Die zehn wichtigsten Fragen und Antworten zur Zukunft von Nordsee und Ostsee

Fast jeder Deutscher und jede Deutsche war im Urlaub schon an der Nordsee- oder Ostseeküste. Wir mögen Strand, Sand und Wasser, doch beide Meere stehen vor großen Problemen. RiffReporter erklärt, was man über Nord- und Ostsee wissen sollte – und wo die Meere rekordverdächtig sind.

vom Recherche-Kollektiv Ozean & Meere:
9 Minuten
Sand und viel Meer: an der Nordspitze Dänemarks treffen sich Ostsee und Nordsee.

Dieser Text ist Teil unseres Rechercheprojekts „Zukunft Nordsee und Ostsee – wie sich unsere Meere verändern“.

In Deutschland kennen alle die Nordsee und die Ostsee. Doch es gibt viele interessante Details zu beiden Meeren. Wir haben zehn Fragen zusammengestellt, deren Antwort Sie vielleicht noch nicht kannten – und Ihnen mehr „Seeblick“ geben.

Wem gehört die Nordsee und wem die Ostsee?

Auch wenn das Festland weit entfernt sein mag, sind die Nord- und Ostsee keine rechtsfreien Räume. Internationales Recht und nationale Verträge klären eindeutig, wem welche Aktivitäten erlaubt werden. Am einfachsten ist die Situation im Hoheitsgebiet direkt im Küstenbereich: In einem Abstand von zwölf Seemeilen (22,2 Kilometer) vom Ufer besitzt der angrenzende Staat alle Rechte zur Nutzung, als ob es Festland wäre. Dort, wo sich Gebiete überschneiden, haben die Anrainerstaaten Verträge abgeschlossen.

Die nächste Grenze auf See ist 200 Seemeilen vom Ufer entfernt, vor der Küste liegende Inseln eingeschlossen. Dieses Gebiet heißt Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ). Dort darf ein Staat beispielsweise Öl, Gas und andere Rohstoffe fördern, Offshore-Windanlagen errichten, Pipelines und Kabel verlegen oder die Schifffahrt regulieren. Alle Gebiete der Nord- und der Ostsee sind als AWZ eines der Anliegerländer zugeordnet, über die Nutzung der Böden beider Meere entscheiden also ausschließlich die zwölf europäischen Anrainerstaaten sowie Russland.

Sind die Nordsee und die Ostsee Naturschutzgebiete?

Viele BesucherInnen erleben die Küsten und Inseln der Nord- und der Ostsee als besonderes Naturerlebnis. Tatsächlich genießen weiträumige Regionen den besonderen Status eines UNESCO-Welterbes, Nationalparks oder eines Natur- oder Landschaftsschutzgebietes. Die Ampel-Koalition hatte angekündigt, zehn Prozent der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) gemäß EU-Biodiversitätsstrategie streng zu schützen, also als Zone frei von jeglicher schädlichen Nutzung auszuweisen. 43 Prozent des deutschen Territoriums der Nordsee und 51 Prozent der Ostsee sind entsprechend ausgewiesen – zumindest auf dem Papier.

In der Realität stellen die beiden Meere und ihr Küsten nicht nur einen einzigartigen Lebensraum für Pflanzen und Tiere dar, an dem sogar Wale beobachtet werden können. Die Nord- und Ostsee sind nicht nur Sehnsuchtsort für Urlauber, sie sind gleichzeitig Zentren für Tourismus, Wirtschaft und Industrie, Verkehrsachsen für die internationale Schifffahrt, Lagerstätten für Rohstoffe und Plätze der Energiegewinnung und sogar Arbeitsplatz von Tiefseearchäologen. Damit auch diese Interesse gewährleistet werden, existieren etliche Sonderregelungen, die den Schutz stark aushöhlen.

Nicht anders als in einer hektischen Großstadt gibt es sowohl für die Nord- als auch für die Ostsee Flächenentwicklungspläne. Sie wurden 2023 vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie überarbeitet, derzeit wird heftig diskutiert, ob sie angestrebte Ziel erreichen, eine strenge Schutzzone auszuweisen. Angesichts des schlechten Zustands der Meere und ihrer Bedeutung fordert beispielsweise der Nabu, dass 50 Prozent der ausgewiesenen Meeresschutzgebiete frei von jeglicher schädlichen Nutzung sein müssten.

