Verliebt im Kutter
Eva und Markus leben mit ihren Kindern auf einem Schiff. Die Geschichte eines Paares, das mutig einen eigenen Weg eingeschlagen hat, um sich einen Traum zu erfüllen.
Das Wohnschiff ist für viele ein Traum. Ein Eigenheim, das sanft auf den Wellen schaukelt. Es gar selbst umbauen und wohnlich gestalten. Für manche:n klingt das nach der perfekten Verbindung von Freiraum und Naturverbundenheit. Lesen Sie hier die Geschichte von Eva und Markus, die mit ihren Kindern gemeinsam auf dem Dortmund-Ems-Kanal bei Münster leben und denen Instagram zu einiger Popularität verholfen hat.
Den Kanal zu finden, ist gar nicht so schwer. Mich in dem kleinen Hafen zu orientieren, bereitet mir dagegen mehr Probleme. Verabredet bin ich mit Eva Scholz vor dem Hafengebäude mit der Nummer 37, doch da ist niemand. Verwundert stehe ich in der Gegend herum und weiß nicht, wen ich fragen soll nach dem Hausboot von Eva, Markus mit ihren insgesamt fünf Kindern, das doch viele Menschen aus diversen Reportagen und von Instagram kennen. Was es mit der Hausnummer 37 auf sich hat, sollte ich später erfahren, doch schon macht es auf meinem Smartphone das Geräusch einer eintreffenden Nachricht. „Bin gleich da, “ schreibt Eva. Das beruhigt mich.
Eine halbe Stunde später sitzen wir zusammen mit ihrem Mann Markus Steinhauer an Deck eines umgebauten Kutters und schauen aufs grünliche Wasser. Zur Begrüßung gibt es Limonade. Ob man direkt von der Reling über Bord springen kann, um im Fluss zu baden, frage ich. Na klar geht das, kommt schnell die Antwort der 33-jährigen Sozialarbeiterin. Sie trägt ihre blonden Haare als Rasta-Frisur und meint, es komme ein bisschen auf die Wassertemperatur an. Seinen eigenen Badezugang zu haben, wirkt auf mich wie die Erfüllung eines Kindheitstraums. Ich kann mich nur schwer beherrschen, das Wasser zieht mich magisch an.
Ich denke darüber nach, wie sehr die Nachfrage nach so einem Leben in Corona-Zeiten gestiegen sein muss, und wende mich an die Mutter von drei Kindern. „Wir haben einfach Glück gehabt“, antwortet sie und zeigt mir stolz den Kutter. Sechs Parteien wohnen im Hafen, sagt sie, wir sind die einzige Familie. Die anderen sind meist älter als sie und nur sporadisch da. Die Patchworkfamilie lebt hier. Wohnlichkeit spüre ich schon, bevor ich an Deck klettere[ubu1] . Am Steg vor dem Kutter stehen Fahrräder, eine kleine Gartenecke zeugt von liebevoller Pflege. Kinder springen an Bord, verschwinden kurz im Inneren und sind dann wieder weg zum Spielen an Land. Ein Idyll! Oder doch nicht?. Ist es der perfekte Lebensentwurf? Ich will mehr erfahren. Auch ein Idyll muss seine Macken haben.
Hätten sie sich mehr Zeit gegeben für das Projekt, hätten sie ein Schiff finden können, das bezugsfertig ist. So mussten sie alles neu bauen.
Für Eva und Markus stand ganz am Anfang der Wunsch, aus der Wohnung raus zu wollen. Markus hatte zwei Jahre lang seine Erfahrungen gemacht mit dem Leben auf einem Segelboot, das im Hafen vertäut war. Dort kam er gut aus, doch das änderte sich, als Eva und er ein Paar wurden und die Kinder zusammentrafen. Plötzlich gab es ein Platzproblem. An entspannten Schlaf war mit den Kindern hier nicht zu denken. Ein Banktermin von Eva gab der Idee Nahrung, zusammen auf dem Wasser zu leben. Was zu Beginn nur eine wage Vorstellung war von einem Projekt für die Zukunft, begann Konturen zu bekommen, als der Bankberater Folgendes sagte: „Für eine Finanzierung gibt es schon Möglichkeiten. Verkauft das Segelboot, dann bekommt ihr einen Kredit.“
Ganz beschwingt war sie, erzählt die Münsteranerin, als sie ihrem Partner die freudige Nachricht überbrachte. „Du Markus, wir können das jetzt doch machen.“ Den Kutter fanden sie im Internet. Er lag einsam vertäut in den Niederlanden und sah sie auf den Bildern beinah mitleiderregend an. Nun sollte alles ganz schnell gehen. Das Boot war so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Als beide sich gewahr wurden, dass auch andere Interesse daran zeigten, beschlich sie Panik, es schnell kaufen zu müssen. Der Druck auf die beiden wuchs. Entscheidungen mussten zusammen getroffen werden, während das Land auf den Lockdown zusteuerte. Den Kutter im Nachbarland kaufen, ja oder nein. Die Wohnung kündigen, ja aber wann? Wie das Schiff herbekommen, sobald wir es bezahlt haben? Und dann, die Frage aller Fragen: Wo zum Teufel stellen wir es hin?
