Zukunftsgarten: In diesem Botanischen Garten können alle was gegen den Artenschwund tun
Immer mehr Menschen wollen wissen, wie man Feldsalat und Tomaten anbaut. Und ob Mandeln, Kaki und Tee mit dem Klimawandel auch hier heimisch werden. In den Botanischen Gärten in Bonn kann man Pflanzen nicht nur anschauen, sondern mit anpacken. Teil 1 einer Serie über „Zukunftsgärten“.
Wie ein aufgeschlagenes Lexikon liegen die Beete vor dem Betrachter – nicht digital, sondern analog und live: Auf fruchtbarem Boden, sorgfältig rechteckig aus einem grünen Rasen gestochen. Eine kleine Schautafel erklärt, wo welche Pflanzengruppen zu finden sind. Kleine Schildchen in jedem Mini-Beet sorgen für die korrekte Zuordnung von Pflanze und Name. Auf Deutsch und Latein.
Der enzyklopädische Garten
Der Nutzpflanzengarten der Botanischen Gärten in Bonn ist mit über 2.000 Sorten und Arten einer der größten seiner Art in Deutschland. Von etlichen Arten und Sorten werden Pflanzen verschiedener Herkunft kultiviert. Insgesamt kommt der Nutzpflanzengarten so auf rund 5.000 Herkünfte, sogenannte Akzessionen. „Unser Sortiment an Pflanzen ist deutlich größer als das, was man so auf den Beeten sehen kann“, erzählt Felix Dominik. Der studierte Gärtner ist als Revierleiter für den Nutzpflanzengarten zuständig.
Das Enzyklopädische stammt aus der Zeit der Aufklärung: Zeigen, was es gibt. Die vielen rechteckigen Beetflächen erinnern an strenge Barock-Geometrie, doch ohne die verspielten Gestaltungselemente eines barocken Zierpflanzengartens. Jedes kleine Beet-Rechteck wirkt wie der Eintrag in ein lebendiges, aber streng übersichtliches Pflanzenlexikon.
Eine Schautafel ist das Inhaltsverzeichnis: Gemüse, Obst und Kräuter – über das Jahr hinweg können Besucher nachschauen, wie die Pflanzen aussehen: Im Frühjahr ganz frisch aus dem Boden geschlüpft, im Sommer in voller Pracht, im Herbst im reifen Zustand – mit Samen. Und im Winter: Zurückgezogen in die Erde.
Die Strenge der Beet-Anlagen wird hier und da bereits aufgelockert – etwa mit scheinbar frei wachsendem Bärlauch unter Wildobstbäumen. In einer Ecke des Gartens finden sich eingehegt sogar einige invasive Pflanzenarten, die sogenannten Neophyten: Vielblütige Lupinen aus Nordamerika, Topinambur aus Mittelamerika oder Schmetterlingsflieder aus China.
Wie säe ich aus?
Eine geplante Streuobstwiese im Melbgarten könnte ein neues Kapitel in der Gestaltung des Bonner Nutzpflanzengartens aufschlagen: Der Darstellung von traditionellen Anbaumethoden. Informierten sich früher viele Leute darüber, was alles in der Region im Freien wächst, um sich vielleicht selbst an den Anbau zu machen, wollen heute viele wissen, wie der Anbau überhaupt funktioniert.
„Es kommen jetzt auch Besucher in den Garten, die den Anbau nicht von ihren Eltern gelernt haben und wirklich alles erklärt bekommen wollen“, erzählt Dominik. Das Wissen darüber drohe verloren zu gehen, da viele Familien keinen eigenen Gemüsegarten mehr unterhalten. Viele wüssten auch nicht, wie sie in den Anbau einsteigen können. In Zukunft wollen die Botanischen Gärten daher im Rahmen ihrer regulären Veranstaltungen auch praktische Kurse anbieten: Was säe ich aus? Wie säe ich richtig aus? Wie reinige ich Saatgut?
