Trockenheit, Blühstress und der Borkenkäfer – Wie geht es der Fichte in diesem Jahr, Frau Netherer?
Die Dürre im letzten und vorletzten Jahr hat den Waldbäumen kräftig zugesetzt. Wie ist es aktuell um den Baum bestellt?
Die Dürre im letzten und vorletzten Jahr hat den Waldbäumen kräftig zugesetzt. Blätter fielen vorzeitig, Kronen lichteten sich und der Borkenkäfer profitierte von der Wärme, der Trockenheit und den geschwächten Fichten. Ein Gespräch mit der Forstentomologin Sigrid Netherer von der Universität für Bodenkultur in Wien über die Widerstandskraft der Fichte
Wie geht es der Fichte in diesem Jahr, Frau Netherer?
Nach den letzten beiden sehr heißen trockenen Jahren, geht es den Fichten Nord- und Mitteleuropas in diesem Jahr besser. Die Niederschläge kamen ab Mai regelmäßig, die Temperaturen sind in diesem Sommer moderat gewesen, Trockenstress haben die Fichten hier bei uns in Österreich gerade nicht.
Auch die Borkenkäfersituation hat sich beruhigt, es gibt einen deutlich geringeren Befall. Das hat zweierlei Gründe. Wegen der Niederschläge und der moderaten Temperaturen geht es auf der einen Seite den Fichten besser. Gleichzeitig konnte sich der Fichtenborkenkäfer nicht so stark und schnell vermehren. Bei kühleren Temperaturen gibt es nur ein bis zwei, in wärmeren Jahren dagegen bis zu drei Vermehrungszyklen. Bei Regenwetter schwärmen die Käfer außerdem nicht so stark aus und verbreiten sich weniger.
Die Fichte blüht eigentlich alle sechs bis sieben Jahre. In jüngerer Vergangenheit blühte sie in kürzeren Intervallen, alle drei bis vier Jahre, mancherorts sogar jährlich. Warum blühen die Fichten häufiger?
Gerade erst dieses Jahr, war ein starkes Blühjahr. Als ich im April durch die Wälder lief, war alles gelb. Das häufigere Blühen kann eine Stressreaktion des Baumes sein, zum Beispiel auf Nährstoffmangel oder extreme Trockenheit. Er versucht sich zu vermehren und produziert verstärkt Samen. Bei der sogenannten „Notblüte“ ist die Samenmenge jedoch geringer und der Samen von schlechterer Qualität. Das Blühen und die Samenbildung kosten den Baum viel Energie. Ja, eigentlich blüht er nur alle paar Jahre stark, um Ressourcen zu schonen. Schließlich steckt der Baum alles in den Samen, was er hat. Bei Stress spart der Baum wohl am Wachstum aber niemals an der Vermehrung.
„Den Fichten Nord- und Mitteleuropas geht es in diesem Jahr besser.“
Wie reagiert die Fichte auf akuten Wassermangel?
Ein Mangel an Wasser wirkt sich auf den Saftfluss aus, den Transport des Wassers aus dem Boden bis in die Nadeln. Tagsüber sind die Spaltöffnungen in den Nadeln geöffnet, der Baum gibt Wasser ab, er transpiriert, eine Saugspannung entsteht, die das Wasser aus dem Boden hoch hinauf transportiert. Bei Trockenheit schließt die Fichte ihre Spaltöffnungen und versucht so, das Wasser im Baum zu halten. Kritisch wird es, wenn der Boden so trocken ist, dass der Baum seine Wasserspeicher in den Nachtstunden nicht mehr auffüllen kann.
Trockenheit oder Trockenstress bzw. Stress allgemein wirkt sich unterschiedlich auf Bäume aus. Ist der Stress nur kurzfristig oder moderat, wappnet sich der Baum gegen diese und zukünftige Stresssituationen. Moderater Stress verstärkt die Abwehr, zum Beispiel auch gegenüber Pilzen oder Borkenkäfern.
Und wenn die Trockenheit länger anhält, was passiert dann?
Wenn der Stress zu lange anhält, gehen dem Baum die Ressourcen aus. Bei starkem Trockenstress kann ein Nadelbaum zum Beispiel nicht mehr in die Produktion von Harz investieren. Harz ist in Harzkanälen, die im Bast und Holz verlaufen, gespeichert. Der Baum produziert bei Bedarf, zum Beispiel im Fall einer Verletzung, aber auch Harz nach.
„Sind die durch die Trockenheit verursachten Schäden zu groß, stirbt der Baum.“
Bei geschlossenen Spaltöffnungen ist die Energiegewinnung durch Photosynthese nicht möglich. Die Kohlenstoffreserven des Baumes gehen zur Neige, weil der Baum trotzdem weiter Kohlenstoff in lebensnotwendige Prozesse investiert. Abwehrstoffe wie Harz, Terpene oder Phenole sind Teil des sogenannten „Sekundärmetabolismus“ und werden bei sehr starkem Stress weniger produziert.
Wenn der Wasservorrat im Boden erschöpft ist, kann die Wassersäule im Baum abreißen. Dadurch entstehen Luftblasen und Embolien, die schließlich die Leitungsgefäße schädigen. Der Baum kann das in einem gewissen Umfang reparieren. Sind die Schäden zu groß, sind sie nicht mehr rückgängig zu machen und der Baum stirbt durch hydraulisches Versagen.
Kann man Trockenstress messen?
