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Friedrich Merz und unbequeme NGOs: Der gefährliche Angriff auf demokratische Strukturen
Friedrich Merz und die NGOs: auf Kriegsfuß mit demokratischen Strukturen
Die Union bläst zum Angriff auf unliebsame Nichtregierungsorganisationen. Auch wenn manche NGO-Aktivität durchaus zu hinterfragen ist, begibt sie sich damit auf eine gefährliche Geisterfahrt. Ein Essay.

Der neue Bundestag ist kaum gewählt, da kommt es in seiner alten Rollenverteilung noch einmal zu erregten Debatten. Verursacht hat sie die noch-oppositionelle Unionsfraktion, die ihren Vorsitzenden Friedrich Merz bald zum Kanzler wählen möchte.
In klassischer Oppositionsmanier schickten Merz’ CDU und die CSU eine „Kleine Anfrage“ zur „politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ an die noch amtierende Rest-Ampel-Regierung. Mit Datum vom 24. Februar veröffentlichte der Bundestag das bemerkenswerte Dokument.
Eine inquisitorische Liste mit 551 Fragen
Aber was heißt da klein? Auf 32 Seiten erstellte die Unionsfraktion eine inquisitorische Liste mit sage und schreibe 551 Punkten. Teilweise suggestiv und oftmals anklagend fragen Merz & Co. die Bundesregierungen nach ihren Erkenntnissen und Bewertungen zu zahlreichen Nichtregierungsorganisationen und anderen gemeinnützigen Einrichtungen. Greenpeace, Correctiv, Omas gegen Rechts, die Amadeu Antonio Stiftung, der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) und viele weitere – der nicht ausformulierte Subtext ist stets derselbe: Es soll bezweifelt werden, ob die Genannten zurecht als gemeinnützig anerkannt sind, ob sie zurecht staatliche Fördergelder erhalten oder ob sie nicht vielmehr gegen ein Gebot der politischen Neutralität verstoßen. Ein Gebot, das in dieser Form übrigens gar nicht existiert.
An dieser Stelle ist es Zeit für eine Offenlegung: Der Autor dieses Textes ist Mitglied im Netzwerk Recherche – der gemeinnützigen Vereinigung von Investigativjournalist:innen, die auch im Visier der parlamentarischen Anfrage steht. Zudem war er bis Anfang 2021 Geschäftsführer des Vereins Foodwatch, der ebenfalls Gegenstand des Kataloges ist – wobei es stets zum Prinzip der Verbraucherorganisation gehörte, auf staatliche Fördergelder zu verzichten. Über diese und viele andere der nun abgefragten Informationen hätte die Union längst verfügen können, würde es ihr wirklich um die Erkenntnis gehen: Zahlreiche Angaben finden sich nämlich ganz selbstverständlich auf den Internetseiten der Initiativen.
„Autoritäres Playbook“
Andere demokratische Parteien reagierten irritiert auf das Vorgehen. Die SPD – immerhin der erklärte Wunsch-Regierungspartner der Union – sprach von einem „Foulspiel“ und stellte Koalitionsgespräche mit Merz in Frage. Grüne warnten vor „Trump’schen Verhältnissen“ und einer „Einschüchterung der freien Zivilgesellschaft“. Andreas Audretsch, Wahlkampfleiter des grünen Spitzenkandidaten Robert Habeck, fühlte sich „an das Playbook der Autoritären in Ungarn, in Georgien, in Russland…“ erinnert.
Die Union machte ihrerseits keinen Hehl daraus, was ihr den Anlass zu der Anfrage gab. „Hintergrund“, so heißt es dort in der Vorbemerkung, sind die von Vereinen und Initiativen befeuerten Proteste gegen Merz’ Manöver kurz vor der Bundestagswahl.
Zur Erinnerung: Der Kanzlerkandidat hatte einen rein deklaratorischen migrationspolitischen Antrag zur Abstimmung im Bundestag gestellt, von dem er wusste: Eine Mehrheit dafür würde er nur von Gnaden der rechtsradikalen AfD bekommen. Ein Tabubruch, der mit einem Konsens der bundesrepublikanischen Geschichte brach und die Brandmauer gegen Rechts bröckeln ließ. Trotz alledem aber deutet die Union die Demonstrationen, die auch vor der Parteizentrale der CDU stattfanden, in ihrem Antrag einfach zu „Protesten gegen die CDU Deutschlands“ um.
