Mali: Überlebende des Massakers von Moura beschuldigen russische Bewaffnete
In Mali häufen sich schwere Angriffe auf Zivilisten. Augenzeugen machen russische Kämpfer verantwortlich. Der Bundestag entscheidet diese Woche über den Bundeswehr-Einsatz in dem Land.
Die Bundesregierung will sich an der EU-Ausbildungsmission EUTM in Mali künftig nicht mehr beteiligen. Den UN-Einsatz MINUSMA sollen deutsche Soldaten nach Wunsch der Regierung aber weiterhin unterstützen. Der Antrag, den die Regierung dazu angekündigt hat, steht am Mittwoch auf der Tagesordnung des Bundestags. Vor allem die Präsenz russischer Kämpfer in dem Land hat zu Kritik an der UN- und der EU-Mission geführt. Es gibt immer mehr Berichte über schwere Übergriffe. Ein besonders schweres Massaker wurde zwischen Ende März und Anfang April in dem Ort Moura verübt. Nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch haben dort malische Soldaten und ihre russischen Verbündeten bis zu 300 Menschen umgebracht. Die malische Armee hatte verkündet, 203 islamistische Kämpfer getötet zu haben. Zwei Überlebende des Massakers von Moura berichten.
Zwischen Kühen, Schafen und Ziegen laufen Kinder herum und spielen. Sie haben mit ihren Eltern auf einem der Viehmärkte von Bamako Zuflucht gefunden, der malischen Hauptstadt. Hierher ist auch ein junger Mann aus dem Ort Moura geflohen, rund 400 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Er möchte aus Sicherheitsgründen anonym bleiben und heißt hier Adama Cissé. Nach eigenen Angaben ist Cissé ein Überlebender des Massakers von Moura. Am 27. März sei er auf den Markt von Moura gegangen, nur zwei Kilometer von seinem Heimatdorf entfernt. Als einer der ersten habe er die fünf Militärhubschrauber gesehen. Vier seien gelandet, einer in der Luft geblieben. Aus den Hubschraubern seien Bewaffnete gestiegen, sie hatten laut Cissé eine weiße Haut.
Soldaten mit weißer Haut und fremder Sprache: „Sie haben auf alle geschossen, die sich bewegten“
„Als die Leute den Lärm hörten, bekamen sie Angst und rannten in alle Richtungen davon“, erinnert sich Cissé. „Aus dem Hubschrauber, der über dem Dorf kreiste, haben sie auf die Fliehenden geschossen, der Hubschrauber setzte ihnen sogar nach.“ Er selbst habe zu denen gehört, die anschließend diese ersten Leichen des Massakers geborgen hätten. „Wir alle sind Zeugen, dass die Besatzung des Hubschraubers auf die Fliehenden geschossen hat.“
Ein weiterer Überlebender, der hier Boubacar Diallo heißt, erzählt ebenfalls von fünf Hubschraubern. Auch er ist im Anschluss an das Massaker nach Bamako geflohen. Als die Hubschrauber gegen 17 Uhr abgeflogen seien, hätten Bewaffnete Moura umstellt: sowohl malische als auch weiße Soldaten.
Mali hat Russland um militärische Hilfe gebeten
Die Weißen hätten nicht Französisch gesprochen, die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht. Nach dem Abflug der Hubschrauber seien dieweißen Soldaten von Haus zu Haus gegangen und hätten jedes nach Männern durchsucht. „Es waren viele mehr weiße als malische Soldaten.“ Die weißen Soldaten hätten viele Männer festgenommen und anschließend in kleinere Gruppe geteilt. „Die Gruppe, in der ich war, war die größte, wir waren vielleicht 400 Leute.“ Diallo erzählt, dass er am Montag verhaftet worden sei. „Zwei weiße Soldaten kamen zu unserem Haus und klopften an die Tür“, erzählt er. „Als ich aufmachte, sah ich die beiden weißen Soldaten und habe die Tür gleich wieder zugeknallt. Sie fingen an, auf die Tür zu schießen.“ Da die Kugeln durch die Tür abgehalten und abgelenkt wurden, habe er überlebt.
Laut der Westafrika-Direktorin von Human Rights Watch, Corinne Dufka, glauben die Augenzeugen, mit denen ihre Organisation gesprochen hat, dass es sich bei den weißen Männern um Russen handelte, weil die malische Regierung im Dezember die Präsenz russischer Ausbilder im Land angekündigt hatte. Die weißen Bewaffneten hätten außerdem nicht Französisch gesprochen, die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht, sondern eine ihnen fremde Sprache. Die russischen Soldaten sollen die malische Armee nach Angaben der malischen Regierung im Kampf gegen bewaffnete Islamisten unterstützen und sie an den Waffen ausbilden, die Russland Mali außerdem liefert. Ende März kamen zwei russische Kampfhubschrauber und mobile Radargeräte in Bamako an, Mitte April zwei weitere und zusätzliche mobile Radargeräte.
Russische Soldaten oder Söldner der Wagner-Gruppe?
