Ein Tag wie jeder andere?
Manche Forscher glauben, dass unsere inneren Uhren nicht nur im Rhythmus der Tage ticken, sondern auch „wissen“, wann eine Woche vorbei ist.
Frisches Wasser, Schutz vor Sonnenhitze und wilden Tieren, ein Lagerplatz mit Blick auf das offene Meer – um auf der einsamen Insel zu überleben, benötigte Robinson Crusoe all dieses UND einen Kalender:
„Nach etwa zwölf Tagen fiel mir ein, dass, wenn ich keine Vorkehrungen träfe, ich aus Mangel an Büchern, Feder und Tinte in der Zeitrechnung irre werden müsse und bald sogar den Sonntag nicht mehr von den Wochentagen würde unterscheiden können. Um dies zu verhindern, erfand ich folgendes Auskunftsmittel: ich schnitt mit meinem Messer auf eine große Tafel, die ich kreuzförmig an einen Pfahl befestigte, den ich da, wo ich gelandet war, in die Erde getrieben hatte, die Worte ein: »Hier bin ich am 30. September 1659 gelandet.« An den Seiten dieses viereckigen Pfahls machte ich täglich mit dem Messer einen Einschnitt, an jedem siebenten Tage einen doppelt so langen als an den übrigen und wiederum am ersten Tage jedes Monats eine doppelt so große Einkerbung, als diejenigen für die Sonntage waren. Auf diese Weise führte ich meinen Kalender, meine Wochen-, Monats- und Jahresrechnung.“
Dem Leben eine innere Ordnung zu geben, ist für den Gestrandeten offenbar genauso wichtig wie frisches Wasser und der Schutz vor Sonnenglut. „Wenn Robinson sich seinen selbstgefertigten Instrumenten der Zeitmessung zuwendet, stellt er Verbindung her zur öffentlichen, gesellschaftlichen Zeit in dem tröstlichen Bewusstsein, doch noch nicht ganz aus der zivilisierten Welt gefallen zu sein“, schreibt Rüdiger Safranski in seinem Buch „Zeit – was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen“.
Tag – Tag – Tag – Tag – Tag
„Ist heute eigentlich Dienstag oder Mittwoch?“ Während langer Ferien in der freien Natur kann es schon einmal passieren, dass auch wir Zeit und Stunde vergessen. Doch im Alltag spielt sich unser Leben meist im festen Rhythmus einer Woche ab. „Sonntag ist Ruhetag, Montag ist Waschtag oder erster Arbeitstag, Mittwoch der Tag, an dem ich zu Hause arbeite bzw. Kindertag, Freitag ist Fischtag oder der letzte Arbeitstag der Woche, und Samstag ist Einkaufstag oder Fußballtag“, schreibt die niederländische Philosophin Marli Huijer in ihrem Buch „Außer Takt – auf der Suche nach dem Rhythmus des Lebens“.
Auch ohne dass wir jedem Tag eine besondere Bedeutung zumessen würden, entstünde durch den Wochenzyklus (Sonntag – Montag – Dienstag – Mittwoch – Donnerstag – Freitag – Samstag – Sonntag ..) eine andere Lebensqualität, als wenn sich lediglich ein Tag (Tag – Tag – Tag – Tag – Tag – Tag ..) an den anderen reihen würde. EIN Wochentag erhält in fast allen Kulturen als Feiertag eine herausgehobene Stellung. Schon seit ewigen Zeiten würden Menschen durch rhythmisierte Rituale und religiöse Handlungen den Feiertag vom Alltag, das Sakrale vom Profanen trennen, schreibt Huijer.
„Zyklen zu erfahren bedeutet (..), die Zeit nicht nur als lineares Geschehen aus Werden und Vergehen zu erleben, sondern auch als ständige Wiederkehr der Tages- und Jahreszeiten, der Sonnen- und Mondperioden, der Kreisläufe des vegetativen und sonstigen Lebens“, heißt es in Rüdiger Safranskis Buch über die Zeit.