„Je mehr man sich damit beschäftigt, was das eigentlich für ein Aufwand ist, Nahrung zu produzieren, umso eher schätzt man auch das, was es im Supermarkt gibt, “ meint Felix Dominik. Wenn man zu Hause den wimmelnden Kompost sehe, könne man vielleicht auch eher Zusammenhänge in der landwirtschaftlichen Produktion verstehen: „Düngt man jahrelang mit Mineraldünger, hungert man das Bodenleben Jahr für Jahr aus. Irgendwann sind die ganzen positiven Eigenschaften des lebendigen Bodens weg und dann muss man Pestizide in großen Mengen einsetzen. Gleichzeitig fallen damit ganze Nahrungsketten weg.“ Diese toten Felder könne man zwar noch mit großem Einsatz von Energie und Gift managen – aber für wie lange noch?
Permakultur: Abschied von der Überschaubarkeit
Bisher geht es im Botanischen Garten darum, bestimmte Pflanzensorten zu zeigen. Weil sich die Interessen der Besucherinnen und Besucher ändern, sind derzeit verschiedene Demonstrationsgärten für verschiedene Anbaumethoden im Gespräch. „Wenn Sie mich nach dem Traumgarten der Zukunft fragen, dann gehören Tiere sicherlich dazu“, sagt Dominik. „Je mehr wir akzeptieren, dass wir in einem lebendigen Umfeld leben und damit arbeiten, umso besser ist das für alle.“
Hühner könnten gegen die Kirschessigfliege und zum Unkrautjäten eingesetzt werden, und gemeinsam mit Laufenten gegen Schnecken. Schafe oder Ziegen könnten auf den Streuobstwiesen grasen, wofür allerdings große Flächen und eine intensive Betreuung nötig seien. Doch das ist im Botanischen Garten noch reine Zukunftsmusik.
Ein Permakultur-Garten zum Beispiel sei oft „ziemlich durchmischt“, was die Pflege, aber auch die Vermittlung aufwändiger mache, sagt Felix Dominik: „Wenn wir vor einem Permakultur-Beet stehen, ist es schwierig es für Unwissende zu beschildern, denn die Pflanzen stehen vielleicht gar nicht da, wo das Schildchen steht.“ Dabei ermöglicht gerade diese Unübersichtlichkeit, die scheinbare Unordnung, ein ökologisches Gleichgewicht.
Die Drei Schwestern
Einen kleinen Anfang gibt es in diesem Jahr mit einem Mais-Beet, das neben 16 verschiedenen Sorten und Anwendungsfällen auch die Drei Schwestern zeigt: Bei dieser klassischen indigenen Anbaumethode werden Kürbis, Mais und Bohne zusammen eingesät und gedeihen dicht aneinander. Der Mais durchbricht als erster den Boden, die Bohne folgt, wenn der Mais bereits einige Zentimeter hoch ist. Der Kürbis lässt sich länger Zeit. Alles ist eine Frage des richtigen Timings.
Der Mais wächst gerade nach oben, die Bohne treibt zunächst Blätter aus. Wenn der Mais bereits kniehoch ist, beginnen die Bohnenranken nach Halt zu suchen – und finden ihn am Mais. Der Kürbis hingegen bewegt sich weg von Bohne und Mais, bedeckt den Boden mit breiten Blättern. Damit macht er es nicht nur Beikraut schwer, sondern er hält auch den Boden feucht. Die Bohne baut einen Stickstoffdünger im Boden auf, den Mais und Kürbis dankbar aufnehmen.
Anfang Mai fräste Felix Dominik für die Drei Schwestern das Beet und arbeitete Pferdemist ein – denn der Kürbis liebt Mist. Anfang Juni lässt der Mais bereits die ersten grünen Spitzen sehen.
Künftig könnten Demonstrationsbeete mit Mischkulturen im Gewächshaus und Freiland verschiedene Anbaumethoden zeigen – ähnlich wie auf den Versuchsfeldern der Universität Kassel/Witzenhausen. „Wir müssen schauen, wie wir das in unsere Arbeitsabläufe und auf unseren Flächen einbauen können“, sagt Dominik.
Was ist was?