Auch Cissé und Diallo sprechen von den Russen. Doch ob es sich um russische Soldaten oder Söldner der berüchtigten, Kreml-nahen Wagner-Gruppe handelte, können weder Cissé noch Diallo sagen. Die Söldner des privaten Militärunternehmens Wagner tragen keine besonderen Uniformen und keine russischen Hoheitszeichen oder andere Erkennungsmerkmale. Die Söldner des privaten russischen Militärunternehmens agieren verdeckt. Die russische Regierung bestreitet sogar, dass es die Gruppe überhaupt gibt. Nach US-Erkenntnissen wird das Unternehmen dagegen von Jewgeni Prigoschin finanziert, einem engen Vertrauten von Präsident Waldimir Putin. Die Wagner-Söldner sollen inzwischen auch in der Ukraine im Einsatz seien, sie kämpfen in Syrien und Libyen sowie in anderen afrikanischen Staaten wie der Zentralafrikanischen Republik und dem Sudan.
Cissé wurde etwas später festgenommen als Diallo. „Am Sonntag hatte ich es zunächst geschafft, abzuhauen und mich im Haus meines Onkels zu verstecken, dort bin ich erstmal geblieben“, erzählt er. „Am Dienstag haben die Bewaffneten angeordnet, dass alle Männer zum Fluss kommen, ich bin auch gegangen.“ Nach seiner Schätzung wurden dort etwa 4000 Männer versammelt. Je ein oder zwei malische Soldaten hätten eine Gruppe von Gefangenen bewacht. „Wer zu fliehen versuchte, kam nicht weit.“ Die Malier hätten die Gefangenen bewacht, „die Russen haben die Opfer ausgesucht und getötet, das habe ich selbst gesehen“. Die weißen Soldaten seien von Gruppe zu Gruppe gegangen und hätten jeweils bis „zu 15 oder 20 Männer mitgenommen, um sie zu erschießen. Sie haben die Leute nicht vor unseren Augen erschossen, sondern sind mit ihnen hinter eine Hütte gegangen“.
Viele getötete Zivilisten unter den angeblichen Terroristen
Die Russen hätten den Gefangenen erzählt, sie könnten Terroristen mit Hilfe einer Maschine erkennen, erinnert sich Cissé. Er habe aber keine solche Maschine gesehen und nehme an, dass die Menschen auf Verdacht exekutiert wurden. Das Massaker habe von Sonntag bis Mittwoch gedauert. Laut Human Rights zählten zu den Verhafteten und Hingerichteten sowohl Dorfbewohner als auch Hunderte von Händlern, die an diesem Sonntag auf den Markt gekommen waren. Etwa 300 Menschen seien getötet worden. Bislang ist unklar, wie viele der Toten Zivilisten waren und wie viele tatsächlich einer der islamistischen Terrorgruppen angehörten, die in Mali gegen die Regierung und gegen die Armee kämpfen.
„Jeder kannte die Islamisten“
„Natürlich haben bei uns auch Islamisten gelebt, aber es waren nicht viele“, sagt Cissé. „Unter hundert Menschen waren vielleicht sechs Islamisten. Wir kannten sie, weil sie nie ein Geheimnis daraus gemacht haben.“ Die Exekutionen seien nachts weiter gegangen, „alle zehn Minuten hörten wir Schüsse“. Cissé sagt, er sei sich sicher, dass die Anwesenheit der Weißen zu diesem Massaker geführt habe. „Es ist das erste Mal, dass ich gesehen habe, wie malische Soldaten ein solches Verbrechen verübt haben.“
Zwischendurch hätten malische Soldaten versucht, die Moral der Gefangenen hochzuhalten. „Sie sagten, wir sollten Ruhe bewahren“, erzählt Cissé. „Einer vertraute uns an, sie hätten keine andere Wahl. Die Weißen, mit denen sie hier seien, wollten jeden Verdächtigen töten. Sie könnten die Weißen nicht daran hindern.“ Und wer nicht sein Leben verloren habe, habe zumindest seinen Besitz eingebüßt, meint der 24-jährige Diallo: „Entweder haben sie dein Motorrad verbrannt oder dein Telefon mitgenommen oder irgendeinen anderen Wertgegenstand.“ Als sie die Männer aus den Häusern holten, hätten sie auch den Frauen befohlen, sich außerhalb zu versammeln. "Anschließend haben sie die Häuser durchsucht. Meiner Schwägerin wurden ihr Schmuck und ihr Geld gestohlen.
Die Zahl der Toten, meint Diallo, könne niemand schätzen. „Ich selbst habe schon mehr als 200 Leichen gezählt“, sagt er. „Einer meiner Freunde gehörte zu der Gruppe, die anschließend die Toten begraben musste. Einen ganzen Tag lang haben sie Leichen zu dem Massengrab gebracht.“
Er und Diallo wollen erst einmal zwischen den anderen Geflüchteten auf dem Viehmarkt bleiben. Sie können sich nicht vorstellen, wieder nach Hause zurückzugehen – aus Angst, dass sie einem nächsten Massaker nicht entkommen.