Es gibt verschiedene Methoden, den Baumwasserstatus zu bestimmen. Als Messwert nutzen wir zum Beispiel das so genannte Dämmerungs-Zweigwasserpotenzial. Dazu schneidet man vor Sonnenaufgang hoch im Baum einen Zweig heraus. Am abgeschnittenen Zweigende wird Druck angelegt. Als Messwert dient der Druck, der aufgewendet werden muss, um einen ersten Flüssigkeitstropfen aus der Schnittfläche herauszubekommen. Diese Werte geben gewisse Anhaltspunkte, ob der Baum gut mit Wasser versorgt ist, da sie das Bodenwasserpotential widerspiegeln; ob der Baum nur etwas gestresst oder sehr gestresst ist.
Problematisch wird es, wenn die Fichte mehr Wasser über die Verdunstung abgibt, als sie über den Boden wieder aufnehmen kann.
Was außer Wassermangel kann der Fichte noch Stress bereiten?
Ein ungünstiger Standort bedeutet Stress. Die Fichte kommt natürlicherweise in höheren Regionen ab etwa 800 Meter vor. Sie wird stark bewirtschaftet und es gibt große Bestände in den Tieflagen außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets. Hier wird es natürlicherweise wärmer als in Mittelgebirgs- oder alpinen Lagen, was für diese Baumart nicht optimal ist. Fichten sind außerdem gestresst, wenn sie zu dicht wachsen, wenn sie durch Wildverbiss oder forstliche Arbeiten geschädigt werden. Wenn sich Borkenkäfer oder nadelfressende Insekten über sie her machen, aber auch wenn eine Lawine eine Schneise durch den Wald zieht und Wurzeln zerstört werden.
„Fichten sind langlebig und dafür ausgerüstet, sich auf wechselnde Bedingungen einzustellen.“
Wie robust sind Fichten?
Fichten sind langlebig. In den bewirtschafteten Beständen werden sie im Alter von 80 bis 100 Jahren umgeschnitten, sie können aber mindestens doppelt so alt, 200 bis 300 Jahre, alt werden. In so einem langen Leben passiert viel. Der Baum ist dafür ausgerüstet, sich auf wechselnde Bedingungen einzustellen. Durch äußere Einflüsse ist er mal mehr, mal weniger vital, das wechselt. Sicher ist, dass der Baum es sich merkt, wenn er unter schlechten Bedingungen gestanden hat. Das wird im System abgespeichert und wappnet ihn für die nächste Stresssituation.
Was genau untersuchen Sie in Ihrem Projekt?
Wir versuchen herauszubekommen, welche äußeren Stressfaktoren die Physiologie und Abwehrstärke des Baumes verändern und welche Folgen das für den Befall mit Borkenkäfern hat. Wir untersuchen beispielsweise wie sich der Harzfluss oder die Inhaltsstoffe der Rinde bei Trockenheit verändern. Dafür haben wir in einem Fichtenbestand im Rosaliengebirge, im Osten von Österreich nahe der ungarischen Grenze, bodennahe Dächer errichtet, so dass die Regenniederschläge in diesem Bereich nicht in den Boden sickern können.
Wir untersuchen das Wechselspiel zwischen Fichtenborkenkäfern und gestressten Versuchs- bzw. ungestressten Kontrollbäumen. Dafür haben wir kleine Holzboxen gebaut, über die je 20 Käfer in etwa 5 bis 6 Meter Stammhöhe auf den Baum losgelassen werden. Nach etwa 24 Stunden entfernen wir die Boxen und kontrollieren wo sich die Käfer aufhalten, zum Beispiel auch, wie viele Bohrlöcher am Stamm zu sehen sind. Wenn Einbohrversuche der Käfern durch Harzfluss verhindert wurden, sind das Fehlversuche. Wir werten das als „durch den Baum abgewehrt“.
Gibt es schon Ergebnisse?
Bäume mit Trockenstress können wesentlich weniger Einbohrversuche der Borkenkäfer abwehren, als die Kontrollbäume. In einer Studie im selben Untersuchungsgebiet waren es bei den Kontrollbäumen rund 70% abwehrte Borkenkäferattacken, bei den Bäumen, die unter Trockenstress standen, dagegen weniger als 10%. Die gestressten Bäume produzieren nicht nur weniger Harz, auch die Zusammensetzung und Konzentration von Rindeninhaltsstoffen wie Terpene und Phenole kann sich ändern. Diese Veränderungen untersuchen wir und auch die Frage, inwieweit sie die Fichten attraktiver und/oder anfälliger für den Borkenkäfer und andere Organismen, wie krankmachende Pilze, machen.
„Bäume mit Trockenstress können wesentlich weniger Einbohrversuche der Borkenkäfer abwehren, als die Kontrollbäume.“
Was wünschen Sie sich für die Fichte hierzulande? Wie könnte sich die Situation verbessern?
Die Fichte ist eine wichtige Baumart in den Alpen, für die es nur wenige Alternativen gibt. Gerade im alpinen Bereich garantiert ein gesunder, geschlossener Waldbestand Schutz vor Naturgefahren wie Lawinen, Steinschlag oder Hangrutschung und sollte deshalb durch schonende Bewirtschaftung erhalten und gefördert werden. Fichtenwirtschaft in den Tieflagen wird bald der Vergangenheit angehören. In vielen Gebieten haben Windwurfereignisse und Borkenkäferbefall bereits zum völligen Ausfall dieser Baumart geführt. Die Zukunft liegt hier in Laubmischwaldbeständen. Die Möglichkeiten der Waldbewirtschafter liegen in der Auswahl und Förderung von standortsangepassten Baumarten, das heißt der Orientierung an der potenziellen, natürlichen Baumvegetation eines Waldstandorts.