Die Grafik zeigt, wie die deutsche Wirtschaftszone in der Ostsee verwendet wird: Schiffhart, Energie, Rohstoffe, Naturschutz
Die Ostsee muss viele Aufgaben erfüllen. Für die deutsche Region regelt der Flächennutzungsplan, welches Gebiet für welchen Zweck vorbehalten wird.
Die Karte der deutsche aussschließliche Wirtschaftszone ist in verschiedenen Farben markeirt. Jede Farbe steht für eine Nutzungsform.
Fischerei, Naturschutz, Rohstoffe, Schifffahrt, Energie: Die Anforderungen an die Nordsee sind groß. Deshalb erstellen die Behörden Flächennutzungspläne, vergleichbar mit der Situation in einer Großstadt.

Wie tief ist die Ostsee, wie tief die Nordsee?

Das topografische Profil von Nordsee und Ostsee könnte unterschiedlicher kaum sein. Die Nordsee bekommt als Ausläufer des Nordatlantik durch die Ozeanströmungen ständig neues Wasser, das durch Ebbe und Flut und die häufigen Stürme durchmischt wird. Dadurch wird binnen ein bis zwei Jahren das Wasser der Nordsee komplett ausgetauscht. Zu den tiefsten Stellen der Nordsee gehört die durch Eisbewegungen geformte 700 Kilometer lange Norwegenrinne mit bis zu 725 Meter Wassertiefe. Im Rest der Nordsee sind Tiefen von mehr als 200 Metern selten, die mittlere Tiefe beträgt 85 Meter. Die südliche Nordsee ist höchstens 50 Meter tief.

Die Ostsee besteht dagegen aus mehreren Becken, von denen das westliche Gotlandbecken mit 456 Metern und die Alandsee mit 300 Meter am tiefsten sind. Die durchschnittliche Tiefe der Ostsee ist mit 52 Metern eher gering, selbst der Bodensee ist tiefer. Die Ostsee bekommt viel Wasser durch Flüsse, die in sie münden. Der Austausch mit der Nordsee ist dagegen schwierig, weil unterseeische Schwellen das Einströmen des Nordseewasser behindern. Der vollständige Wasseraustausch in der zentralen Ostsee dauert 25 bis 30 Jahre.

Welche Rolle spielen Nord- und Ostsee bei der Energieversorgung?

Sowohl Norwegen als auch Großbritannien fördern in der Nordsee Erdöl und Erdgas. Beide Länder haben trotz ihrer Verpflichtungen beim Pariser Klimaabkommen noch vor kurzem Bohrungen für neue Fördergebiete genehmigt oder mit der Ausbeutung von neuen Lagerstätten begonnen. In dieser Woche hat der niederländische Konzern One-Dyas die Genehmigung für neue Bohrungen nordwestlich von Borkum bekommen. In 2023 stammten 30 Prozent des von der EU importierten Erdgas aus Norwegen. Für Deutschland sind Norwegen und Großbritannien die mit wichtigsten Erdöllieferanten.

Gleichzeitig werden die Nordsee und die Ostsee durch die Nutzung der Windenergie zur Heimat von erneuerbaren Energien. Langfristig soll der weitere Ausbau rund zehn Prozent der Nordsee (60.000 km²) und 20.000 km² der Ostsee betreffen. Auf der Doggersandbank in der Nordsee entsteht bis 2030 der größte Windpark der Welt; die erste von mehr als 277 Turbinen ging im Oktober 2023 in Betrieb.

Offshore-Windanlagen sind vor allen Küsten geplant. Dänemark plant für 28 Milliarden Euro das größte Bauprojekt in seiner Geschichte: Eine 120.000 Quadratmeter große künstliche Insel soll den Strom der Windanlagen sammeln und zum Festland leiten. Der Bau kleinerer Energieinseln vor Bornholm und vor der belgischen Küste hat bereits begonnen. In deutschen Gewässern drehten sich im Jahr 2022 mehr als 1500 Windkraftanlagen. Die installierte Leistung soll bis 2030 vervierfacht werden.

Eine fertige Windmühle als Beginn des größten Windparks der Welt, im Hintergrund werden weitere Masten gebaut.
Die Erste von vielen: Seit Oktober 2023 dreht sich die erste Turbine im Offshore-Windpark auf einer Sandbank in der Nordsee. Die Doggerbank soll zum größten Windpark der Welt werden.

Wie gefährdet ist die Nordsee durch Plastikmüll und Mikroplastik?

Das sehr feine Mikroplastik und die größeren Stücke Plastikmüll (ab fünf Zentimetern spricht man von Makroplastik) verhalten sich in der Umwelt ganz unterschiedlich. In den großen Ozeanen kann sich Plastikmüll in bestimmten Gebieten dauerhaft ansammeln. Eine achtjährige Studie eines Forscherteams der Universität Oldenburg prognostiziert aber, dass es in der Nordsee keine schwimmenden Müllhalden geben wird. Der Grund: Das Makroplastik wird sehr schnell wieder an die Küste angespült. Die Forschenden konnten das nachweisen durch Computermodelle für Strömungen, mit Satellitensendern markierte Driftkörper und indem sie kleine Holztäfelchen ins Meer warfen und in Küstenregionen gemeinsam mit anderem Müll wieder einsammelten.

