BPs giftiges Golfküsten-Erbe
Im April 2010 explodierte die Bohrinsel „Deepwater Horizon“. Die Folgen der Ölkatastrophe sind bis heute zu spüren. Bericht von einer Recherche vor Ort.
PJ Hahn war gerade im Wildschutzgebiet Pass-à-l’outre Wildlife Management Area, südlich von Plaquemines Parish, unterwegs, als er das Öl zum ersten Mal sah. Die braune, zähe Masse hatte einige Tage gebraucht, bevor sie sich in seinem Küstengebiet ausbreitete. „BP hatte Boote ausgesandt, deren Besatzung jeden daran hinderten, das Öl zu beobachten“, erinnert sich der ehemalige Direktor des Küstenzonenmanagements von Plaquemines Parish.
„BP wollte nicht, dass die Medien das im Fernsehen ausstrahlen. Unser Sheriff-Hubschrauber filmte das Öl, später gab ich den Medien eine Kopie dieser Aufnahmen.“ Dem gebürtigen Texaner macht so schnell keiner was vor.
Etwa 200 Kilometer entfernt war am 20. April 2010 die Bohrinsel Deepwater Horizon explodiert. Dabei starben 11 Arbeiter, 17 weitere wurden verletzt. Erst quälende 87 Tage später konnte das riesige Leck unter Wasser endlich abgedichtet werden. Nach Schätzungen der US-Regierung flossen 795 Millionen Liter Rohöl in den Golf von Mexiko.
Mitten in der Kinderstube für Meerestiere
Das Öl verschmutzte die Küsten in den Bundesstaaten Louisiana, Florida, Mississippi und Alabama. Fotos von verzweifelten Fischern gingen damals um die Welt. Bilder von sterbenden Delfinen, von ölverschmierten Vögeln. Und von schwarzen Stränden. Und heute? Ist davon nichts mehr zu sehen. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick.
Besonders betroffen von der Katastrophe war der kleine Bezirk Plaquemines Parish. Mit seinen 23.000 Einwohnern liegt er an der Mündung des Mississippi, am südlichen Zipfel von Louisiana. Der Distrikt ist zu fast 70 Prozent vom Golf von Mexiko umgeben. Plaquemines Parish lebt vom Öl – und vom Fisch. Er ist zum einen das operative Zentrum für die Offshore-Öl- und Gasindustrie. Zum anderen werden hier aber auch jährlich mehrere Millionen Pfund Garnelen, Austern, Krabben und Fisch gefangen.
Ein Großteil von Plaquemines Parish ist Sumpfland. Nicht irgendein Feuchtgebiet, sondern ein Sumpfland von enormer wirtschaftlicher und ökologischer Bedeutung. Enten und Gänsen, die aus ganz Amerika hier eintreffen, dient es als Winterlager. Es ist die Kinderstube für zahlreiche Meerestiere, für Fische, Austern und Garnelen, die die gebeutelte nationale Fischindustrie stützen.
Als das Öl näher rückte
Denn schon vor der Ölkatastrophe hatten die Fischer vor der Küste Louisianas mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Billigimporte aus dem Ausland lassen die Preise für Garnelen seit Jahren sinken. PJ Hahn hatte also erheblichen Grund zur Sorge, als das Öl immer näher rückte.
Früher, in den 70er Jahren, war er Polizist in seiner Heimatstadt San Antonio, Texas. Damit finanzierte er sich sein Studium der Rechtswissenschaften. In den 80er Jahren zog er nach New Orleans. „Ich war zwar immer in Naturschutzorganisationen aktiv. Doch bis zu meinem Umzug nach Louisiana hatte ich in meinem ganzen Leben noch keinen einzigen Damm gesehen“, sagt er lachend.
In New Orleans kümmerte er sich als Präsident des East Jefferson Levee District Board um die Deichsysteme. Durch die Katastrophe der Deepwater Horizon war er mehr denn je für den Schutz des Meeres, seine Lebewesen und die Anwohner verantwortlich.
