Agrarpolitik: Der Rückgang der Bauernhöfe und der Rückgang der Braunkehlchen haben eine gemeinsame Ursache
Kommentar: Warum eine Allianz von Landwirten und Naturschützern überfällig ist
Die deutschen Landwirte haben allen Grund, besorgt zu sein. Vor 30 Jahren gab es in Deutschland 629.000 Bauernhöfe, heute sind es nur noch 266.000. Im selben Zeitraum ist der Preisdruck auf die, die weitermachen, stark gestiegen. Sie sollen Lebensmittel nach hohen Standards erzeugen, aber kosten dürfen sie fast nichts. Zudem stehen Bauern im Kreuzfeuer pauschaler öffentlicher Kritik, so als ob es jedem Landwirte eine Freude wäre, die Böden zu überdüngen und dem letzten Rebhuhn den Garaus zu machen. Viele Bauernfamilien fürchten, dass auch wegen dieses schlechten Image keines der Kinder bereit sein wird, den Hof zu übernehmen und fortzuführen.
Das sind legitime Sorgen, die nicht nur die Bauern selbst, sondern die breite Bevölkerung umtreiben sollten. Landwirte erzeugen unsere Lebensmittel und prägen unsere Landschaft – damit sind sie einer der wichtigsten Berufsstände überhaupt.
Doch so legitim die Sorgen sind, so falsch ist es, wenn Landwirte, Bauernverbände und auch Agrarpolitiker in Naturschützern und besorgten Konsumenten einen Gegenspieler für ihre Interessen ausmachen – und ebenso falsch ist es, wenn die EU-Agrarminister bei der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik keine grundlegenden Änderungen hin zu einer ökologisch und ökonomisch ausgewogeneren Strategie vornehmen.
Wollen wirklich nixblickende „links-grüne“ Großstädter mit einem vernebelt-romantisiertem Bild vom Land den Bauern mit mehr Auflagen beim Natur- und Klimaschutz den Garaus machen, zum Schaden der Landwirtschaft? Wären EU-Zahlungen, die statt für Massenproduktion für Landschaftspflege und Naturschutz fließen, wirklich ein Angriff auf das selbständig produzierende Bauerntum? Diese Vorwürfe sind beliebt. Aber sie schaden vor allem der Landwirtschaft selbst.
Eine neue Vertrauensbasis ist nötig
Das Feindbild Naturschutz geht an der Sache vorbei. Dass es jetzt Insekten- und Naturschutz, strengere Düngeregeln und neue Akzente bei den Agrarsubventionen sein sollen, die das Wirtschaften der Landwirte gefährden, stellt eine fahrlässige Fehldeutung der Lage dar. +
Um 400 Milliarden Euro über sieben Jahre hinweg geht es bei der EU-Agrarreform. Es sind dem einhelligen Urteil von Wissenschaftlern zufolge die entscheidenden Jahre, um der Klima- und die Naturkrise noch so entschieden entgegenzuwirken, dass sich die Lebensbedingungen auf der Erde nicht gegen uns Menschen richten und um zu verhindern, dass ein Sechstes Massensterben der Natur seinen ungebremsten Lauf nimmt.
Ob diese 400 Milliarden Euro hauptsächlich dafür ausgegeben werden sollen, den Status quo fortzusetzen – oder ob sie eingesetzt werden sollen, klima- und naturverträgliches Wirtschaften zu belohnen, das sollte eigentlich gar keine Frage mehr sein. Ist es aber. Obwohl Landwirte die beginnende Klimakrise mit Ernteeinbrüchen zu spüren bekommen, und obwohl ebenso spürbar wird, wie wichtig in der Landschaft Wasserreservoirs sind, wird so getan, als müssten diese Probleme andere lösen.
Freiwilligkeit statt neuer Gesetze, fordern Bauernvertreter – und plädieren für ein Weiter-So in der EU-Agrarpolitik. Ehrlich wäre es, anzuerkennen, dass genau diese Strategie seit Jahrzehnten nicht funktioniert. Zwar gibt es sehr viele Landwirte, die guten Willens sind und nur wenige, denen der Umweltschutz rundum egal wäre. Aber inmitten von Marktkräften, die danach verlangen, auch noch aus dem letzten Quadratmeter das letzte Quäntchen Produkt herauszuholen, ist ein freiwilliges „Weiter so“ nur eines: Ein Rezept für die fortgesetzte Verarmung der Natur auf dem Land und für fortgesetzten Emissionen von Treibhausgasen und Nitrat in die Umwelt in einem nicht verträglichen Ausmaß.
Das bisherige Vertrauen darauf, eine vage beschworene „gute fachliche Praxis“ werde dazu führen, dass die Landschaft vielfältig bleibt und die riesigen Überschüsse an Düngemitteln, die in Gewässern und im Grundwasser landen, weniger werden, hat sich schlichtweg als illusorisch erwiesen.