Dass bei den Protesten mitunter auch Grenzen des guten Geschmacks überschritten wurden, ist sicher richtig – etwa, wenn Demonstrierende Merz als Nazi titulierten. Ebenso klar erkennbar aber war, dass sich die große Mehrheit und insbesondere die zum Protest aufrufenden Organisationen nicht gegen die Existenz einer Partei, sondern gegen deren Handeln richteten.
Angriff auf die Gemeinnützigkeit der Umwelthilfe
Ohnehin offenbaren die nun erklärten Motive für die bemerkenswerte Anfrage nur einen Teil der Wahrheit. Denn tatsächlich stehen die Unionsparteien schon seit langer Zeit auf Kriegsfuß mit vielen NGOs. Sichtbar wird dies immer dann, wenn Organisationen besonders unbequem werden – und Positionen vertreten, die die Union nicht teilt. So ist es, wenn Tierschützer Missstände in Ställen aufdeckten, wenn Organisationen gegen das zwischen EU und USA geplante Handelsabkommen TTIP demonstrierten, wenn Aktionen von Klimaschützern die Massen mobilisierten oder auf andere Weise besonders aufmerksamkeitsstark gerieten.
Welch seltsam-opportunistisches Verhältnis zum Rechtsstaat der angestaute Ärger über die Organisationen bedingen kann, zeigt eindrucksvoll die Reaktion auf die besonders effektive Feinstaub-Kampagne der Deutschen Umwelthilfe. Diese brachte die CDU schon einmal an einem ähnlichen Punkt, an dem sie heute wieder angekommen scheint. Ausgerechnet in einer Parteitagsrede der sonst eher abwartend agierenden Kanzlerin Angela Merkel Ende 2018 brach sich der Furor Bahn – und so beschloss die Partei seinerzeit allen Ernstes, die Gemeinnützigkeit der Umweltorganisation überprüfen zu lassen.
Das Votum blieb schon deshalb folgenlos, weil ihm ein groteskes Verständnis der rechtsstaatlichen Rollenverteilung zugrunde liegt: Wer als gemeinnützig anzuerkennen ist, regelt nämlich ein Gesetz – und deren Einhaltung zu überprüfen, ist Sache von Behörden und Gerichten, aber glücklicherweise keine Frage politischer Willkür.
Gemeinnütziger geht es kaum
Noch grotesker erschien der christdemokratische Furor, wenn man sich näher betrachtet, worin eigentlich das „Vergehen“ der Umwelthilfe gelegen haben soll: Der Verein war mit einer ganzen Serie von Klagen gegen Städte und Kommunen vor Gericht gezogen, weil diese Grenzwerte für die Feinstaubbelastung nicht einhielten. Wer darin einen Missbrauch der Justiz wittert, dem sei gesagt: Gerichte bestätigten die Umwelthilfe Mal um Mal.
In der Folge kam es zu teilweisen Fahrverboten. Gerichte verdonnerten Verwaltungen dazu, Aktionspläne vorzulegen, mit denen sich die Luftqualität gesetzeskonform verbessern ließ. Man mag dies für übertrieben oder für grundverkehrt halten, man muss die Umwelthilfe nicht mögen und kann vieles an ihr kritisieren – nur eines war all dies sicher nicht: ein Konflikt mit dem Gemeinnützigkeitsrecht. Im Gegenteil lässt sich wohl kaum etwas so idealtypisch mit dem Gedanken von Gemeinnützigkeit verbinden wie das Vorgehen der Umwelthilfe bei dieser Kampagne: Sie setzte auf rechtsstaatlichem Wege durch, dass sich ein Staat an seine eigenen Gesetze hält – was er bis dato schlichtweg unterlassen hatte.
Nun kann man freilich auch diese Gesetze für falsch halten. Doch beschlossen hatten sie ja nicht die Aktivist:innen der Umwelthilfe. Die CDU aber richtete ihren Ärger nicht etwa gegen die parlamentarischen Mehrheiten, die die Vorgaben verabschiedet hatten, und auch nicht gegen die Bürgermeister und Landräte, die sich um die Gesetze nicht scherten – sondern gegen eine Umweltorganisation, die sich kompromisslos dafür einsetzte, geltendes Recht durchzusetzen. Das ist selbst nüchtern betrachtet schon eine atemberaubende rechtsstaatliche Geisterfahrt.