Cornelia Löhne liebt es durch den Botanischen Garten zu gehen und Pflanzen zu fotografieren. Die Botanikerin und Kustodin ist zuständig für die Datenbank „mit Zigtausenden Einträgen“. Am liebsten würde sie alles fotografieren und dokumentieren. Doch das sei „natürlich hoffnungslos“ – von einer Dokumentation der verschiedenen Wachstumsphasen ganz zu schweigen.
Aus reinem Zeitmangel sei sie „so ein bisschen erratisch unterwegs“: „Was mir ins Auge fällt, das fotografiere ich.“ Am meisten Freude macht es ihr, Pflanzen zu bestimmen, die noch ohne Namensschild im Garten wachsen: „Da war so ein kleines Bäumchen mit einem Namen, der einfach nicht stimmen konnte. Und tatsächlich hieß es dann auch anders.“ Löhne fotografierte die Pflanze und führte mit der Smartphone-App iNaturalist einen Bildabgleich durch. Als Botanikerin konnte sie rasch erkennen, ob die von der App gefundene virtuelle Pflanze mit der realen Pflanze zusammenpasste.
Der Nutzpflanzengarten besteht aus vier Bereichen. Drei Bereiche liegen am Katzenburgweg im Stadtteil Poppelsdorf, wobei nur zwei öffentlich zugänglich sind, ein vierter am Venusberg.
Ein Bereich des Nutzpflanzengartens gehört zu den ältesten Nutzpflanzenschau- und Erhaltergärten Deutschlands. Er entstand 1818 auf dem gut gedüngten Gelände einer ehemaligen Fasanerie des barocken Kurfürsten Clemens August und war schon einmal wesentlich größer. Vor wenigen Jahren wurde er durch eine neu angelegte Straße durchschnitten, wodurch er in zwei Bereiche geteilt wurde. Ursprünglich wollte die Universität Bonn ihn sogar bebauen, doch Bürgerproteste konnten das verhindern.
Der 1,8 Hektar große Melbgarten, der vierte und nicht-öffentliche Bereich des Nutzpflanzengartens, liegt am Hang des Venusbergs. Dort wachsen bisher chinesische und georgische Wildpflanzen sowie weitere sogenannte Erhaltungskulturen. Erhaltungskulturen bewahren Pflanzen aus heimischer Wildherkunft langfristig. „Wir pflegen Erhaltungskulturen bei Arten und Sorten, die in der heimischen Natur oder in Gärten und auf Feldern selten geworden sind“, erklärt Cornelia Löhne. Dafür werden sie regelmäßig vermehrt und in größeren Stückzahlen gehalten.
Seit kurzem pflanzt Felix Dominik mit seinen Gärtnern im Melbgarten auch Wildobst und Obstgehölz. Im Herbst 2022 wollen sie auf einer weiteren, oberhalb des Gartens gelegenen 1,7 Hektar großen Fläche eine neue Streuobstwiese mit alten regionalen Sorten mit 62 Pflanzen anlegen. Wenn etwas mehr Personal, aber auch Besucher-Infrastruktur wie eine Toilette zur Verfügung stehen, soll dieser Bereich öfter der Öffentlichkeit zugänglich sein.
Bonner Beste und Rheinlands Ruhm lieben es warm und feucht
Eine Besonderheit des Nutzpflanzengartens sind 28 regionale Sorten, die vor allem aus dem Raum der Kölner Bucht stammen – einem historisch bedeutenden Gemüseanbau-Gebiet, in dem bis in die 1960er Jahre noch viel lokal produziert wurde. Über das Jahr herrscht dort ein mildes und relativ feuchtes Klima. Zwei lokale Tomatensorten etwa, die Bonner Beste und Rheinlands Ruhm, kommen mit Feuchtigkeit besser zurecht: Zwar werden sie im Gewächshaus vorgezogen, doch auf den Feldern kommen sie mit Regen ohne weiteren Schutz klar.
Die Bonner Beste erhielt der Botanische Garten nicht von regionalen Erhaltern, sondern aus der Samenbank der Deutschen Genbank für Kulturpflanzen in Gatersleben. Sie ist so etwas wie die Deutsche Nationalbibliothek für Pflanzen: die bundeszentrale Genbank sammelt über 150.000 Saatgutmuster von fast 3.000 verschiedenen Arten und ist damit eine der größten und vielfältigsten Genbanksammlungen der Welt.