Der jüdische Kalender beruft sich auf die Schöpfungsgeschichte, die Genesis. Danach schuf Gott die Welt in sechs Tagen, am siebten Tag ruhte er. Im göttlichen Gebot „Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun; aber des siebenten Tages sollst du feiern, auf dass dein Ochs und Esel ruhen und deiner Magd Sohn und der Fremdling sich erquicken“, liegt eine Wurzel unserer Sieben-Tage-Woche. Die Juden begehen den Samstag, den Sabbat, die Christen den Sonntag als Feiertag, im Islam endet die Woche mit dem Freitag als Tag des Gebets. „Bei allen drei Religionen wird der eintönige Sieben-Tage-Rhythmus von einem Tag unterbrochen, der der sakralen Zeit angehört“, schreibt Huijer. Auch andere Kulturen würden eine regelmäßige Einteilung der Tage kennen, wobei es, bis auf wenige Ausnahmen, immer eine Siebenerteilung gäbe.
„Ein Tag pro Woche soll sich vom Rest der Tage unterscheiden. Offensichtlich ist es ein menschliches Bedürfnis, alle sieben Tage etwas Außergewöhnliches zu unternehmen“, schreibt die Philosophin. Auch nicht-religiöse Menschen bräuchten diesen besonderen (Ruhe-)Tag um Abstand vom Alltag zu gewinnen, zur Erholung, als Tag, um den Akku wieder aufzuladen.
Doch woher kommt dieser Sieben-Tage-Rhythmus? Wir kennen Tag-/Nachtrhythmen, so genannte circadiane Rhythmen, eine Anpassung von Lebewesen an den 24-stündigen Wechsel von Licht und Dunkelheit bedingt durch die Rotation der Erde um die eigene Achse. Wir kennen monatliche Rhythmen auf dieser Erde, die sich knapp alle 30 Tage wiederholen, verknüpft mit der Drehung des Mondes um die Erde. Und wir kennen die Jahreszeiten bzw. jährliche Rhythmen bedingt durch die Drehung der Erde um die Sonne.
Dadurch, dass manche Körperfunktionen ebenfalls periodisch schwanken, kann ein Lebewesen in einer sich rhythmisch verändernden Welt besser überleben. Wie aber sieht es mit dem biologischen Wert eines Wochenzyklus aus? Sollte es eine solche innere Sieben-Tage-Uhr tatsächlich geben, welchen Vorteil hätte sie?
Die Chronobiologen Alain Reinberg, Laurence Dejardin und Yvan Touitou von der Fundation Adolphe de Rothschild in Paris und Michael Smolensky von der University of Texas in Austin versuchen den Beweis anzutreten, dass unser aus sieben Tagen bestehender Wochenzyklus nicht (nur) kulturell bedingt, sondern ähnlich wie Tages-, Monats- oder Jahresrhythmen tief in der Biologie von Lebewesen verankert ist. Kein leichtes Unterfangen, schließlich sind Wochen- bzw. „circaseptane" Rhythmen bisher weit weniger untersucht als Tages- oder Jahresrhythmen.
Trotz der dünnen Datenlage gibt es einige wissenschaftliche Hinweise, die Rheinberg und seine Kollegen in ihrem Fachartikel auflisten. Für eine (nicht allein kulturell bedingte) Wochenrhythmik sprechen Beobachtungen an Lebewesen, die seit Millionen Jahren die Erde bevölkern. Die einzellige Grünalge Acetabularia mediterranea zum Beispiel vermehrt sich, wenn sie unter natürlichen Licht-Dunkel-Bedingungen gehalten wird, ungefähr alle sieben Tage am stärksten.