Lübcke-Witwe distanzierte sich von Merz
Nun also formten Massenproteste gegen Abstimmungen mit der AfD jenen Tropfen, der bei der Union abermals das Fass zum Überlaufen brachte. Kanzler in spe Friedrich Merz verlor jedes Maß, als er den Aktiven gegen Rechts vorhielt, dass sie jetzt gegen ihn protestierten, aber 2019 nicht auf der Platte standen, als ein Rechtsextremist den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke – einen CDU-Mann – auf dessen Terrasse hinrichtete. Der Vorwurf ist schlichtweg falsch, wie nun auch die Witwe Lübckes klarstellte. Sie distanzierte sich deutlich von Merz.
Die Geisterfahrt der Union soll nicht den Blick darauf verstellen, dass auch zivilgesellschaftliche Akteur:innen mitunter auf Abwegen unterwegs sind. So gibt es tatsächlich Initiativen, die wie Vorfeldorganisationen von Parteien agieren, offensiv zum Beispiel Wahlkreiskandidaten gegen ihre Wettbewerber unterstützen. Es gibt Vereine, die gemeinsam mit Parteien feste Strukturen unterhalten, in denen sie ihre Strategien absprechen, ihre Forderungen und manchmal sogar ihre öffentliche Kommunikation.
Derartige Klüngelrunden mögen aus einer ideologischen Nähe heraus nachvollziehbar sein – doch können sie nicht zur Aufgabe einer Nichtregierungsorganisationen gehören. Das gilt übrigens schon vom Wortsinn her: Die Partnerschaften bestehen schließlich fort, wenn die verbündeten Parteien in eine Regierung einziehen – und als „Regierungsorganisation“ würde sich wohl kaum einer der Vereine gern bezeichnen lassen.
Falsche Loyalitäten
Dass es aufgrund der jeweiligen inhaltlichen Ziele mit der einen Partei mehr, mit der anderen Partei weniger Überschneidungen gibt, liegt in der Natur der Sache. Das ist nicht zu kritisieren, ebenso wenig, wenn NGOs – gemessen an diesen Zielen – die Programme der Parteien unterschiedlich gut bewerten. Doch für jede politisch arbeitende Organisationen wäre es bereits um ihrer selbst willen schlau, sich nicht als Teil eines parteipolitischen Lagers zu verstehen und zudem ohne Staatsgelder auszukommen, die nun einmal zumeist von Parteivertreter:innen in Staatsämtern bewilligt werden. Das schafft Abhängigkeiten und es sorgt für falsche Loyalitäten, die nichts mehr mit der Sache zu tun haben, um die es eigentlich gehen sollte.
Derartiges Lagerdenken besteht auf beiden Seiten. Das zeigt sich, wenn sich mit jedem Regierungswechsel ändert, welche Vereine an die staatlichen Töpfe gelassen werden. Politiker:innen verstehen es zudem, in schwierigen Situationen die Nähe ihrer Partei zu bestimmten Organisationen zu nutzen und sich im Vorfeld einer Positionierung oder Abstimmung der außerparlamentarischen Zustimmung zu vergewissern – und wenn dies schon nicht gelingt, zumindest für eine besonders milde Form der Kritik zu sorgen. Meistens hat all dies weniger mit Geld zu tun als mit dem Gefühl, grundsätzlich doch auf derselben Seite zu stehen.
Welch Dimension das Geklüngel annehmen kann, zeigt eine erst kürzlich auf EU-Ebene bekannt gewordene Praxis: Da verpflichteten die Einheiten des einen EU-Kommissars NGOs vertraglich dazu, im Zuge einer Projektförderung gegen die Politik eines anderen EU-Kommissars zu agitieren. Das ist natürlich daneben: Nichtregierungsorganisationen als Werkzeug in internen Machtkämpfen. Die Initiativen tragen eine Mitschuld daran, so etwas mitzumachen.
Schädliches Lagerdenken
Zweifellos bildet das Lagerdenken den Kern des ganzen Problems. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns – und muss bekämpft werden: So teilen Parteien und auch einige zivilgesellschaftliche Organisation ihre Welt in Freund und Feind, zum Schaden eines gesunden demokratischen Diskurses.
