Eine Mischung aus Schock und Faszination
Gesucht: Gespräch über Nachwende und Ex-DDR. Gefunden: Wut und Hasstiraden
Unter dem Motto "Wie geht's Deutschland?" fuhr ich mit dem Rennrad durch alle Bundesländer – und zwar dort, wo mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben: durch Siedlungen, Dörfer und Kleinstädte. Bei etwa der Hälfte der 2.451 Kilometer Gesamtstrecke kam ich ins schwäbische Eningen.
An der Schwäbischen Alb, Recherche-Kilometer 1281
Unter der Kleinstadt quillt die Metropole namens Reutlingen von Jahr zu Jahr weiter aus dem zersiedelten Talgrund herauf. Ich aber stehe an diesem Juni-Sonntag mit Kamera und Aufnahmegerät in Eningen, 11.000 Einwohner. Einmodelliert in steile Hänge am Albtrauf brandet in Eningen kein Großstadttrubel. Zudem macht der Sommer Pause, abgesackte Wolken beflügeln Hirngespinste: Schroff und drohend könnten hinter Eningen die Bergspitzen über dem grauen Dunstbrei lauern. Aber von der Ankunft gestern Abend weiß ich: Die Hausberge sind gutmütig und rund.
Ausgestorben Eningens Zentrum. Nur an der Bäckerei Mayer herrscht reges Kommen und Gehen. "Noi, dazu kann ich nichts sagen, mer wollet jetzt frühstücken." Freundlich aber kurz angebunden antworten so oder ähnlich alle eiligen Einkäufer, die ich im Versuch des Aufbrechens ihrer Feiertagsroutine frank anspreche: "Entschuldigung, morgen ist 17. Juni und ich möchte mit Ihnen kurz über DDR, Nachwende und heutiges Deutschland reden!"
Fast ausschließlich jüngere Männer kaufen ein: in der Linken die Brötchentüte – oft BILD- oder Lokalzeitung unter dem Arm – und in der Rechten den Autoschlüssel. Ich lasse die Bäckerei hinter mir und quere die Bahnhofstraße, deren Name vor 45 Jahren sinnlos wurde. Streckenstilllegung.
Jenseits der Bahnhofstraße gelange ich in die Grünanlage, gestiftet vor 56 Jahren – so die große Erklärtafel – vom Bankdirektor Krüger. Ein angefressenes Asfaltband leitet mich zu Stelen aus rohem Beton, oben jeweils mit Guckloch. „Sichtweisen“ heißt die Installation.
Just als ich mich anschicke, mit meiner alten Analogkamera die vandalistische Schmiererei "Arschloch" an einem Durchguck zu fokussieren, vernehme ich eine tiefe, rauchige, schwäbisch melodiöse Männerstimme. "Sen Sie auch so ein Fotograf?" Ich lasse die Kamera sinken und wende mich dem Spaziergänger zu, Rentner vermutlich. Trotz Nieselregens trägt er eine getönte Pilotenbrille aus Zeiten als in Eningen noch die Bahn hielt, wahrscheinlich mit graduierten Gläsern. Ich stelle mich als Reporter vor, schildere meine Rennradfahrt durch Deutschland. Das führt später dazu, dass der Mann weder fotografiert werden noch seinen Namen nennen will. Aber seine einsetzende Tirade katalysiert dies wohl eher.
Ich bin derart baff und, ja, ein Stück weit fasziniert, wie fokussiert der Mann mich an der "Arschloch"-Stele mit seiner Sicht auf Deutschland überschüttet, dass ich nach wenigen Minuten vom Versuch absehe, seinen Wortschwall mit meinen Fragen aufzubrechen.
Hier die wortgetreue Wiedergabe, fast überall des Schwäbischen bereinigt:
Die Leute sind bloß noch fixiert: Hauptsache ich habe frei. Hauptsächlich die Jungen, da ist wichtig: Ich brauch nicht arbeiten, na ist alles andere egal! Ich habe gerade wieder eine Pfandflasche aufgehoben, na, da zahle ich am Montag 25 Cent weniger – des interessiert heute niemanden mehr! Die sollen auf die Kaffeebecher ruhig auch noch 20 Cent draufladen, na räumen die Leute auf. Ohne Strafe geht nichts!
Wissen Sie und das Wegschmeißen: Und komischerweise sind das komischerweise immer Ausländer – das darfst Du gar nicht laut sagen, da bist ja ein Nazi!
Da bin ich vor 14 Tagen meine Runde gelaufen, da liegt da so ein kleiner Roller im Gebüsch. Na nehm ich den raus, schau ihn an: da fehlt eine Schraube, des, jenes, da hab ich den mit heim genommen. Na kommt eine Türkin: „Ah, das ist unserer!“ – „Scheiße ist Eurer!“, sag ich, „da unten ist er gelegen, im Kantl! Jetzt hab ich den repariert, jetzt ist er Meeiiins! Dass das klar ist!“ Stillschweigend ist die dann weggelaufen. Aber so ist es hier! Und woanders in Deutschland ist es genau gleich. Der Deutsche ist ein Schlamper geworden. Und das hat er gelernt von den Ausländern. Ich will Ihnen Folgendes sagen: In den 50er Jahren, da brauchtest keine Haustür abschließen, gar nichts. Da kam auch nichts weg. Und jetzt, wenn Du nicht alles fest verschließt, na ist es weg! So weit sind wir nämlich! Und so verkommen ist der Deutsche jetzt mit. Wer kann wen besser bescheißen – der ist der Richtige! Der Ehrliche geht unter.
Mit der Türkin da, da bin ich immer im Clinch. Das ist ein Schlampe hoch Zehn! So ein widerliches Frauenstück habe ich noch nie gesehen, nicht vorher, nicht nachher – wahrscheinlich auch nachher nicht. Na lädt sie da Müll ab, da wo die Altkleider gesammelt werden, da schmeißt sie ihren ganzen Müll hin. Ich seh, wie sie den aus dem Haus rausnimmt, na spricht mich noch eine Frau an, die sagt: „Da unten hat sie es hingeworfen.“ Na habe ich das Rathaus angerufen, na heißt’s: „Spionieren Sie der hinterher?“ Na sag ich: Da brauche ich nicht hinterher zu spionieren, na sind gerad genug Leute, die das auch gesehen haben. – Aber die machen gar nichts! Und da sieht es immer aus wie eine Müllhalde! Jeden Tag. Nach dem Wochenende, am Montag: eine Katastrophe. Woher? Weil die nichts machen! [wispernd] Und weil die Gemeinde, und auch die Polizei, Angst haben vor den Türken.
Die sind ja die Größten! [leise] Es gibt auch Freundliche, muss man auch sagen. Aber der überwiegende Teil – da: dort haben sie die Begonie geklaut! Und wer ist es gewesen? Frau mit Kopftuch! Hat Eine beobachtet, die Kopftuchfrau hat ihre Lidl-Tasche voll gemacht. Das ist das Verkommene der Ausländer! Die meinen, sie dürfen Alles.