„Das Problem war, hier in den Hafen konnte das Boot nicht hin. Und du kannst dich ja nicht einfach mit einem Boot in den Kanal legen und sagen Hier bin ich und hier bleibe ich.“ In den meisten Häfen der Binnengewässer gibt es Liegeplätze für Segel- oder Motorboote, doch das Wohnen in diesen Häfen ist fast nirgendwo möglich. Obgleich die Nachfrage steigt, erlauben die Hafenbesitzer es nur in seltenen Fällen. Gesetzlich ist es seit 2015 erlaubt, auf einem Schiff zu wohnen. Da gibt es zwei Modelle, erklärt mir Markus. Entweder gestattet es der Hafen oder man verfügt über ein Wassergrundstück. Da kannst du dann bei der Gemeinde einen Bauantrag stellen. Alles formal geregelt in Deutschland. Alternativ bleibt dir die Drei-Tage-Regel. Du bleibst drei Tage an einem Platz und bewegst dich dann weiter. Das ist natürlich auf Dauer nicht befriedigend.
Vor 2015 herrschte hier eine Grauzone. Man konnte zwar auf dem Wasser leben und viele machten das, aber als Erstwohnsitz brauchte man eine Adresse an Land. „So wie bei uns das Hafengebäude mit der Nummer 37“, erklärt sie. Jetzt verstehe ich, was es mit dem verwaisten Gebäude auf sich hat. Das war früher die Briefkastenadresse. Wie also mit dem Problem des Liegeplatzes umgehen? Eva und Markus spielten alle Optionen durch, sogar ein Umzug in die benachbarten Niederlande erwogen sie, verwarfen die Idee wegen der Schulsituation der Kinder aber schnell wieder. „Am Ende schrieb ich einen Brief an den Hafenverwalter, in dem ich alle meine Vorzüge in die Waagschale warf, schließlich bin ich Informatiker und das kann dem Hafen doch helfen“, erzählt Markus. Er winkt ab, das änderte nichts.
Nach 2 Jahren auf einem Segelboot wusste Markus: Kinder lernen schnell, wie man Knoten macht
Erst als sie zufällig dem Besitzer des Hafens persönlich über den Weg liefen und solange insistierten, bis er klein bei gab, nahm diese Suche ein glückliches Ende. Sie durften ihren Kutter dort abstellen. Sie bezahlen eine etwas höhere Liegeplatz-Gebühr als für Segelboote. Dafür haben sie Zugang zur Ver- und Entsorgung von Wasser. Die Kosten für den Liegeplatz sind vergleichbar mit der Miete einer kleinen Wohnung. Das ließ sich stemmen. Freude kam auf, das Paar wähnte sich am Ziel. Mit dieser Nachricht war alles so weit geklärt: Es gab den ersehnten Platz, der Kutter war verfügbar und die Bank gab den Kredit. Doch da fingen die Probleme erst richtig an.
Markus, der zum Zeitpunkt des Kaufes selber noch nicht über das Schifffahrtspatent, sprich: den Führerschein, verfügte, durfte den Kutter gar nicht fahren. Es musste jemand gefunden werden, der sich bereit erklärte, als Kapitän einzuspringen. Das Problem konnte gelöst werden, aber es war in Zeiten der Pandemie schwierig, einen Termin zu finden, an dem alle Beteiligten konnten. Die Niederlande waren Risikogebiet, Quarantäne wollte jeder gerne vermeiden. Als diese Hürde genommen und der Kutter im Hafen vertäut war, war allerdings gar nicht daran zu denken, einfach dort einzuziehen. „Meine Nase ist sehr sensibel. Ich roch den Schimmel überall, “ sagt Eva mit leichter Ernüchterung. Der Kahn musste komplett entkernt werden.
Der Umbau dauerte zehn Monate. Die Zeit drängte erneut, denn die Wohnung war inzwischen gekündigt und der Termin für den Auszug rückte näher. Markus, der von seinem Vater handwerkliches Wissen vermittelt bekommen hatte, arbeitete nach seinem 8-Stunden-Tag im Büro an Bord. Ging früh am Morgen von dort wieder ins Büro. Als er merkte, dass ihm das zu viel wurde, nahm er sich Urlaub und konzentrierte sich komplett auf den Umbau. „Der Zeitdruck war tierisch. Die andere Wohnung musste leergeräumt werden und wir konnten fast nichts mit an Bord nehmen“, erzählt er und kratzt sich dabei den dichten Bart. „Das Gute daran ist, wenn heute etwas gemacht werden muss, so stresst mich das beileibe nicht mehr. Das Schlimmste habe ich hinter mir“. Und sie finden es gut, so wie es ist. Perfektionismus sei nicht das Problem. Das sehe ich unter Deck. Küche und Wohnraum wirken sympathisch improvisiert. Das ist Familie, denke ich mir.
