Äthiopien: Start-up stellt Bausteine aus recyceltem Plastik her, um CO₂ Ausstoß zu vermindern
Bei der Herstellung von Zement wird viel klimaschädliches Kohlenstoffdioxid frei. Ein junges äthiopisches Unternehmen will das ändern und gleichzeitig Berge von Plastikmüll verkleinern.
Steigende Meeresspiegel, häufige Dürren, verheerende Stürme – die Folgen des Klimawandels sind weltweit spürbar. Doch rund um den Globus suchen Menschen nach Lösungen, die das Schlimmste verhindern können: Ressourcen nachhaltiger nutzen, neue Wege für die Landwirtschaft oder politisches Engagement für klimabewusstes Handeln. An jedem zweiten Mittwoch im Monat lesen Sie hier, wie Menschen weltweit gegen die Klimakrise kämpfen.
Das Start-up von Kidus Asefaw schmilzt Plastikmüll zu Ziegeln um. Der äthiopische Unternehmer trägt damit zur Lösung für mehrere Probleme bei: Durch das Bauen mit recyceltem Plastik wird der CO₂-Ausstoß im Bausektor vermindert, Berge von Plastikmüll werden verkleinert und es entsteht bezahlbarer Wohnraum.
Die beiden Häuschen sind zwischen den Wohntürmen und Büroburgen, die um sie herum in die Höhe streben, leicht zu übersehen: eingeschossige, kleine Würfel mit einem Pultdach, der eine gestrichen in warmem Gelb, der andere in Orange. Auf dem Grundstück wächst in Beeten etwas Grün, auch das hebt sich ab vom grauen Beton der Umgebung. Die zwei kleinen Häuser stehen in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba und beherbergen eine Kindertagesstätte, die wegen Ferien allerdings gerade geschlossen ist. Das Besondere an den beiden Bauten verbirgt sich unter den leuchtenden Farben: Sie sind aus Plastik. Und sollen neben ihrer Funktion als Tagesstätte zeigen, was mit Abfall machbar ist.
Für Kidus Asfaw ist die Kindertagesstätte zwar einerseits ein Triumph, andererseits aber nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zu etwas viel Größerem: Der Enddreißiger möchte den Bausektor revolutionieren und klimafreundlicher machen, indem er gleichzeitig zur Lösung im Umgang mit Plastikmüll beiträgt und bezahlbaren Wohnraum schafft. Und zwar dadurch, dass er Ziegel aus Plastik herstellt und möglichst breit vertreibt. Dafür hat er im September 2021 das Start-up Kubik gegründet, das seitdem stetig wächst.
„Wir sind nicht die Ersten, die Plastik zu Ziegeln umwandeln“, räumt der Unternehmensgründer ein, „aber dadurch hatten wir Zeit, von den anderen zu lernen.“
Aus deren Erfahrungen hat der gelernte Softwareingenieur verschiedene Schlüsse gezogen: Kubik interessiert sich nicht für PET, das als Grundstoff für Plastikflaschen genug Abnehmer findet, sondern für andere Kunststofftypen, die auf dem Recyclingmarkt ansonsten kaum gefragt sind. Ein besonderes Ärgernis sind Plastiktüten und Verpackungsmaterial. Vieles davon landet auf Äckern, in den Weltmeeren, in Fisch- und Viehmägen – und letztlich als Mikroplastik auch im menschlichen Körper. „Wir haben lange getüftelt, um herauszufinden, wie wir auch diese weichen Plastikprodukte in unsere Lösung integrieren können“, sagt Kidus.
Billiger Bauen und zugleich Plastikmüll reduzieren
Zweitens beschloss er, sich bei der Vermarktung direkt an den Immobiliensektor zu wenden. Denn ihn treibt drittens die Frage um, wie seine Lösung möglichst viele Abnehmer finden kann. „Der Schlüssel dazu ist der Preis, “ hält er fest. Und der sei beim Bauen mit Plastik aus mehreren Gründen niedrig: Nicht nur seien die Ziegel günstiger, beim Hochziehen der Mauern sei außerdem kein Fachwissen nötig, was Arbeitskosten spare. „Unsere Häuser funktionieren wie das Prinzip Ikea“, sagt er lachend. „Wir haben die Ziegel so konstruiert, dass jeder damit eine Wand hochziehen kann, der in der Lage ist, mit einem Hammer umzugehen.“
Klimakiller Zement
Seine Idee zu „mainstreamen“ ist ihm vermutlich schon deshalb wichtig, damit seine Firma am Leben bleibt. Ihm liege aber auch daran, dass die CO₂-Einsparung im Bausektor ein Ausmaß bekommt, das für den Klimaschutz relevant ist. Schließlich gehe es ihm im Kern darum, den CO₂-Ausstoß im Bausektor zu vermindern.