Natürlich ist die Frage berechtigt, welche Auflagen und Kontrollen der richtige Weg sind. Landwirte sind bereits jetzt mit intensiven Protokoll- und Kontrollpflichten konfrontiert, die vor allem kleinere Betrieb überfordern. Wenn dann die Anlage eines Blühstreifens mit Dutzenden Formularen, Kontrollbesuchen von Beamten und Satellitenüberwachung aus der Luft einhergeht, fördert das nicht unbedingt, dass man sich mit dem Biotop als eigenem Werk identifiziert. Doch leider haben es die Landwirte und vor allem ihre Interessenvertretungen so weit kommen lassen, dass die Gesellschaft – also die Kunden – misstrauisch geworden ist und alles ganz genau wissen will.
Gemeinsamer Gegner: Die Doktrin des „Wachse oder weiche“
Wer dann aber – wie es nicht wenige der Lautstarken unter den Bauern-Demonstranten tun und wie es manche Bauerngruppierung in ihrer wütenden Facebookblase praktiziert– leugnet oder relativiert, dass es reale Probleme wie die Klimakrise, den Insektenschwund oder den Rückgang von Rebhuhn, Kiebitz und Braunkehlchen sowie Nitratbelastungen des Grundwassers überhaupt gibt und wer in den Chor einstimmt, dass Naturschützerinnen und Naturschützer gegen die Interessen des (ländlichen) Volks agierten, der verstärkt dieses Misstrauen noch. Wollen die Interessenvertreter der Landwirtschaft angesichts von Stellungnahmen wie der von Expertinnen und Experten der Nationalakademie Leopoldina wirklich noch etwas an der ökologischen Misere verharmlosen?
Damit bedient man nur die Interessen wissenschaftsfeindlicher Rechtspopulisten, deren Seelenfänger nun vor allem auf dem Land unterwegs sind, um von Angst und Unmut zu profitieren. Er bedient aber sicherlich nicht die Interessen seines Berufsstands – und erst recht nicht die Interessen seiner Kunden, die mit solchen Vorwürfen schlichtweg beleidigt werden.
Eine ehrliche Diagnose müsste ganz anders lauten: Der Rückgang der Bauernhöfe und der Rückgang der Braunkehlchen und Rebhühner haben eine gemeinsame Ursache. Und deshalb haben Naturschützer und Landwirte auch gemeinsame Gegenspieler, denen beide Gruppen eigentlich gemeinsam entgegentreten sollten.
Der gemeinsame Gegner ist die Doktrin, die der ökonomischen Misere der Landwirtschaft ebenso wie der ökologischen Misere der Landschaft zugrunde liegt, und die über Jahrzehnte unsere Agrarpolitik bestimmt hat: „Wachse oder weiche“ lautet sie, und auch der Deutsche Bauernverband hat das verinnerlicht und gepredigt.
Die Doktrin besagt, dass die Natur nur eine ausbeutbare Ressource ist, dass ungenutzte Flächen wertlos sind und dass überlebensfähig nur immer größere Höfe mit immer mehr Tieren und immer mehr Umsatz sind, die durch Rationalisierung immer perfekter nach jenen Regeln funktionieren, mit denen Industriebetriebe durch wachsende Stückzahlen ihre Kosten senken und ihre Profite maximieren. Das sind Regeln, die nicht zu einer lebendigen Landschaft und einer nachhaltigen Praxis passen. Deutschland ist mit dieser Maxime in die Spitzengruppe der Exportweltmeister für Agrarerzeugnisse aufgerückt – und zugleich ist die Landschaft verarmt, der Reichtum der Natur stark vermindert.
Nachhaltige Betriebe bleiben auf der Strecke
Derselben Logik bedienen sich die großen Lebensmittelketten, um einen brutalen Preiswettbewerb nach unten fortzusetzen, der dazu führt, dass Bauern viel weniger für ihre Ware bekommen, als sie bekommen sollten, um nachhaltig wirtschaften zu können. Um das auszugleichen, wird dann der Output vergrößert. Als zum Beispiel der Fleischkonsum in Deutschland zu stagnieren anfing, hat man deshalb damit begonnen, den Export von Milcherzeugnissen und Schweinefleisch nach China massiv auszubauen. Die Umwidmung der Landwirtschaft zur Energieerzeugung – Stichwort „Biogas“ aus Mais – hat diesen Prozess noch verschärft. Es wird auch deshalb auf dem letzten Zentimeter bis zum Wegrand gepflügt.
Auf der Strecke bleiben Betriebe – ob „Bio“ oder konventionell –, die bewusst nicht darauf setzen, immer größere Flächen mit immer größeren Fuhrparks zu bewirtschaften, oder die das dafür nötige wachsende Kapital nicht als Bankkredite aufnehmen können oder wollen. Auf der Strecke bleibt auch die Artenvielfalt. Der Überschuss an Dünger ist gewaltig, und er landet nicht nur im Grundwasser, sondern auch auf Flächen, auf denen früher Wildblumen gewachsen sind. Nach einigen Jahren Überdüngung wird man auf solchen Flächen nur noch Gras und vielleicht noch ein bisschen Löwenzahn finden, denn Butterblumen, Orchideen und Flockenblumen können sich nicht gegen deren Konkurrenz behaupten.