Das erste Reiseziel ist der nächste Liegeplatz.
Denn bewohnbar ist der Kutter nun. Er ist komplett isoliert worden, um dem Winter standzuhalten. Auf der Decke liegen oben dicke Bohlen als Dämmung drauf. Einen Winter hat die Familie schon durchgestanden. Doch wie im richtigen Leben liegt der Teufel auch hier im Detail. „Viele rechte Winkel hat so ein Schiff nicht, “ erzählt er, „quasi null. An einem Stück Holz sägst du manchmal vier bis fünf Mal nach. Musst dafür immer raus und rein, denn die meiste Arbeit machst du an Deck.“ Er verdeutlicht, dass es für die anderen Familienmitglieder unzumutbar wäre, würden sie sich den kargen Wohnraum mit Werktisch, Bohrer und Säge teilen müssen. So verstehe ich, dass das Anpassen der einzelnen Teile für eine Sitzecke unfassbar viel Zeit veranschlagt. Ich frage ihn nach dem Ziel ihres Projektes. Seine Antwort fällt realistischer aus, als es noch vor Monaten der Fall gewesen wäre.
Ihr Leben und die Umbaumaßnahmen am Schiff dokumentiert das Paar auf Instagram. Das hat ihnen schon viel Aufmerksamkeit eingebracht, Fernsehteams waren zu Besuch, darunter fast alle großen Sender. „Ich habe Markus irgendwann gefragt, wann wir mit dem Schiff auf große Fahrt gehen werden. Er sagte dann: im April. Doch mit dieser Einschätzung waren wir blauäugig.“ Erzählt Eva, die hinzufügt, dass die Realität es ihnen nicht erlaubt, einfach loszufahren und dem Hafen good-bye zu sagen. Die 40-Stunden-Woche ist noch da. Auch muss der Kredit abbezahlt werden und die Kinder müssen in die Schule. Dennoch definiert sie ein erstes Reiseziel, auch wenn es eine Spur kleiner ausfällt. „Zumindest bis zum nächsten Liegeplatz müssen wir es schaffen!“ Ein Problem ist der Tiefgang. Mit 2,20 Meter darf der Kutter nicht jedes Gewässer befahren. Die Flüsse und Seen rund um Berlin, ebenso wie die Mecklenburger Seenplatte sind tabu. Doch das wahre Ziel ist das Meer.
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Damit das Schiff als hochseetüchtig eingestuft werden kann und diese Kategorisierung erhält, müssen es sich die Spezialisten der Schiffsuntersuchungskommission anschauen. „Das ist wie der TÜV für Schiffe.“ Erklärt Markus und formuliert seinen Wunsch, welcher die Umbaumaßnahmen der nächsten Zeit prägen wird. Bei eineinhalb Meter hohen Wellen würden diese alles an Bord durcheinanderwerfen. Alle Möbel unter Deck, die Küche und die Betten, alles muss gesichert werden.„Ich träume einfach von der Zulassung für das Meer. Mit meinem Binnenschiff bei Husum aufs Meer hinaus, das wäre das Größte!“
Zum Abschluss ein paar Lehren, die Eva und Markus aus ihrem Projekt gezogen haben: „Vielleicht haben wir es anfangs überstürzt. Hätten wir uns mehr Zeit gegeben für das Projekt, hätten wir ein Schiff finden können, das bezugsfertig ist. So mussten wir alles neu bauen. Wir hätten mehr Zeit gehabt, um unsere Sachen verkaufen zu können. Im Idealfall hast du einen Liegeplatz und findest danach das Schiff.“ Markus fügt hinzu: „Hat man sich erst in ein Schiff verliebt, fällt es einem schwer, zu sagen, man nimmt es nicht. Ohne den Liegeplatz hätten wir wahrscheinlich Entscheidungen getroffen, die wir später bereut hätten, wären woanders hin gezogen und hätten es den Kindern unnötig schwer gemacht.“
Dennoch denke ich, Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Wer seinen Fokus legt auf das, was er will, findet einen Weg, auch gegen Widerstände. Das eigenständige Arbeiten an Umbaumaßnahmen erfordert viel Energie und Einsatzwillen. Fängt man allerdings an, verliert man die Angst und gewinnt an Erfahrung. Perfektionismus ist nicht hilfreich. Und Ziele sollten am Anfang nicht zu hoch gesteckt werden. All das geht mir später auf dem Heimweg durch den Kopf und mir fällt ein, dass ich das Wichtigste vergessen habe: zu baden.