Und da macht es Sinn, den Einsatz von Beton zu reduzieren, denn dieser kostengünstige und leicht formbare Baustoff hat den Nachteil, dass er viel Zement enthält. Und der ist extrem klimaschädlich, weil bei der Herstellung viele Treibhausgase frei werden.
Wenn Kidus über seine Heimatstadt Addis Abeba spricht, wird er leidenschaftlich: Er liebt den Moloch, der mit seinen fünf Millionen Einwohnern aus allen Nähten platzt und seit einigen Jahren in rasantem Tempo in alle Richtungen wächst – auch in die Höhe. „Als ich aufwuchs, fühlte sich Addis Abeba an wie eine Kleinstadt an“, erinnert sich der Vater dreier Kinder. „Dann wurden direkt vor meinen Augen Autobahnen gebaut. Wir sahen, wie die Straßen breiter wurden, wie Wolkenkratzer von links und rechts kamen.“ Der alte Stadtkern musste den neuen Hochhäusern weichen, von denen viele eine verglaste Fassade haben. So bekam Addis Abeba eine Skyline aus Bürotürmen, die bis heute zum guten Teil leer stehen. Draußen am Stadtrand wachsen zusätzlich Wohnblocks. „Afrika ist der Kontinent, der am schnellsten verstädtert“, betont Kidus. „Bis 2050 werden 70 % von uns in einer Stadt leben.“
Der anhaltende Bauboom beschäftigt nicht nur Startup-Gründer Kidus, sondern auch Abel Estifanos, den Programmbeauftragten des UN-Büros für nachhaltige, menschliche Siedlungsentwicklung, kurz UN Habitat, in Äthiopien. Seine Spezialgebiete sind Stadtplanung und Geografische Informationssysteme (GIS), außerdem Maßnahmen zum Umweltschutz. Sein Büro liegt im vierten Stock eines Hochhauses, der Blick aus dem Fenster fällt auf eine Skyline mit weiteren Türmen. Abel schaut aus dem Fenster und fängt an zu zählen: „Von hier aus sieht man … acht Gebäude, die gerade im Bau sind.“ Es gebe schon seit längerem einen Bauboom in Addis, bestätigt der Stadtplaner. „Dass die Gebäude klimagerecht sind, hat dabei keine Priorität.“ Viele Türme seien verglast und verstärkten den Effekt, der die Stadt zu einer Wärmeinsel macht. Abel ist besorgt, weil das in den Vorschriften für Baugenehmigungen keine Rolle spielt, „weder in denen des Landes, noch in denen der Stadt“.
Dürren und Überschwemmungen vertreiben Menschen vom Land
Dass Addis Abeba immer mehr Menschen anzieht, liegt laut Abel auch am Klimawandel. Denn Dürren und Überschwemmungen nehmen zu, vernichten Ernten und Existenzen auf dem Land. Viele hoffen aber auch einfach auf eine bessere Arbeit in der Stadt. Die Stadtregierung versuche schon lange, die dadurch entstehenden Probleme zu lösen. 2007 startete sie ein großes Projekt namens „Integrierte Wohnbebauung“, um die Wohnungsnot in Addis Abeba zu lindern. „Aber die Folgen für die Umwelt waren erheblich, durch das Projekt wurden etwa zehn Prozent der freien Flächen der Stadt bebaut“, bedauert Abel. „Das wiederum hat Auswirkungen auf das Klima in der Stadt.“ Der verstärkte Wohnungsbau ab 2000 hatte laut Abel auch damit zu tun, dass sich Äthiopien im selben Jahr zusammen mit 188 weiteren Staaten für die so genannten Milleniums-Entwicklungsziele verpflichtet hatte. Dazu zählen Armutsbekämpfung, Friedenserhaltung und Umweltschutz. Aber auch angemessener Wohnraum für alle Menschen. 2015 wurden die Milleniums-Entwicklungsziele durch die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, kurz SDGs, abgelöst. Ziele, die über jeden Zweifel erhaben scheinen. Trotzdem hatte der großflächige Wohnungsbau zum Teil katastrophale Folgen.