Ein Tauchgang im Öl – mit Folgen
Nachdem er die zähe schwarze Masse mit eigenen Augen gesehen hatte, ging PJ Hahn tauchen. Inmitten des Öls. Und inmitten der Chemikalien, die die Flugzeuge sprühten, um das Öl aus dem Blickfeld verschwinden zu lassen. Auf die Idee, dass dies schädlich für ihn sein könnte, kam er damals nicht. Er wollte sich einfach nur selbst ein Bild machen.
Beim Tauchen sah er genau das, was er am meisten fürchtete: Die schwimmenden Barrikaden, die das Öl im Wasser zurückhalten sollten, funktionierten nicht. Das Öl lief einfach darunter hindurch. Auch weil die Chemikalien, sogenannte Dispersionsmittel namens Corexit, gesprüht wurden. Corexit wirkt ähnlich wie ein Geschirrspülmittel: Das wasserabweisende Öl verliert seine Oberflächenspannung und zerfällt in kleine Tröpfchen, die dann im Wasser versinken. Dadurch verteilt sich das Öl leichter in den Weiten des Meeres. Doch Corexit ist nicht so harmlos wie ein Geschirrspülmittel.
PJ Jahn musste also das Öl von der Meeresoberfläche bis hin zum Meeresboden stoppen. Nur wie? Der Tauchgang brachte ihn auf eine Idee. Zurück an Land wollte PJ Hahn große Wälle, also künstliche Erhebungen, unmittelbar entlang der Barriereinseln bauen. So könnte man das dort aufgefangene Öl leicht sammeln und entsorgen. Nach eigenen Angaben war es damals nicht nur das größte Küstenprojekt in der Geschichte der USA, sondern auch der umfangreichste Einsatz von amerikanischen Baggerschiffen überhaupt.
Sümpfe können nicht gereinigt werden
Doch erst nach einem Monat bekam er die Erlaubnis von den verschiedenen Behörden. „Einen Monat!“ Er ärgert sich immer noch, wenn er davon erzählt. Seine blauen Augen blitzen. Sie werden schmal, wenn er sich aufregt. Am Ende erhielten er und sein Team 300 Millionen US-Dollar um die Barrieren zu bauen, doch an vielen Stellen war es schon zu spät: Das Öl hatte das Sumpfland erreicht.
Die Mikroorganismen, die kleinen Fische, die Garnelen, die Austern – sie alle werden im Sumpf geboren, ziehen dann ins Meer hinaus, wo sie zur Nahrungsgrundlage für andere Tiere werden. Strände in Mississippi, Alabama und Florida seien relativ leicht zu reinigen, erzählt der 62-Jährige, aber nicht die Sümpfe. Sümpfe können nicht gereinigt werden.
Werden die Marschgräser zerstört, sind auch die Küste und die ihr vorgelagerten Inseln der Erosion schutzlos ausgeliefert – und ihre tierischen Bewohner verlieren ihre Heimat. Zugleich übernimmt dieses Gebiet eine wichtige Schutzfunktion für New Orleans, wenn tropische Stürme und Wirbelstürme über das Land fegen. Die Sümpfe dienen als „speed bump“, als Sturmschwelle, sie senken die Fluten und schlucken einen Teil der Sturmenergie.
Kein Lebensraum, keine Vögel
Besonders hart getroffen hat das Öl die zu Plaquemines Parish gehörende Insel Cat Island, ein Paradies für Pelikane. „Cat Island war Ground Zero. Buchstäblich. Typischerweise verlieren wir immer etwas Sumpfland nach einem Sturm – aber nicht in diesem Ausmaß“, regt sich PJ auf. „Tausende Pelikane und andere Vögel haben hier genistet. Nach Jahren stetiger Erosion ist die Insel nun endgültig verschwunden. Letztendlich wäre die Insel auch ohne die Öl-Katastrophe abgesackt, keine Frage.“ Erosion ist seit Langem ein großes Problem an der Küste von Louisiana. In den Augen vieler Naturschützer verstärkte BP diesen Prozess aber drastisch.
Die Mangrovenbäume, deren Wurzeln die Insel zusammengehalten haben, sind durch das ausgelaufene Öl abgestorben. Mit ihnen sind auch die Nistplätze der braunen Pelikane, der Möwen, Löffler und Reiher verschwunden. Viele Vogelarten wie die Pelikane kehren immer wieder an ihre Brutstätte zurück.