Die Alge Gonyaulax polyedra kann bei massenhaftem Auftreten das Meer nachts blau leuchten lassen. Diese Leuchtkraft (Biolumineszenz) unterliegt einem stabilen circadianen (Tag-Nacht-) Rhythmus. Die im Inneren der Zellen gebildeten Lichtblitze entstehen meist nachts. Die Stärke des nächtlichen Leuchtens schwankt laut Forschungsarbeiten eines „Urvaters“ der Chronobiologie Franz Halberg jedoch in einem nahezu siebentägigen Rhythmus, offenbar ein Resultat der sich zyklisch, im Laufe einer Woche verändernden Kommunikation der Einzeller untereinander.
Von Bohnen, Mäusen und Menschen
Wenn die Samen der Gartenbohne (Phaseolus vulgaris) keimen, nehmen sie alle sieben Tage besonders viel Wasser auf. Der Höhepunkt der Wasseraufnahme liegt jeweils vor jeder neuen Mondphase, am stärksten vor dem Vollmond.
Die in der Körperflüssigkeit von Honigbienen enthaltene Menge an Zuckern (Glukose und Trehalose) zeigt ebenfalls einen Wochenrhythmus. Die Bienen sind je nach Mondphase unterschiedlich aktiv. Die Zucker in ihrer Hämolymphe sind der Brennstoff für die Muskelaktivität.
Auch bei Nagetieren, die in einem natürlichen Tag/Nacht-Rhythmus gehalten werden, beobachteten Forscher Wochenrhythmen. So variiert die Menge des den Tag-Nacht-Rhythmus steuernden Hormons Melatonin in der Zirbeldrüse nicht nur während eines Tages, sondern auch wiederkehrend während einer Woche. Ebenso verläuft die Natriumausscheidung über den Urin und auch die Immunaktivität bei Mäusen in wöchentlichen Aktivitätsschüben.
Der dänische Endokrinologe Christian Hamburger (1904 bis 1992) begann im Alter von 43 Jahren ein Selbstexperiment. 15 Jahre lang sammelte er täglich seinen Urin und bestimmte die darin enthaltene Menge des Hormon-Stoffwechselproduktes 17 Ketosteroid (17-KS) als Maß für seine körpereigene Androgen-Produktion. In diesen 15 Jahren führte er regelmäßig Tagebuch und arbeitete stets von Montag bis Freitag, am Samstag den halben Tag und Sonntag überhaupt nicht. Die Messungen zeigten einen deutlichen Sieben-Tage-Trend. Sonntags und in abgeschwächter Form auch am Donnerstag war besonders viel 17-KS im Urin enthalten. An diesen Tagen war Hamburger laut seiner Tagebuchaufzeichnungen sexuell aktiver. Am meisten Urin produzierte der Forscher dagegen regelmäßig am Mittwoch.
Natürlich drängt sich hier die Frage auf, ob die von Christian Hamburger an sich selbst beobachteten Zyklen nicht schlicht und einfach das Ergebnis unterschiedlicher Gewohnheiten (Essen, Trinken, Sex) an den Wochenenden und in der Arbeitswoche waren. Gleiches gilt für eine Untersuchung, die Erhard Haus und seine Kollegen von der University of Minnesota vor über 30 Jahren mit 20 männlichen Medizinlaboranten durchführten. Die Männer stellten sich mehrmals täglich für eine Blutuntersuchung zur Verfügung.
Der Spiegel des Hormons Cortisol erreichte bei ihnen durchweg am Anfang der Woche, montags oder dienstags, seinen Höhepunkt, während das Hämoglobin, die Glukose, Calcium, Cholesterin mehr oder weniger anhaltend von Dienstag bis Donnerstag die verhältnismäßig höchsten Konzentrationen im Blut erzielten. Bei allen gemessenen Werten zeigte sich aber, dass die täglichen Schwankungen ausgeprägter waren als die Schwankungen über die sieben Tage. Für die Aussagekraft einer Laboruntersuchung des Blutes war also die Tageszeit wichtiger als der Wochentag.