Die Tomate wurde vor hundert Jahren von Max Löbner gezüchtet, der damals die Gärtnerische Lehr- und Versuchsanstalt im Bonner Stadtteil Friesdorf leitete. „Man merkt, dass die Haut der Tomaten fester ist als bei denen, die man so kaufen kann“, sagt Cornelia Löhne. Vielleicht mache das die Pflanze gegen Wetter ein bisschen stabiler. Die 1925 gezüchtete Rheinlands Ruhm reift etwa zehn Tage später als die Bonner Beste und ist, weil sie im reifen Zustand etwas fester ist, auch besser transportfähig.
Selbstversorger ernten nach und nach
Weil sich diese alten Sorten nicht so gut für die Lagerung eignen, schafften sie es nicht in die industrielle Produktion. Die legt aktuell Wert auf Sorten, bei denen alle Früchte an der Traube gleichzeitig reif werden. „Für den eigenen Garten ist eine alte Sorte aber genau richtig, denn dort möchte man ja nur nach und nach ernten“, meint Löhne. „Das ist gut für die Selbstversorgung, aber uninteressant für den kommerziellen Markt.“
Ähnlich sei das auch mit den regionalen Obstbaum-Sorten. „Die Poppelsdorfer Schwarze, eine regionale Kirsche, schmeckt ganz hervorragend – frisch vom Baum. Aber sobald man die Kirschen gepflückt hat, vergehen sie schon.“ Früher waren die Früchte Anfang Juli tiefrot reif, heute sind sie es schon Anfang Juni. In jedem Fall war die Poppelsdorfer Schwarze immer etwas schneller als die gefürchtete Kirschfruchtfliege, die sich mit später reifenden Kirschbäumen zufriedengeben muss. Dennoch gehört sie heute zu den seltenen Arten.
Da aus Gründen der Sortenreinheit die Bonner Freiland-Tomaten im Gewächshaus getrennt angebaut werden, sei es nicht auszuschließen, dass diese Tomaten in den letzten Jahrzehnten „subtil auf Gewächshaus-Tomate selektiert“ wurden, sagt Felix Dominik. Mit dem nassen Sommer 2021 kamen auch die feuchteresistenten Bonner Tomaten nicht mehr mit – „aber wir mussten auch alle anderen Tomaten aufgeben“, sagt Dominik. Möglicherweise hätte die Tomate vor 50 Jahren den Regen noch besser ausgehalten. Um der Selektion entgegenzuwirken, will Dominik künftig zweigleisig fahren und einen Teil der Bonner Tomaten im Gewächshaus, einen anderen wieder im Freiland vermehren.
Der geheimnisvolle Salat
Ob die Erhaltung des in der Bonner Region früher sehr beliebten Feldsalats Bonner Markt gelungen ist, ist unklar. „Der ist so ein Geheimnis“, sagt Cornelia Löhne. Der frostfeste Salat hatte etwas kleinere, dunklere Blätter als die üblichen Sorten, brachte etwas weniger Ertrag, doch er galt als geschmacklich klar überlegen. Manchmal wurde er auch in Bohnenfeldern ausgesät, wo er sich nach dem Abernten der Bohnen gut entwickelte.
Immer wieder bringen Leute aus ihren Privatgärten ein paar Samen vorbei – in der Überzeugung, den echten „Bonner Markt“ zu haben. „Bisher war er noch nicht dabei“, sagt Cornelia Löhne, „keine Sorte sah dann so aus, wie ihn die alten Rheinländer in Erinnerung haben“. „Wir haben mittlerweile über 15 verschiedene Sorten zusammengetragen“, erzählt Felix Dominik. „Alle behaupten: Das ist aber der originale Bonner Markt. Aber alle sind sie leicht unterschiedlich. Vermutlich sind alle der Bonner Markt. Doch sie haben sich aufgrund der Kultivierung an verschiedenen Stellen etwas auseinanderentwickelt.“ Vielleicht werde man, so Dominik, mal alle 15 Sorten nebeneinander anbauen und die Bonner zur Blind-Verkostung einladen, um die Sorte auszuwählen, die der geschmacklichen Erinnerung am nächsten kommt.