Wenig überraschend verursachen hauptsächlich Schifffahrt und Fischerei sowie der Müll aus Kommunen und Häfen in Küstennähe die Plastikmüll-Verschmutzung in der Nordsee. Zwei Drittel der an der Küste ins Meer geworfenen Testobjekte landete in einer Entfernung von bis zu 25 Kilometern wieder am Strand. Auch ein Drittel der Versuchsobjekte, die auf hoher See ins Wasser gelangten, tauchten am Strand wieder auf. Gleichwohl ist bekannt, dass die Nordsee ein wichtiger Transportweg für Plastikmüll in Richtung Arktis ist. Forschende am Alfred-Wegener-Institut konnten bei Müllsammlungen in der Polarregion ermitteln, dass ein beachtlicher Teil (acht Prozent) davon aus Deutschland stammt. Ähnliche Ergebnisse finden Forschende, wenn sie den Mageninhalt von gestrandeten Walen untersuchen.

Für das winzige Mikroplastik konnten die Forscherteams zwei große Quellen ermitteln: zum einen Flüsse aus Siedlungsgebieten, die Abwasser aus Kläranlagen tragen. Zum anderen den feinen Anrieb der Schiffslackierungen.

Wie beliebt sind Ostsee und Nordsee bei Touristen?

Sehr beliebt – zumindest bei Einheimischen! Die Nordsee war 2023 das drittbeliebteste Ziel für Inlandsreisen. 6,6 Prozent der Bevölkerung haben einen Urlaub an der Nordsee gemacht. Laut der Umfrage eines Marktforschungsinstituts ist der deutsche Nordseeurlauber im Schnitt 45 Jahre alt, lebt als Paar in einem Haushalt ohne Kinder und gibt 705 Euro pro Person und Woche aus.

Die Ostsee ist bei Inlandstouristen sogar noch beliebter: 6,4 Millionen kamen 2023 zumindest für einen Kurzurlaub an die Ostsee.

Welche Rolle spielt die Schifffahrt in Nordsee und Ostsee?

Die Nordsee gehört zu den meist befahrenen Wasserstraßen der Welt. Jede dritte weltweite Fahrt eines Fracht- oder Containerschiffes beginnt oder endet in einem der großen Häfen an der Nordsee. Die Ostsee ist schon immer Standort von Kriegsmarine gewesen, vor allem vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Nach Angaben des maritimen Sicherheitszentrums in Cuxhaven gab es Jahr 2023 in der deutschen Nordsee 213.000 Schiffsbewegungen, in der Ostsee mehr als 340.000 Schiffsbewegungen. In der Nordsee müssen die Schiffe bestimmte Korridore befahren – Fahrspuren, die nur für eine Richtung vorgesehen sind. Der „Terschelling german bight“ entlang der ostfriesischen Inseln gehört zu den Routen mit der höchsten Verkehrsdichte. Sie ist acht Seemeilen breit, je drei Seemeilen in Richtung Ost und West und zwei Seemeilen als Verbotszone zwischen den Fahrspuren.

Die Schifffahrt bringt zahlreiche Umweltbelastungen mit sich, insbesondere für die zahlreichen einmaligen Ökosysteme, die entlang der Routen nahe der Inseln und zu den Häfen liegen. Bisher sind Nord- und Ostsee von Umweltkatastrophen durch verheerende Kollisionen oder Havarien verschont geblieben. Die Gefahr besteht aber trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und Notfallübungen, wie der Brand des Autofrachters „Fremantle Highway“, rund 27 Kilometer nördlich der niederländischen Wattenmeerinsel Ameland im Juli 2023 gezeigt hat.

Dicker Qualm steigt aus einem brennenden Autofrachter, die Helfer konnten tagelang nur zuschauen.
Der Brand des Autofrachters Fremantle Highway im Juli 2023 hat gezeigt, wie hilflos die Feuerwehren und RetterInnen bei einem Unglück in der Nähe der Nordseeinseln im Wattenmeer sein können.

Wie entwickeln sich die Wasser-Temperaturen?

Die Nordsee und die Ostsee erleben durch die Klimakrise Temperaturrekorde. Vor Helgoland werden seit 1962 täglich die Wassertemperaturen gemessen, sie waren 2023 im Durchschnitt mit 11,9 Grad Celsius so hoch wie nie zuvor. Die mittlere Oberflächentemperatur der Nordsee in der Deutschen Bucht hat sich zwischen 1969 und 2017 um etwa 1,3 Grad erhöht. Vor der deutschen Ostseeküste wurde seit 1982 ein mittlerer Anstieg der Wassertemperaturen um rund 1,6 Grad gemessen. Die Ostsee erwärmt sich sieben bis zehnmal schneller als die Weltmeere, die östlichen und nördlichen Bereiche erhitzen sich besonders stark.

