Schicht- und Nachtarbeit krank machen. In einer neuen Zeitkultur werden wir umdenken müssen.

Eine Einführung in das Thema samt der Übersicht über alle Beiträge finden Sie hier.

Alle Beiträge dieser Serie erschienen erstmals im Buch „Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“. Sie wurden jetzt überarbeitet und aktualisiert.

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