Ein Beitrag von „Die Flugbegleiter – das Online-Magazin für Natur und Vogelwelt“
Dass Kohlmeisen über ein reiches Rufrepertoire verfügen, in dem manche Töne anderen Vogelarten zum Verwechseln ähneln, war bekannt. So klingt der „pink“-Ruf der Meisen tatsächlich wie ein Buchfink, wird aber oft mit einem kurzen „zi“ davor oder einem „pink dididi“ zu einem echten Meisensound. Dass Kohlmeisen ihre Rufe sogar wie eine Sprache benutzen, mit einer richtigen Syntax, nach der beliebig viele verschiedene Rufe erzeugt werden können, weiß man erst seit ein paar Jahren. Und auch wenn der Verhaltensforscher Chris Templeton und seine Kolleginnen vielleicht etwas übertreiben, wenn sie die Meisensprache zu einer der raffiniertesten unter den Lantdtieren überhaupt erklären, ergeben sich aus den Forschungen doch genügend neue Einsichten.
Nimmt man noch die Arbeiten der Ökologin Lucy Aplin dazu, die in einem Wald bei Oxford die Beziehungsdynamiken in einer Population von etwa tausend Kohlmeisen untersuchte, dann wird daraus ein ganz neuer Meisenkontinent. Aplin fand nicht nur die unterschiedlichsten Persönlichkeiten unter den Meisen, sie fand auch Beziehungsnetzwerke, die optimaler kaum das Wissen um z.B. Nahrungsquellen in der Population verbreiten können. Und dabei basierten die lockeren Gruppen, in denen die Meisen auf Nahrungssuche gehen, nie auf genetischen Verwandtschaften, sondern immer auf den Persönlichkeiten der Vögel. Es waren Wahlverwandtschaften nach Temperament und Neigung. Die Zögerlichen blieben gern unter sich, wie die Mutigen und die Höflichen auch.
Was diese neuen Erkenntnisse aber wirklich für einen Beobachter von Meisen bedeuten können, davon gibt Andreas Tjernshaugen in seinem Buch „Das verborgene Leben der Meisen“ einen buchstäblich lebhaften Eindruck. Die Kohlmeisen, die jeder und jede kennt, sind einfach nicht mehr dieselben, wenn man mit Tjernshaugen, der bereits als Kind begann, Meisen in Norwegen zu beobachten, ihrem Lebenrhythmus durchs Jahr gefolgt ist. Dabei berichtet der Autor nicht nur über die Persönlichkeitsforschung, in der Meisen zu einer Modellart geworden sind. Er folgt auch Meisenforschern in die Wirtschaftswälder Norwegens, in denen sie Kohlmeisen die Eier von Blaumeisen (und umgekehrt) unterschieben, um unter anderem zu sehen, wie wandlungsfähig die Meisen sind. Zu den schönsten Episoden des Buchs gehört Tjernshaugens Bericht von seinem Versuch die Meisen zu zähmen. Obwohl er im Umgang mit Vögeln wirklich geübt ist, gelingt es ihm nicht. Die Meisen haben besseres zu tun, als sich von einem Menschen domstizieren zu lassen.
Andreas Tjernshaugen: "Das verborgene Leben der Meisen." Aus dem Norwegischen von Paul Berf. Insel Verlag, 2017, 234 Seiten, 18 € (Taschenbuch 10 €)
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