Aus einem solchen Weltbild resultieren aus Sicht der Parteien drei Kategorien von Organisationen. NGOs der ersten Kategorie sind sakrosant, weil unbedeutend oder aus anderen Gründen irgendwie egal. Dazu gehören Einrichtungen, die schöne, unpolitische Projekte machen, an denen niemand sich stören kann. Aber auch Vereine wie die Verbraucherzentralen – immerhin auch NGOs, von Staatsgeldern abhängig und noch dazu personell eng mit den Grünen verwoben –, die keinem Politiker so sehr wehtun, dass er ihre Finanzierung ernsthaft in Frage stellen würde. Im Merz’schen Fragenkatalog tauchen sie gar nicht erst auf.
Das gilt auch für die Organisationen der zweiten Kategorie: die Guten, die man grundsätzlich im eigenen Lager verortet. Wer aus Sicht der Unionsparteien der dritten – also gegnerischen – Kategorie angehört, lässt sich nun in den 551 Fragen namentlich nachlesen.
Bauernpräsidenten im Ministersessel
Einige verräterische Formulierungen darin offenbaren die ganze Bigotterie. Ob Vorstände oder Führungspersonen von Organisationen „politische Ämter oder enge Verbindungen zu Parteien“ haben, wollen CDU und CSU beispielsweise wissen. Es ist schon bemerkenswert, wenn ausgerechnet diese Parteien darin ein Problem erkennen.
Immerhin handelt es sich um jene Parteien, die sich anschicken, Bauernpräsidenten zu Landwirtschaftsministern zu machen, wie in Schleswig-Holstein bereits geschehen und aktuell auf Bundesebene von der CSU wieder vorgeschlagen. Jene Parteien, die ihre Positionen in institutionalisierten Einrichtungen wie der Mittelstands- und Wirtschaftsunion mit Unternehmern und Verbandsfunktionären auf ebensolche Weise abstimmen, wie es die SPD mit Gewerkschaften oder die Grünen mit Umweltvereinen tun. Jene CDU, die einem Wirtschaftslobbyverband sogar ein festes Mitspracherecht in seinem Parteivorstand einräumt. Ein Problem scheint das Geklüngel immer nur dann, wenn es im „anderen Lager“ geschieht.
Es braucht den Aktivismus als Korrektiv
Das ist, gemessen an all dem, was diese Gesellschaft derzeit herausfordert, eine äußerst kurzsichtige Perspektive. Denn ebenso, wie Unternehmen oder Branchen ihre Interessen vertreten müssen, braucht es zivilgesellschaftliche Organisationen als Korrektiv – auch professionell aufgestellte, politisch arbeitende.
Offenbar müssen wir wieder lernen, Lobbyismus und Aktivismus auszuhalten, solange sie sich im demokratischen Spektrum bewegen. Und zwar gerade dann, wenn wir eine Position nicht teilen. Denn was wäre die Alternative? Parteien, die all jene Organisationen bekämpfen, die ihre Positionen nicht teilen und damit auf eine gewisse Resonanz stoßen? Ein solchen Staat kann niemand sich ernsthaft wünschen.
Eine wehrhafte Demokratie braucht eine vielschichtige und lebendige Zivilgesellschaft. Engagieren sich Organisationen über ihre spezifischen Themen hinaus für ein zentrales, übergeordnetes Anliegen, nämlich für starke demokratische Strukturen und gegen das Erstarken des Rechtsextremismus, so kann dieser Gesellschaft wenig Besseres passieren. Derartige Initiativen sollten bestärkt und nicht als Feinde betrachtet werden. Diese Rolle gebührt jenen, die unsere Demokratie aushöhlen und bekämpfen.
Vor allem dürfen zivilgesellschaftliche Akteur:innen keine Angst haben, dass ihr Einsatz für die Demokratie nachteilige Konsequenzen für sie haben könnte. Mit ihrer Anfrage erreicht die Union das Gegenteil. Ein Kanzler Friedrich Merz täte gut daran, auch und gerade unbequeme Organisationen, die seine Positionen nicht teilen und die ihn kritisieren, als nötiges Korrektiv zu respektieren. Wenn er stattdessen die Legitimität dieser Akteure in Frage stellt, legt er Hand an jene zivilgesellschaftlichen Strukturen, die wir gerade heute so dringend wie nie benötigen.