Symptomatisch für die Erwärmung sind verstärkt auftretende Extremsituationen: marine Hitzewellen. Sie werden mittlerweile nicht nur im Sommer, sondern ganzjährlich beobachtet. Die Temperaturen stressen fast alle Lebewesen – beginnend bei den ganz kleinen mit Folgen für die gesamte Nahrungskette. „Die Planktonproduktion beginnt beispielsweise früher als üblich, oft zu früh für die Larven der Fischbestände, deren Überleben von der Verfügbarkeit des Planktons abhängt“, sagt Christian Möllmann von der Universität Hamburg.

Eignet sich die Nordsee als Endlager für Kohlendioxid?

Die globale Klimakrise scheint bislang ungebremst. Aller Voraussicht nach wird die Verringerung des Kohlendioxidausstoßes als alleinige Maßnahme nicht mehr ausreichen, um die glo­bale Erwärmung bis zum Jahr 2100 auf unter zwei Grad zu begrenzen. Deshalb diskutieren viele WissenschaftlerInnen, ob das Treibhausgas CO₂ dauerhaft aus der Atmosphäre entfernt und in unterirdische Lagerstätten gepresst werden kann. Acht deutsche Institutionen aus Wirtschaft und Forschung haben als Verbund „Geostor“ im Juni 2024 eine entsprechende Studie vorgelegt. „Tief unter der deutschen Nordsee liegen Gesteinsformationen, die ein Speicherpotential von ein bis sechs Milliarden Tonnen Kohlendioxid aufweisen“, heißt es in der Studie.

Die Projektpartner haben eine Speicherstruktur in der deutschen AWZ näher untersucht, in der Jahr für Jahr zehn Millionen Tonnen CO2 verpresst werden könnten – das entspricht etwa einem Viertel der Emissionen der deutschen Industrie in 2023. In Norwegen werden zwei ehemalige Erdgasfelder als CO2-Speicher getestet. Die öffentliche Diskussion über diese Verfahren hat gerade erst begonnen. Noch ist unklar, wie die großen CO₂-Mengen gesammelt und transportiert werden sollen, damit sie in der Nordsee verpresst werden könnten. Greenpeace bezeichnet die Idee als „größenwahnsinnig, teuer, ineffizient und voller Risiken“.

Wer reguliert den Fischfang in Nord- und Ostsee?

Der EU-Rat für Fischerei entscheidet jeweils im Herbst über die erlaubten Fangquoten für das kommende Jahr. Die zuständigen MinisterInnen der EU-Mitgliedsstaaten orientieren sich dabei an wissenschaftlichen Empfehlungen, aber auch das nationale Interesse am Erhalt der heimischen Fischerei übt einen großen Einfluss aus. Für die Ostsee wurde der Fang von Dorsch (in anderen Meeren wird er Kabeljau genannt) vollständig und der von Hering in großen Regionen verboten. Zu Beginn der 2000er Jahre landeten beide Fischarten noch als typischer Ostseefisch auf dem Teller.

Inzwischen sind die Bestände durch Überfischung und schlechte Umweltbedingungen weitgehend zusammengebrochen. Zumindest beim Dorsch bezweifeln Forschende, dass sich die Population angesichts der geringen Zahl an Jungfischen aus eigener Kraft wieder erholen kann. Viele OstseefischerInnen haben aufgegeben oder auf Plattfische wie Scholle, Kliesche und Flunder umgestellt. Die beteiligten Gruppen versuchen seit Jahren ein Konzept für eine nachhaltige Rettung der Fischbestände auszuhandeln.

In der Nordsee ist auch Großbritannien an der Festlegung der Fangquoten beteiligt. Nach Auskunft von Gerd Kraus, Leiter des Thünen-Institut für Seefischerei, sind dort viele Fischbestände in einigermaßen guten Zustand. Das gelte aber nicht für alle Arten, beispielsweise nicht für Kabeljau und Aal. Der Streit um nachhaltigen Fischfang betrifft hier vor allem die Fangmethoden, beispielsweise den Einsatz von Schleppnetzen, die den Meeresboden im großen Maße beschädigen, selbst in Naturschutzgebieten. Die deutsche Hochseefischerei in der Nordsee arbeitet profitabel, aber die Küstenfischerei hat große Probleme.

Das Projekt „Zukunft Nordsee und Ostsee – wie sich unsere Meere verändern“ wird gefördert von Okeanos - Stiftung für das Meer.

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