Fotografieren in Afrika

Ein Kontinent sucht nach der eigenen Identität

20 Minuten
5 Kinder stehen kreisförmig um eine DSLR-Kamera herum und betrachten neugierig, was darauf zu sehen ist.

Wir wollen heute einen Blick auf das Fotografieren in Afrika werfen, einem nicht nur kulturell nach vorne strebenden Kontinent. Ich habe dort selber fotografiert. In Äthiopien war ich auf der Suche nach der Heiligen Bundeslade, was mir im Reisegepäck Bettwanzen eingebracht hat und heftige Magenprobleme. Vor kurzem durfte ich zudem an einer Reportage in Tanzania über PwA mitarbeiten, People with Albinism. Ich komme noch darauf zurück. Doch zuerst will ich auf ein Thema eingehen, das den Kontinent derzeit besonders intensiv in den Fokus der Medien rückt.

5 Kinder stehen kreisförmig um eine DSLR-Kamera herum und betrachten neugierig, was darauf zu sehen ist.
Afrikanische Kinder betrachten Fotos auf einer Kamera

Mali, eines der ärmsten Länder der Welt, erlebte gerade einen Putsch: Das „Nationale Komitees zur Errettung des Volkes“ verdrängte die Regierung des Präsidenten Keita. In hiesigen Medien wurde darüber berichtet. Zuletzt wurden wohl Bilder publiziert, die den Sohn des Präsidenten mit leicht bekleideten Damen in Spanien zeigten. Nach gewalttätigen Demonstrationen Zehntausender, die ihren Präsidenten offensichtlich nicht unterstützen, sind nun die Grenzen des Landes geschlossen, und es wurden Ausgangssperren verhängt.

Bei meiner letzten Reise nach Tanzania sprach man über Mali als Land, das zu bereisen gefährlich sei. Mali steht stellvertretend für die gesamte Region der Sahelzone. Dort wird ein von europäischen Ländern unterstützter militärischer Kampf gegen grausame Islamistengruppen geführt, gegen Rebellen und Tuareg-Separatisten, die seit 2011 einen unabhängigen Staat namens Azawad gegründet haben. Frankreich sah sich als ehemalige Kolonialmacht verpflichtet, mit Kampfjets einzugreifen, um die Rebellenoffensive zu stoppen, schreibt die Sueddeutsche Zeitung. Sogar die deutsche Bundeswehr hat 900 Soldaten in Mali stationiert.

Über diesen Konflikt weiß man hierzulande fast nichts. Die Bilder, die den Artikel in der Süddeutschen Zeitung illustrieren, kommen von der Bildagentur AFP und laufen auch auf anderen Nachrichtenseiten. Mali erscheint wie ein weißer Fleck auf der Weltkarte, in dem Soldaten Kalaschnikows in die Höhe halten. Wenn es in diesem Land Fotografen gibt, dann sind sie in unserem kollektiven Gedächtnis nicht präsent. Deren Existenz entspräche aber vermutlich auch nicht unseren unterschwelligen Erwartungen an Afrika. Die meisten Medien verbreiteten überwiegend Nachrichten über Korruption, Misswirtschaft oder erneut aufbrechende Hungersnöte und daraus resultierende Hilfslieferungen aus Europa. Ausnahmen für tiefer gehende Berichterstattung gibt es hier bei Riffreporter. „Dafür zahle ich ja meine Steuern“, mag so mancher Deutsche denken, in dem Versuch, sich von entfernten Themen zu distanzieren.

Der Organisatorin des äthiopischen Festivals Addis Foto Fest, Aida Muluneh, sind solche Klischees entschieden zu wenig. „Es kommen immer wieder ausländische Fotografen in unser Land, doch ein Austausch mit Fotografen vor Ort findet nicht statt. Dabei ist ein Transfer von Wissen für unsere lokalen Berichterstatter von großer Wichtigkeit. Es fehlt das Wissen über den Einfluss, den Bilder haben können“, sagt die in Kanada ausgebildete Fotografin, in einem Webinar der VII Photo Agency. Sie bemängelt, dass es kaum Initiativen gebe, die Fotograf*innen vor Ort in die internationale Produktion von Bildmaterial über Afrika mit einbeziehen würden.

Das Addis Foto Fest ist eines der größten Fotografie-Events auf dem Kontinent. Hier werden seit Jahren Talente präsentiert und einem größeren Publikum bekannt gemacht. Für viele ausgestellte Fotografen ist das Neuland. Der kanadisch-britische Fotograf Finbarr O’Reilly nennt Aida Muluneh eine der wenigen Personen, die nicht nur an die eigene Karriere denken, sondern an etwas viel Größeres. An das Bekanntmachen afrikanischer Fotograf*innen nämlich, deren Arbeit international kaum wahrgenommen werde, obgleich heute, in einer sich stetig globalisierenden Gesellschaft, die Möglichkeiten dafür besser seien denn je.