Geht dieser Nistplatz verloren, fliegen die Pelikane nicht einfach woanders hin, um zu brüten. Stattdessen brüten sie gar nicht mehr. Kein Lebensraum, keine Vögel. „Die Pelikane schwimmen nun seit Jahren dort, wo einst ihre Insel war. Sie haben keine Chance mehr, zu brüten. Durch den Verlust der Insel verlieren wir Generationen an Pelikanen“, beklagt PJ Hahn. Zwei Milliarden Zugvögel durchqueren jährlich die gesamte Golfregion.
Schätzungen zufolge hat die Ölpest im Golf von Mexiko im Jahr 2010 zum Tod von mehr als einer Million Vögeln geführt, darunter etwa 12 Prozent der Braunen Pelikane im nördlichen Golf, heißt es auf der Webseite der US-amerikanischen Natur- und Vogelschutzgesellschaft Audubon.
Vor knapp 60 Jahren hatte der Bundesstaat Louisiana sein Wappentier, den Pelikan, beinahe verloren. 1961 hörten die Tiere auf dort zu brüten, 1963 waren sie verschwunden – in erster Linie bedingt durch den starken Einsatz des Insektizids DDT. Inzwischen ist es verboten.
Auch diesmal spielt eine Chemikalie in der öffentlichen Diskussion eine große Rolle, wenn es um die Langzeitfolgen der Ölkatastrophe geht. Denn die Tiere, Menschen und Umwelt waren nicht nur dem Rohöl ausgesetzt, sondern auch den Dispersionsmitteln Corexit EC9500A und Corexit EC9527A. Knapp sieben Millionen Liter hat BP davon versprühen lassen, und zwar vor allem Corexit 9500A. Einer Studie der Universität Georgia zufolge hat der Einsatz von Corexit die Toxizität des Öls um das 52-fache verstärkt.
Die Corexit-Connection
„Ich war ja durch das mit Corexit vermischte Öl getaucht. Als ich an diesem Abend nach Hause kam, habe ich meine Tauchausrüstung mit Spülmittel gereinigt. Am nächsten Tag fiel sie buchstäblich auseinander“, erinnert sich PJ Hahn.
Manche Bestandteile des Dispersionsmittels gelten als giftiger als das Öl selbst. In einer Studie konnten Wissenschaftler der University of Alabama zeigen, dass Corexit Zellen, wie sie in der menschlichen Lunge und in den Kiemen von Fischen und Krabben vorkommen, schädigt. Viele Helfer, die damals mit der Chemikalie in Berührung kamen, klagen bis heute über Beschwerden. „Wir wussten damals sehr wenig über Corexit. Ich habe seitdem gesundheitliche Beschwerden. Und ich kenne auch viele andere, die Lungen- und Herzprobleme haben. Ich bin vor einiger Zeit mit Parkinson diagnostiziert worden und es hieß, dass dies mit den Öl-Produkten, denen ich ausgesetzt war, zu tun hat."
Seine Stimme ist fest, er regt sich nicht auf. Er könne jetzt sowieso nichts mehr ändern. PJ Hahn hat bereits eine finanzielle Entschädigung in Höhe von einigen Tausend Dollar erhalten. Zu gering sei sie um die vergangenen Arztrechnungen zu begleichen, von den aktuellen Rechnungen ganz zu schweigen.
Von den 37.000 gegen BP geltend gemachten medizinischen Ansprüchen wurden rund 60 Prozent zur Entschädigung zugelassen. Noch arbeitet PJ Hahn. Den Pelikanen ist er treu geblieben, inzwischen berät er mit seiner Firma Pelican Coast Consulting Umwelt- und Küstenprojekte in Süd-Louisiana.
Corexit steht – anders als in Deutschland – weiterhin auf der Liste der genehmigten Dispersionsmittel der amerikanischen Umweltbehörde EPA. Bisher wurde nichts unternommen, um die Verwendung von Corexit in den USA zu regulieren. Eine Presseanfrage dazu beantwortete die EPA bisher nicht.
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Diese Recherche wurde unterstützt von der Olin gemeinnützigen GmbH und der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche. Die Olin gGmbh fördert vor allem Projekte, die sich für Arten- und Umweltschutz einsetzen.