Soweit ist es nämlich gekommen: Während es früher als Verlust empfunden wurde, wenn aus artenreichen Blumenwiesen monotone Löwenzahnwiesen wurden, ist man heute schon froh, wenn es überhaupt noch Löwenzahn gibt. Parallel kann man das für die Betriebe sagen: Vor 30 Jahren gab es noch ein buntes Mosaik von Bauernhöfen aller Größen. Inzwischen freut man sich über Höfe, die so resistent sind wie der Löwenzahn. Und bald gibt es dann nur noch eine Monokultur von Betrieben, die durchrationalisiert sind und dasselbe mit der Landschaft tun?
Moore und Hecken werden für die Landwirtschaft überlebenswichtig
Die Lösung für die doppelte Misere von Landwirten und Landschaft kann eigentlich nur in einem Kurswechsel aller Beteiligten bestehen: Zuallererst sollten die Landwirte den Naturschutz und die Naturschützer die Landwirtschaft nicht als Feind betrachten, sondern das Bündnis suchen. Niemals war die Zeit besser als jetzt, um die lange bestehende Forderung durchzusetzen, dass Landwirte dafür entlohnt werden, wenn sie sich um die Landschaft und die Artenvielfalt kümmern. Biodiversität als Betriebszweig und als Dienstleistung, für die die Gesellschaft bezahlt – das ist der einzige vielversprechende Weg nach vorne.
Dann gilt es, die vielen Hundert Milliarden Euro, die von der EU in die Landwirtschaft fließen, konsequent umzusteuern: Weg von der Massenproduktion, hin zur nachhaltigen Produktion, die die Pflege der Landschaft mit einschließt. Mancher Bauern fühlt sich in seinem Stolz verletzt, für Naturschutz Geld zu bekommen.
Die Bauern, die meinen, dass damit ihr Berufsstand dazu degradiert würde, in der Art von Parkwächtern eine Museumslandschaft zu konservieren, sind auf dem Holzweg: Auch unter ihren Vorfahren gab es schon viele, die den Wert von Hecken, Feldrainen und Feuchtgebieten für die Landwirtschaft zu schätzen wussten. Und was steckt anderes im Begriff des Land-Wirts als die Sorge nicht nur um den Output, sondern um Gesundheit von Böden, Tieren, Pflanzen in der Landschaft?
Natur- und Klimaschutz dürfen in der EU-Politik der Zukunft nicht als exotisches Zusatzprojekt gelten, sondern als Säule des betriebswirtschaftlichen Kalküls, die substanziell zum Einkommen beiträgt – dahin muss die Reise gehen. Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU bietet dafür derzeit eigentlich eine hervorragende Gelegenheit, doch sie droht verpasst zu werden. Dann muss der nächste Anlauf genommen werden – zu gravierend und zu langfristig sind die Folgen eines „Weiter-so“.
Dünger und Pflanzenschutzmittel haben es erlaubt, die Produktion massiv auszuweiten und die Ernährung zu sichern. Wer sie nur verteufelt, verkennt, dass seine eigene individuelle Existenz mit hoher Wahrscheinlichkeit maßgeblich ihnen zu verdanken ist.
Naturschutz als Investition in die eigene Zukunft
Doch der schnelle Weg zur Mengenproduktion hat die Landwirtschaft nicht nur biologisch verarmen lassen: Das Wissen um die Zusammenhänge und den Wert von Tümpeln hier und Feldrainen da ist verlorengegangen. In Berlin war die erste Generation von Landwirten auf der Straße, die bereits mit einer biologisch und ökologisch verarmten Landschaft großgeworden ist. Vielen fehlen die Vergleichsmaßstäbe: Kiebitzschwärme am Himmel, Blumenwiesen mit Tausenden Schmetterlingen, Niederungen mit nächtlichen Unken- und Wachtelkönigrufen und Rebhuhnscharen auf den Feldern, das ist für viele etwas Abstraktes, Stoff aus einer fernen Vergangenheit.
In Zeiten der Klimakrise, die auf dem Land wahlweise zu Dürre oder Überschwemmungen beitragen wird, kommt die Natur aber auf neue Weise zurück. Nun werden Lebensräume, die nicht direkt der Produktion dienen, auch wirtschaftlich überlebenswichtig. Feuchtgebiete nehmen bei Starkregen überschüssiges Wasser auf wie Schwämme und spenden dem Land bei Dürre die nötige Feuchtigkeit. Hecken und Feldraine schützen bei Stürmen gegen Erosion.
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Dieser Beitrag ist zuerst im November 2019 anläßlich von Protestaktionen von Landwirten erschienen und wurde im Oktober 2020 anläßlich der Verhandlungen über die Reform der EU-Agrarpolitik überarbeitet und aktualisiert. Die Originalversion ist im Buch „Die Flugbegleiter“ (Kosmos-Verlag) dokumentiert.