Hallo wach! Wie es uns gelingt, mit der Zeit zu leben. Teil 5: Vom Ende der Schichtarbeit

Menschen sind nicht dafür gemacht, den Tag immer wieder zur Nacht zu machen. Auf Dauer schaden Schicht- und Nachtarbeit oder zu häufige Fernreisen unserer Gesundheit. In einer neuen Zeitkultur gibt es aber gute Lösungen. Fünfter Teil der RiffReporter-Serie über eine neue Zeitkultur.

22 Minuten
Unscharfe Ansicht von Ärzt:innen, die einen Patienten nachts im Operationssaal operieren.

Im Jahr 2014 verbrachten 22 Menschen mehrere Tage in einem britischen Labor – völlig abgeschottet von der Umwelt. Alles wirkte ganz normal, nur die Uhren gingen falsch. Von außen betrachtet entsprach der Hell-Dunkel-Rhythmus dem irgendeines fremden Planeten. Ein Tag dauerte 28 Stunden.

Drei Mal waren die Stundenzeiger vollständig gekreist, drei künstlich um vier Stunden verlängerte Tage waren absolviert, da nahmen die Forschenden um Simon Archer von der University of Surrey in Großbritannien, die sich das Experiment ausgedacht hatten, den Testpersonen mehrmals Blut ab. Die Britïnnen wollten schauen, ob und wie stark sich die typische chronobiologische Schwankung der Aktivität der Gene in den Zellen durch den ungewöhnlichen Lebensrhythmus verändert hatte.

Wenn die Nacht zum Tag wird

Der neue Alltag war nach diesen drei Tagen genau um 12 Stunden gegenüber dem ursprünglichen Rhythmus verschoben. Die Testpersonen hatten – zumindest von der Außenwelt betrachtet – den Tag zur Nacht gemacht und die Nacht zum Tag. Das blieb nicht ohne Folgen: Die natürliche Schwankung der Genaktivität in ihren Blutzellen hatte sich dramatisch abgeschwächt – um Faktor sechs. Aus deutlicher Rhythmik war fast schon Gleichförmigkeit geworden.

„Mehr als 97 Prozent der rhythmisch aktiven Gene hatten durch den falsch getimten Schlaf ihre Synchronisation verloren“, schrieben die Autorïnnen. „Und das erklärt genau, warum wir uns im Jetlag oder beim Arbeiten zur falschen Schicht so schlecht fühlen.“

Die Studie ist noch immer hochaktuell, denn sie zeigt eindrucksvoll, was das Arbeiten zu einer Zeit, die eigentlich für Schlaf und Ruhe da ist, dem Körper zumutet. Und sie ist dabei nur ein einzelnes Ausrufezeichen in einer endlosen Reihe ähnlicher wissenschaftlicher Arbeiten: An der Erkenntnis, dass wir nicht dafür gemacht sind, spätnachts zu arbeiten, gibt es nicht mehr den geringsten Zweifel.

Innere Rhythmik ist überall im Körper

Letztlich gibt es keinen Bereich des Stoffwechsels, des Immunsystems oder des Nervennetzes, der nicht den Signalen innerer Uhren folgt. Die Desynchronisation innerer Rhythmen, wie sie Simon Archer und Kollegïnnen damals beobachteten, ist der Kern aller Probleme mit Schicht- und Nachtarbeit, aber auch mit den häufigen Jetlags, denen beispielsweise Flugpersonal und manche Geschäftsreisende ausgesetzt sind.

Sonnenaufgang hinter einer sehr dunklen Wolke, betrachtet aus einem Auto, das auf einer Landstraße fährt.
Licht am frühen Morgen stellt die innere Uhr vor.
Ein Mann liegt ausgestreckt auf einem Sofa und schläft. Er hat noch Anzughose, Schlips und Hemd an, seine schwarzen Schuhe liegen auf dem Boden.
Viele Menschen gönnen sich nach der Arbeit erstmal ein Nickerchen. Eine neue Studie mit Mäusen zeigt, dass das gut für den Stressabbau sein kann.
Eine Frau sitzt am hell erleuchteten Fenster eines Flugzeugs. Sie trägt eine Schlafmaske.
Auf Fernreisen in andere Zeitzonen kann es Sinn machen, zu bestimmten Uhrzeiten bewusst die Augen zu verdunkeln, um den kommenden Jetlag abzuschwächen.
Zeichnung eines Mannes, der wach liegt und versucht, eingebildete Schäfchen zu zählen.
Wer immer wieder lange wach liegt und tagsüber unausgeschlafen ist, leidet unter Umständen an einer Insomnie. Bei Schichtarbeitenden ist diese Art der Schlafstörung besonders häufig.

Sie möchten mehr über die neue Zeitkultur erfahren?

Weiter lesen Sie im sechsten Teil der Serie (erscheint am 25. April)

Teil 6: Macht Schulzeiten für Lernende, nicht für Lehrer!

Jugendliche ticken anders als Kleinkinder und Erwachsene. Sie werden spät müde und müssen morgens länger schlafen. Es wird höchste Zeit, dass Schulen und Ausbildungsbetriebe darauf Rücksicht nehmen.

Eine Einführung in das Thema samt einer Übersicht über alle Beiträge finden Sie hier.

Alle Beiträge dieser Serie erschienen erstmals im Buch „Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“. Sie wurden jetzt überarbeitet und aktualisiert.

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