Rasante Verstädterung bedroht Grundwasser und befeuert Klimawandel
„Durch die massive Verstädterung auch des Umlands versickert jetzt weniger Wasser im Boden, die Grundwasservorräte werden nicht mehr aufgefüllt“, beschreibt Abel. „Stattdessen fließt mehr Wasser ab, was wiederum zu mehr Überschwemmungen führt.“ Menschen, die gegen alle Vorschriften in den Pufferzonen bauen, in denen sich das Wasser sammelt, erlebten dann „unmittelbar die rohe Gewalt der Überschwemmungen“. In den letzten zwei, drei Jahren habe es immer wieder solche Vorfälle gegeben.
Die Zeit drängt also, sich den Herausforderungen durch die rasante Verstädterung zu stellen. Die Urbanisierung wird durch die Folgen der Klimakrise zusätzlich beschleunigt und feuert den Klimawandel ihrerseits an – ein Teufelskreis, den Kidus gerne unterbrochen sähe. Er hat sich trotz aller Krisen zupackende Energie und Optimismus bewahrt, sieht in der rasanten Veränderung auch eine Chance: Was im Fluss sei, lasse sich noch prägen. Und zwar – so hofft Kidus – in Richtung einer sauberen und wirtschaftlichen Lebensweise.
Ein paar Kilometer außerhalb von Addis Abeba wird es konkret: In einer Lagerhalle wühlen sich zwei Frauen und ein Mann durch Berge von Plastikmüll, sortieren Plastiktüten auf einen Haufen, arbeiten sich durch Flip-Flops, Kosmetikflaschen, Haarbürsten, Schüsseln, Eimer und was die städtische Gesellschaft sonst noch so ausspeit. Nach Plastikarten vorsortiert, wird der Müll von hier in die Fabrik des Start-ups Kubik gebracht, um dort zu Ziegeln umgeschmolzen zu werden.
Balai Nesh durchforstet die Berge in gebückter Haltung schon seit fast acht Stunden, bald hat sie Feierabend. „Weiße Gegenstände bestehen häufig aus LDPE“, erklärt sie. „Und das hier ist zum Beispiel HPDE.“ Die beiden Kürzel stehen für zwei unterschiedliche Typen von Polyethylen, der häufigsten Kunststoffvariante. Die meisten Produkte enthalten allerdings Kunststoffmischungen, was das Recycling schwierig macht. In der Fabrik von Kubik werden die Vorergebnisse überprüft. Die Frau Mitte 30 hat ihren Lebensunterhalt mit dem Sammeln von Müll verdient, bis sie den Job bei Kubik bekam. Im Vergleich zum Durchwühlen von Müllhalden ist die Arbeit in der Lagerhalle eine deutliche Verbesserung: Sie bekam einen orangen Overall, einen Schutz für die Haare sowie Handschuhe als Arbeitskleidung und bezieht nun ein festes Gehalt.
Kurz vor Dienstschluss hält ein LKW mit Säcken voller Plastikmüll vor der Lagerhalle. Der Fahrer Mohammed Nuri schmeißt einen nach dem anderen auf den Boden, bevor er hinterherspringt. Das Beste an seinem Job findet er natürlich sein Einkommen. Dass er damit hilft, die Abfallberge zu reduzieren, macht ihn zusätzlich zufrieden. Kubik hat drei solcher Plastikmüll-Sammelstellen, die mit dem beliefert werden, was die Firma hunderten Müllsammler*innen in Addis Abeba abkauft. Derzeit schafft es das Start-up nach Kidus’ Angaben, 5000 Kilogramm Plastikmüll pro Tag zu kaufen, zu sortieren und zu verarbeiten. Das sei genug, um drei kleine Häuser mit einer Grundfläche von je 70 Quadratmetern zu bauen. Sein Ziel für Ende 2024: 45.000 Kilogramm Plastikmüll am Tag.