Regionale Sorten gesucht
„Wir wollen natürlich noch mehr Regionalsorten dazu bekommen“, sagt Löhne. Das ergebe sich oft im Gespräch auf der Saatgut-Börse und dem Frühlingsfest in der Bonner Innenstadt oder beim Herbstfest im Nutzpflanzen-Garten. „Da ist ja auch ein sehr aktives kleines Netzwerk von Privatleuten, die sich eben auch dafür interessieren“, sagt Löhne.
So kamen die Sorten über die Jahre als Spende in den Garten: „Die Leute sind einfach vorbeigekommen und haben gesagt: Hier, diesen Salat, den haben wir früher immer im Dorf angebaut auf den Feldern und den kultiviere ich noch in meinem Garten.“ Umgekehrt bringt der Botanische Garten seine Regionalsorten auf den Veranstaltungen „bewusst unters Volk, denn eine Erhaltung macht ja nur Sinn, wenn sie auch genutzt wird“, sagt Löhne.
Einige Sorten wie der „wollfrüchtige“ Feldsalat Kölner Palm gibt es auch über die Arche des Geschmacksder Organisation Slow Food zu beziehen. „Es gibt in der Gegend Biobauern, die den anbauen und in Kooperation mit Slow Food und entsprechenden Restaurants anbieten, die dann die Abnahme garantieren“, weiß Felix Dominik. Die früh sehr beliebte regionale Einlegegurke Vorgebirgstraube ist sogar noch im Handel als Saatgut zu kaufen.
Laut Datenbank-Eintrag stammen die Samen des Kölner Palms, die der Botanische Garten in Bonn anpflanzt, direkt von Friedmunt Sonnemann, der auch mit verschiedenen Samenpflegevereinen zusammenarbeitet. Sonnemann lebt seit Jahrzehnten im Hunsrück auf einem Hof ohne Strom- und Wasseranschluss und erhält dort Regionalsorten, ungewöhnliche Kulturpflanzen sowie essbare Wildpflanzen in Handarbeit.
Das Rheinland passt sich an: Korkeiche, Mandelbaum und Tee
Keine der alten regionalen Nutzpflanzen kommt besonders gut mit besonders trockenen Jahren wie 2019 und 2020 oder besonders nassen Jahren wie 2021 zurecht, hat Felix Dominik beobachtet. Auffällig resilient jedoch zeigt sich hingegen die Sojabohne „Schwarze Poppelsdorfer“: „Das läuft deutlich besser als etwa bei Erbsen.“ Die Sorte dieser Sojabohne Glycine max var. nigricans-lutescens wurde Anfang des 20. Jahrhunderts am Institut für landwirtschaftliche Botanik der Uni Bonn gezüchtet.
Bei anderen alten regionalen Sorten hat der Nutzpflanzen-Experte den Eindruck, dass sie an das Klima zur Zeit ihrer Züchtung besser angepasst waren als an das jetzige. Schwierig sei, dass die Pflanzen jetzt in einem sehr viel wärmeren Frühjahr austreiben, aber dann einen kräftigen Spätfrost überstehen müssen. Felix Dominik. „Wir halten immer Noppenfolie bereit, lassen Laubhaufen an den Pflanzen länger dran und beobachten ständig.“ Auch die Bodenfeuchte müsse gut beobachtet werden, um dann rechtzeitig zu wässern.
Auch Mittelmeer-Gehölze funktionieren im Garten zunehmend gut. „Der Erdbeerbaum Arbutus undedo von den kanarischen Inseln beginnt seit zwei Jahren sich hier auszusäen“, beobachtet Felix Dominik. Auch die Korkeiche habe 2021 zum ersten Mal viele Früchte erzeugt, die nun im Boden keimen. „Das hätten wir nicht für möglich gehalten“, meint der erfahrene Gärtner.