„Ich kam aus Kanada zurück nach Äthiopien und begann im Jahr 2008 damit, Fotografie zu unterrichten. Doch nicht nur die jungen Leute wollen in Fotografie unterrichtet werden, auch die Regierungen müssen viel lernen über die Macht von Bildern. Oftmals weiß man da wenig mehr, als dass es Fake News gibt“, sagt die Äthiopiern. „Das Festival, das wir auf die Beine gestellt haben, ist wie ein globales Netzwerk, wo Kontakte für alle entstehen können. Ich will, dass Außenstehende verstehen, dass die Realität in Afrika anders ist, als das, was die Leute aus ihrem Land kennen. Auch Vertreter von Galerien und dem Kunstmarkt stellen fest, wie viel Talente es hier gibt.“

Aida Muluneh vertritt den Standpunkt, dass es die Menschen aus den afrikanischen Ländern ihre eigene Geschichte selbst erzählen sollten – und nicht die Berichterstatter und freien Journalisten, die aus Europa oder den USA für eine Woche einreisen, Bilder schießen und dann wieder verschwinden. Von einem bemerkenswerten Aspekt in diesem Zusammenhang erzählte mir im Interview der Kriegsfotograf Mattias Bruggemann. „Früher war es so, da kamst du als Fotograf an einen Ort und niemand hatte eine Kamera. Heute besitzt jeder ein Smartphone, mit dem er Bilder macht.“ Es gibt also auf der Welt kaum mehr Orte, die von Fotografie unbefleckt sind. Smartphones und die darin eingebauten Kameras haben den Planeten in rasender Geschwindigkeit mit ihrer Technik überzogen, während das Wissen über die Sprache der Fotografie kaum hinterher kommt.

„Ich finde es enttäuschend“, sagt Muluneh, „dass es keine Geschichte afrikanischer Fotografie und ihrer Protagonisten gibt. Das muss sich ändern! Ebenso wichtig ist es, die afrikanischen Geschichten wertzuschätzen und sie nicht aus der Sicht der ehemaligen Besatzungsmächte der Kolonialzeit zu zeigen. Außerdem fehlen Kuratoren und Editoren, um mit dem vorhandenen Material zu arbeiten.“

Worin das Hauptproblem der Zusammenarbeit mit lokalen Fotografen liegt, erläutert der Bildredakteur des Magazins Der Spiegel, Matthias Krug, im Interview auf die Frage, ob Fotografen aus Drittwelt-Ländern Zugang zum Beruf des Fotojournalisten hätten: „Gerade durch die neuen Technologien, Facebook, Twitter und Instagram können Fotografen mehr auf sich aufmerksam machen als früher. Diese Möglichkeit hatten Fotografen früher gar nicht. Viele tun dies auch und erlangen weltweite Bekanntheit. Für uns als Fotoredakteure ist es sehr interessant, wie die einheimischen Fotografen auf ihre Welt schauen. Wie betrachten sie ihr Umfeld unvoreingenommen von westlichen Medien.“ Er ergänzt: „Die kennen ja den Spiegel und andere europäische oder deutsche Zeitschriften kaum und bilden die Themen ab, wie sie es sich für sich vorstellen. Oft generieren sie kaum Aufträge aus den eigenen Ländern heraus. In Indonesien gibt es zum Beispiel keine Zeitungskultur wie bei uns. Dortige Fotografen haben nur die Möglichkeit durch Aufträge aus ausländischen Medien zu überleben. Wir unterstützen das gerne und sind zunehmend begeistert über die Einflüsse von Fotografen, die wir über die sozialen Netzwerke kennenlernen.“

Der Chef der spanischen Bildagentur Contacto aus Madrid, Miguel González Navarro, sieht es ähnlich. Er vertritt die Arbeiten von Fotografen weltweit: „Natürlich gibt es in vielen Ländern Fotojournalisten. Aber allgemein gilt, dass diese getragen werden müssen durch die Medien. Und in nicht so weit entwickelten Ländern gibt es im Allgemeinen weniger Medien. Auch ist die Information, die dort transportiert wird, wesentlich stärker kontrolliert. Oft existiert keine industrielle Struktur in den Medien, die den Fotografen eine Sichtbarkeit garantiert, wie wir sie aus Europa kennen. Es liegt also nicht daran, dass es in anderen Ländern keine Fotojournalisten gibt, es fehlt ihnen häufig an der Möglichkeit, Geschichten unterzubringen.“

Aida Muluneh vom Addis Foto Fest fragt sich, ob nicht genau jetzt der Moment erreicht ist, wo Afrika sich seinen Platz erobern kann in der zunehmend von Social-Media geprägten Welt. „Die jungen Leute denken, Erfolg definiert sich dadurch, wie viele Likes oder Follower man hat. Aber die Foto-Industrie denkt nicht so. Viel eher frage ich mich, was ist die langfristige Strategie von Magnum, was die Strategie von Canon für Afrika? Gibt es sowas? Nach der Covid-Pandemie wird die Welt eine andere sein. Hier müssen wir unseren Platz finden.“

Die berühmte Bildagentur Magnum, hatte von Anfang an ein Konzept, erzählt mir der katalanische Fotokünstler Joan Fontcuberta. Magnum sei ein Beispiel für Pionierarbeit gewesen, ein Versuch von Seiten der Fotografen, die Kontrolle zu behalten über Sinn und Verwendung von Bildern. Geht das heute überhaupt noch? Wo es eine so dichte Konzentration von Medien, großen Medienhäusern und der Industrie gibt, bei der die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht gegenüber der Idee, dass Medien Nachrichten als sozialen Dienst am Volk weitergeben. Und selbst wenn: Kann so etwas auch in Afrika gelingen?

„Wir können nicht erwarten“, sagt Joan Fontcuberta, „dass der Fotojournalismus ein von der gesamten Medienproduktion abgetrennter Bereich ist. Bilder werden in Tageszeitungen abgedruckt, im Internet gezeigt oder in einer Nachrichtensendung. Die mediale Verzahnung verleiht dem eine ethische oder politische Orientierung. Doch leider hat der Fotograf nur sehr wenige Einflussmöglichkeiten auf die Verwendung seiner Bilder. Als die Fotografenagentur Magnum 1947 gegründet wurde, war eine der Ideen die Ablehnung solcher Strukturen. Man wollte vermeiden, dass die eigenen Bilder willkürlich in den Medien erschienen.“

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