Blutdruck, Immunfunktion, Transplantation
Hinweise für einen biologisch verankerten Sieben-Tage-Rhythmus liefern, so Alain Reinberg und seine Kollegen, Studien an wenigen Einzelpersonen, die für eine Weile von äußeren Einflüssen abgeschirmt lebten, so dass sie bald nicht mehr wussten, ob Tag oder Nacht bzw. welcher Wochentag gerade war. Der Blutdruck schwankte bei diesen Testpersonen nicht nur im Laufe eines Tages, sondern auch regelmäßig während einer Woche. Gleiches galt für die Natriumausscheidung, die Körpertemperatur und die Immunfunktion.
Ein Schwanken der Immunfunktion im Laufe von sieben Tagen wird auch im Zusammenhang mit Operationen oder Transplantationen deutlich. So beobachteten Ärzte in einer Studie mit Patienten nach einer Kiefer-Operation ein langsames Abschwellen des entzündeten Gewebes nach dem Eingriff. Am Tag 7, 14 und 21 flammte die Entzündung jedoch immer wieder (leicht) auf. Eine Analyse von über 5700 Rezeptverschreibungen nach Zahn-Operationen durch den Marburger Physiologen Gunther Hildebrandt zeigte, dass die meisten Patienten nicht direkt nach der OP, sondern sieben Tage nach dem Eingriff Schmerzmittel einnehmen.
Auch die Abstoßung eines Nierentransplantates folgt offenbar einem Sieben-Tage-Muster. 7, 14 und 21 Tage nach der Transplantation ist das Risiko für eine Abstoßung besonders hoch. Eine Abstoßung des gespendeten Organs ist von Tag 6 bis Tag 8 nach der Transplantation der Niere um fast 50% wahrscheinlicher als an den Tagen 2 bis 5.
Welche Mechanismen dieses zeitliche Muster verursachen, weiß man nicht. Einige Chronobiologen vermuten, dass äußere Ereignisse (hier die Transplantation, Operation oder Infektion) innere, endogene, aber kaum messbare Rhythmen verstärken oder synchronisieren, wodurch diese sichtbar werden.
Alain Reinberg und seine Kollegen sind davon überzeugt, dass es eine innere Uhr im Körper gibt, die eine Periode von sieben Tagen erfasst. Ob und welche externen Zeitgeber diese Uhr beeinflussen, weiß man noch nicht. Sicherlich sind sie nicht so stark wie das Licht als Zeitgeber für den Tagesrhythmus. Möglicherweise handelt es sich um andere kosmische Zyklen, schwache geomagnetische Einflüsse der Sonne, des Mondes oder anderer Planeten.
Sechs Tage arbeiten, einen Tag ruhen
Nach der französischen und nach der russischen Revolution schaffte man vorübergehend die Sieben-Tage-Woche ab. Das tat den Menschen nicht gut, die Produktivität stieg nicht wie erhofft, sondern sie sank. Diese Erfahrungen aus der Geschichte zeigten, dass der Mensch für eine Sieben-Tage-Woche geschaffen sei, schreiben die Chronobiologen um Weinberg.
Die Verführung sei groß, mit dem Badewasser der Religion auch die Uhr, den Kalender und den periodischen Wechsel von profaner und sakraler Zeit auszuschütten, lesen wir in Marli Huijers Buch „Außer Takt“. „Der eingeschworene Atheist wird behaupten, solche Feiern der Ruhe und Gemeinsamkeiten seien ein einschnürendes Korsett. Sie nehmen dem Individuum die Freiheit, seine Zeit selbst einzuteilen“, so Huijer.
Doch bevor man dies tue, solle man sich anschauen, welche Funktion die rhythmisch wiederkehrende Feier von außergewöhnlichen Augenblicken für Mensch und Gesellschaft überhaupt habe. Sie stärkten den sozialen Zusammenhalt, sie erhöhten die Überlebenschancen. „Rhythmen beeinflussen das körperliche und geistige Wohlbefinden der Mitglieder einer Gesellschaft positiv“, schreibt Huijer. Etwas in unserem Körper rufe offenbar nach regelmäßigen Atempausen. Womöglich hat hier die innere Wochenuhr ihre Hände mit im Spiel.
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