Das Herz des jungen Unternehmens schlägt in Adama, einer neu entstandenen Wirtschaftszone knapp 100 Straßenkilometer von Addis Abeba entfernt. In der Fabrik ist das Fotografieren verboten, die Firma fürchtet den Diebstahl geistigen Eigentums. Stattdessen bietet die PR-Abteilung Pressefotos an. Denn auch wenn Kubik nicht das erste Unternehmen ist, das Plastik in Baumaterial verwandelt, so hat die junge Firma doch lange an der richtigen Rezeptur für ihre „Steine“ getüftelt. Das Besondere ist, dass die verschiedenen Plastiktypen möglichst getrennt und dann in einem bestimmten Verhältnis neu zusammengesetzt werden.
Die Produktionshalle ist blitzsauber. An einem Ende wird unterschiedliches, geschreddertes Plastik in die Anlage gefüllt und geschmolzen, am anderen Ende kommen die Steine aus der Presse. Betriebsleiter Assefa Ayale ist von seiner Arbeit begeistert: „Ich bin sehr, sehr stolz darauf, hier zu arbeiten. Ich habe das Gefühl, etwas für die Umwelt und für die Gemeinschaft zu tun.“ Der Chemie- und Umweltingenieur war rund sieben Jahre lang bei verschiedenen Recyclingunternehmen angestellt, bevor er im Frühjahr 2023 zu Kubik stieß. Dass die Firma an der Wiederverwertung von Abfällen arbeite, dürfe aber nicht als Freifahrtschein missverstanden werden. „Bei der Verarbeitung von Recyclingabfällen entstehen auch wieder eigene Abfälle“, stellt er fest. „Wir müssen also dafür sorgen, dass sie behandelt werden und umweltfreundlich sind.“
Das Bauen mit Plastik hält der 40-jährige Vater zweier Kinder für eine „ausgezeichnete Lösung für unsere Erde“: „Viele Seen, Meere und Ozeane werden immer stärker durch Plastikabfälle verschmutzt. Wenn wir überall auf der Welt Recycling-Dörfer bauen würden, ließe sich ein großer Teil des Plastiks immer wiederverwenden.“ Bis es so weit ist, sind allerdings noch einige Probleme zu lösen. Zum Beispiel die Statik: Mit Plastikziegeln kann man keine tragenden Wände für mehrstöckige Häuser bauen, geschweige denn Hochhäuser, wie sie in Addis Abeba überall entstehen. „Aber wenigstens die Zwischenwände könnte man mit dem klimafreundlichen Baustoff errichten“, schlägt Kidus vor.
Anderswo wird seine Utopie schon zu einem kleinen Stück Realität: Im Süden des Landes baut eine Firma 2000 Wohneinheiten für Fabrikarbeiterinnen aus dem verarbeiteten Plastik. Und UN Habitat überlegt, mit Steinen von Kubik im Nordosten Äthiopiens Häuser für Klimaflüchtlinge zu bauen, die ansonsten in Zelten oder sich stark aufheizenden Wellblechhütten leben müssten. Und noch nicht einmal den Gedanken an Hochhäuser aus recyceltem Plastik hat Kidus schon aufgegeben, sogar sein Sohn habe ihn kürzlich danach gefragt: „Papa, warum baut ihr keine Wolkenkratzer?“ Kidus ist da ganz gelassen: „Wir sind noch ein sehr junges Unternehmen und haben uns bis jetzt darauf konzentriert, Antworten auf andere Fragen zu finden“, sagt er. Wenn es wichtig werde, dass mit ihren Steinen auch in die Höhe gebaut werden könne, werde es dafür eine Lösung geben, zeigt er sich zuversichtlich. „Schließlich gibt es auch Wolkenkratzer aus Holz. Das hätte sich noch vor kurzem niemand vorstellen können.“
Dieser Beitrag wurde gefördert durch den Riff-Qualitätsfonds für freien Journalismus der RiffReporter eG.