Der Botanische Garten hat drei Mandelbäume verschiedener Herkunft, die unterschiedlich früh blühen. Der Baum, der am spätesten blüht, macht am meisten Früchte. Im Zuge des Klimawandels hätten aber alte Sorten wie die Pfälzer Krachmandel eine Zukunft im Hausgarten – die Mandel müsste dann nicht mehr aus Kalifornien importiert werden, wo sie mit künstlicher Bewässerung kultiviert wird. Aktuell testet er gerade neun verschiedene Kaki-Sorten, die „gerade so“ winterhart sind.
In Vorbereitung ist auch eine Teeplantage: 2021 bekam der Botanische Garten Tee-Stecklinge aus der Ukraine, die aus einer verlassenen sowjetischen Tee-Plantage stammen. Die Pflanzen wurden damals in Forschungsprojekten mit Blick auf Winterhärte selektiert. Damit können sie jetzt im Rheinland überwintern.
Noch werden die Stecklinge im Gewächshaus feucht und warm gehalten, doch sie sollen allmählich im Freiland das Bonner Klima gewöhnt werden. „Was aus den Mutterpflanzen in der Ukraine geworden ist, wissen wir nicht“, sagt Dominik. „Vielleicht gibt es sie inzwischen gar nicht mehr.“
Sammeln, vernetzen, tauschen
Geerntet wird im Nutzpflanzengarten möglichst alles. Das Saatgut wird über den Winter in Handarbeit gesäubert und in das System eingeräumt. Dort werden rund 5.000 verschiedene Akzessionen gelagert. Eine Akzession beschreibt die Herkunft der Pflanze. Sie hat eine international gültige Kennung, sodass man die Pflanzen nachverfolgen kann.
Von Mais gibt es beispielsweise in der Datenbank der Botanischen Gärten in Bonn 23 Akzessionen. Da diese sich untereinander kreuzen können, kann immer nur eine Sorte pro Jahr angebaut werden. „Wenn wir wie in diesem Jahr anlässlich des Gemüses des Jahres 16 Mais-Sorten zeigen, können wir kein Saatgut ernten, “ erklärt Felix Dominik. Gibt es in einem Jahr sehr große Mengen von frischem Saatgut, kommen diese in den Saatgut-Katalog, der über ein weltweites Netzwerk der Botanischen Gärten abrufbar ist.
Die Botanischen Gärten haben ein Abkommen geschlossen, wonach sie sich kostenlos Saatgut zusenden. Es darf aber nur in Botanischen Gärten beziehungsweise in einem entsprechenden Bildungs- und Forschungsumfeld dokumentiert verwendet werden. So soll es vor kommerziellen Interessen geschützt werden.
„Es darf damit auch nicht an Privatleute abgegeben werden, weil wir nicht sichergehen können, ob sie irgendwann damit kommerzielle Interessen verfolgen, “ stellt Dominik klar. Anhand der Kennnummern ließe sich das nachvollziehen und dann gegebenenfalls über Nutzungsbedingungen und Lizenzen verhandeln. Dieses internationale Netzwerk wurde in den 1990 ern federführend von der Universität Bonn entwickelt.
Ausgenommen davon ist die Sammlung von regionalen Gemüse- und Zierpflanzensorten. „Wir geben hier gerne unser Saatgut unserer samenfesten Sorten ab, weil wir ja damit auch die Leute ermutigen wollen, sich selbst damit zu beschäftigen“, sagt Dominik. Einmal im Jahr findet im Frühjahr die Saatgutbörse im Nutzpflanzengarten statt, auf der jeder Samen in haushaltsüblichen Mengen kaufen kann. Einen zweiten Termin gibt es auf dem Bonner Münsterplatz wenige Wochen später mit dem Frühlingsmarkt. „Sie könnten mit unseren Tomaten einen Grundstock für eine lebenslange Eigenversorgung mit Tomaten legen“, verspricht Dominik. „Denn von jeder Pflanze können sie das Saatgut ernten und das gleiche wieder nach der Aussaat erhalten.“ Für viele Gartenfreunde in der Bonner Region sind das fixe Termine, zu denen sie eigene Samen bringen und mit neuen Samen und Pflänzchen wieder nach Hause bringen.
Diese Garten-Reportage ist entstanden mit freundlicher Förderung von: