Regenerative Landwirtschaft in Spanien: Mit Weidevieh das Klima retten

Die exportorientierte Landwirtschaft ist einer der größten Treibhausgas-Emittenten Spaniens. Dabei gibt es Alternativen, die wirtschaftlich sind – und dazu beitragen, das von Dürren und Extremwettern besonders bedrohte Land klimaresilienter zu machen: zum Beispiel die regenerative Landwirtschaft.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
10 Minuten
Eine Kuh steht auf einer Brache in Südspanien auf der hüfthoch das Gestrüpp steht. Im Gezweig hängen trockene Pflanzenreste

Steigende Meeresspiegel, häufige Dürren, verheerende Stürme – die Folgen des Klimawandels sind weltweit spürbar. Doch rund um den Globus suchen Menschen nach Lösungen, die das Schlimmste verhindern können: Ressourcen nachhaltiger nutzen, neue Wege für die Landwirtschaft oder politisches Engagement für klimabewusstes Handeln. An jedem zweiten Mittwoch im Monat lesen Sie hier, wie Menschen weltweit gegen die Klimakrise kämpfen.

„Sind sie nicht hübsch?“ Stolz deutet Alfonso Chico de Guzmán auf das halbe Dutzend brauner Rinder, das gemächlich ein paar Halme aus dem Boden zupft. Der Steilhang auf dem Gut La Junquera, im Südosten der iberischen Halbinsel, ist fast abgegrast, am nächsten Tag wird Samuel, der Kuhhirte, die Herde zum nächsten Weideplatz führen.

Dank des frischen Kuhdungs und des durch die Hufe aufgelockerten Bodens wachse das Gras schneller und saftiger als zuvor. Steht es hoch genug, führt der Hirte die Rinder zurück – und der Kreislauf beginnt von vorn. Bis die Rinder sich genug Fleisch angefressen haben, um geschlachtet werden zu können. „Das ist ein Triple Win: Mensch und Tier profitieren davon ebenso wie die Umwelt und der Boden - und nicht zuletzt das Klima“, sagt Chico de Guzmán. Mit verschmitztem Lächeln wartet der Landwirt auf die Reaktion des Gegenübers.

Die Kuh als Klimaretter

Kühe als Klimaretter? Ausgerechnet jene Wiederkäuer, die das als besonders klimaschädlich geltende Methan ausstoßen? Laut Welternährungsorganisation FAO ist die Rinderzucht für sechzig Prozent der landwirtschaftlich produzierten Treibhausgase verantwortlich. „Es kommt immer auf das Produktionssystem an“, kontert Alfonso Chico de Guzmán.

In einer kargen Hochebene in Südspanien stehen ein paar braune Kühe, im Vordergrund etwas Gestrüpp.
Für Gemüseanbau ist der Boden zu karg, aber Weidevieh findet auf der Hochebene von Murcia genug zu fressen - und hilft nebenbei, den Boden zu gesunden.

Bei der regenerativen Landwirtschaft, so wie er sie betreibt, ist Viehhaltung ein essenzieller Bestandteil der Kreislaufwirtschaft. Und nachdem Alfonso Chico de Guzmán bereits ein paar Jahre lang eine Herde Schafe auf seiner Finca grasen ließ, kamen 2022 die Rinder dazu: Hundert Tiere sind es inzwischen. Sie weiden mal an der Böschung eines trockenen Flussbettes, mal im Steineichenwäldchen, mal auf einem brachliegenden Acker. Platz gibt es auf der 1000 Hektar großen Finca im Südosten Spaniens genug.

In Spanien, wo zehn Prozent der Treibhausgase auf die Landwirtschaft zurückgehen, könnten regenerativ bewirtschaftete Böden Schätzungen zufolge jährlich 34 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente speichern – etwa 15 Prozent der jährlichen Emissionen des Landes.

Der 36-jährige Alfonso Chico de Guzmán lebt seit 2012 auf der murcianischen Hochebene, in La Junquera, seinem einsamen Gehöft tief in der Provinz. Die weitläufige Finca ist seit 200 Jahren im Besitz seiner Familie. Jahrzehntelang wurde hier zunächst Hanf für Seilereien und Tuchfabriken angebaut, dann Getreide.

Ein Wildschwein in der Großstadt

Alfonsos Eltern nutzten die Finca überwiegend als Urlaubsdomizil für die Familie. Wenn der gebürtige Madrider von den Sommer- und Winterferien erzählt, die er hier verbrachte, beginnt er zu strahlen. „Als Kind war ich am glücklichsten, wenn ich draußen, auf dem Feld, mit meinen Geschwistern und Cousins herumtollen konnte – oder mit den Tieren draußen unterwegs war.“

Zwei Männer stehen auf einer von Gestrüpp bewachsenen Hochebene vor ein paar freilaufenden Kühen und blicken ihre Gesprächspartner, die im Anschnitt von hinten zu sehen sind.
Gefragte Experten: Kuhhirte Samuel (links) und Alfonso Chico de Guzmán im Gespräch mit Seminarteilnehmern.

Zurück in der spanischen Hauptstadt vermisste er das Landleben so sehr, dass er seine Eltern einmal überredete, einen nach einer Jagd verwaisten Frischling mit zurück in die Stadtwohnung an der Plaza Colón zu nehmen. Die Sehnsucht blieb, auch während seines Verwaltungs- und Betriebswirtschaftsstudium in Boston und Madrid.

Der Himmel über der kargen Hochebene ist blitzblau. Ein scharfer Wind lässt die Gräser wallen. Chico de Guzmán zieht die Kapuzenmütze enger und stapft über den staubigen Feldweg zu einer kleinen, auf einem Hügel gelegenen Siedlung. Jahrzehntelang standen die Steinhäuser leer und verfielen.

Auf einer Hochebene in Südspanien steht auf einer Anhöhe ein Gehöft. Im Vordergrund ist ein schilfumwachsener Tümpel zu sehen, auf einem Mäuerchen läuft ein Hund.
Seit 200 Jahren ist das Gehöft „La Junquera“ im Besitz der Familie von Alfonso Chico de Guzmán.

Eines davon hat er selbst renoviert, dort lebt er mit seiner Frau Yanniek Schoonhoven und den beiden gemeinsamen Kindern. In die anderen Häuser sind inzwischen Freunde und Gleichgesinnte eingezogen: Zwölf Menschen, die in den letzten Jahren die Finca sukzessive in ein Vorzeigeprojekt für regenerative Landwirtschaft verwandelt haben. Mit viel Elan und gegen alle Widerstände – in einer Region, die mit riesigen Gewächshäusern und künstlich bewässerten Feldern als europäisches Zentrum der exportorientierten Agrarindustrie gilt und immer wieder mit Umweltskandalen Schlagzeilen macht.

Weiden statt Gewächshäusern

Als Alfonso Chico de Guzmán die Finca offiziell übernahm, parzellierte er zunächst das riesige Areal, dreieinhalb Mal so groß wie der Wannsee, neu. „Durch die jahrzehntelange Monokultur war der Boden extrem ausgelaugt und anfällig für Erosion“, erzählt der Landwirt. Wind und Regen wehten und spülten jedes Jahr Tonnen fruchtbarer Erde weg. Er versuchte sich zunächst als Biobauer. Und scheiterte. Potenzielle Käufer hatten ihn damals überzeugt, Lauch anzupflanzen, wollten sich dann an vereinbarte Ernteabnahmen nicht mehr erinnern. 14 Stunden arbeitete er damals täglich, nur damit die Verluste im Rahmen blieben.

Auf einer südspanischen Hochebene steht eine Gruppe Menschen im Kreis und hört einem Vortragenden zu. Im Hintergrund sieht man eine Reiche Pappeln, einen Tümpel und ein weitläufiges Gehöft.
Mit Baumreihen, Tümpeln und Versickerungsgräben versuchen die Landwirte von La Junquera den Boden und die Landschaft zu regenerieren. Das Konzept lockt immer wieder Besuchergruppen auf die murcianische Hochebene.

Wir sind die Vorhut der spanischen Landwirtschaft. Das verbindet.

Teilnehmer eines Seminars der Regeneration Academy auf La Junquera

Doch Alfonso Chico de Guzmán lernte dazu. Auf einem Sommercamp der niederländischen Organisation Commonland lernte er Ökologen und Ökologinnen und Landwirte kennen, die ähnlich dachten wie er - darunter seine Frau Yanniek Schoonhoven. Das Paar stellte auf Vierfelderwirtschaft um, um durch die wechselnde Fruchtfolge dem Boden Zeit zu geben, sich zu erholen. Die beiden pflanzten Mandel-, Pistazien- und Apfelbäume, als natürliche Barrieren für den Wind und um das Wasser aus tieferliegenden Erdschichten nach oben zu ziehen.

Sie legten Dämme und Teiche an, um das Wasser aus der eigenen Quelle optimal nutzen zu können, und durchzogen das riesige Terrain entlang der Höhenlinien mit Furchen, durch die Niederschläge besser in den Boden eindringen können. Zehn Kilometer solcher Swales, solcher Versickerungsmulden gibt es inzwischen auf der Finca. Der Gemüsegarten ist so angelegt, dass er mit einem Minimum an Wasser auskommt. Das ausgezupfte Unkraut bleibt auf der Erde liegen und schützt sie als Mulch vor dem Austrocknen.

Elektrische Hirten und enthusiastische Landwirte

Dazu kommt der gezielte Einsatz von Weidevieh, das genau dort grast, wo es soll – und genauso, wie es ökologisch Sinn macht: bis der Bewuchs ausreichend kurz, aber nicht zerstört und der Boden aufgelockert ist. Statt die Weiden zu umzäunen, verwendet der Landwirt „elektrische Hirten“: Die Apparate hängen um den Hals der Kühe und zeigen ihnen durch ein akustisches Signal, bis wohin sie gehen dürfen. „Die Technik hat sich modernisiert, aber die Methoden dahinter werden schon seit Jahrhunderten angewandt“, sagt Chico de Guzmán. Mit Erfolg: Die Qualität des Bodens hat sich deutlich verbessert, die Krume ist gewachsen und im Vergleich zu den konventionell bewirtschafteten Nachbarfeldern hat die Erde ein Prozent an organischer Masse dazugewonnen.

Auf einem feuchten Boden sprießt grünes Gras. Ein paar trockene Halme sind ebenfalls zu sehen.
Grüner Schimmer Hoffnung: Seit die Kühe den Boden mit ihren Hufen aufgelockert und ihren Ausscheidungen gedüngt haben, sprießt wieder das Gras.

Das Wissen, das der Landwirt und seine Mitstreiterïnnen sich angeeignet haben, geben sie in der Regeneration Academy weiter: Regelmäßig finden im sanierten Pferdestall auf La Junquera Seminare statt. An diesem Freitag steht „Ganzheitliche Weideviehhaltung“ auf dem Lehrplan. Zwölf Männer und Frauen lassen sich erklären, wie Hühner, Schafe, Ziegen und Kühe in semiariden Gegenden die Ökosystemleistung erhöhen, für mehr Biodiversität und gesündere Böden sorgen können. Solche Böden sind nicht nur resilienter gegenüber klimakrisenbedingten Dürren und Starkregen, sie kommen auch besser ihrer Funktion als CO₂-Speicher nach, helfen also sowohl bei der Klimaanpassung wie beim Klimaschutz.

Avantgarde für eine andere Landwirtschaft

Unter den Teilnehmerinnen sind zwei Frauen, die die Neugierde hergeführt hat. Die anderen sind Landwirte, die sich beraten und inspirieren lassen: Zwei Argentinier möchten auf Ibiza einen syntropischen Garten anlegen, in dem Schafe und Ziegen zwischen Weinreben weiden sollen. Die Betreiber einer auf dürreresistente Samen spezialisierten Firma wollen regenerativen Gemüseanbau mit Viehhaltung kombinieren. Ein Mann aus dem Umland überlegt, ob er zwischen seinen Pflaumenbäumen Schafe halten soll, um seinen Agroturismo-Betrieb rentabler zu machen. Jedes Projekt wird analysiert, je nach den Bedingungen vor Ort. Die Gruppe versteht sich auf Anhieb, man tauscht sich aus, gibt sich Tipps, lacht. „Uns allen ist klar, dass sich das Agrarsystem Landwirtschaft in Spanien grundlegend verändern muss. Und wir sind die Vorhut – das verbindet“, sagt einer.

Ein umgebauter Pferdestall im weißgetünchten Wänden. Im Vordergrund verweist ein Aufsteller auf das Seminarthema, im Hintergrund sitzen Menschen und hören einen Vortrag.
Im ehemaligen Pferdestall auf La Junquera finden regelmäßig Schulungen statt - wie hier zu Rinderhaltung.
Mehrere Menschen sitzen um einen großen Holztisch in einem renovierten Pferdestall auf der Finca La Junquera
„Bei Tisch überzeugt man die Menschen am besten“, sagte schon Alfonsos Großvater. Deswegen gehört ein gemeinsames Abschlussessen zu jedem Seminar dazu.

Wandel tut schon allein wegen der immer knapper werdenden Ressource Wasser Not: Ein knappes Drittel der spanischen Agrarflächen wird künstlich bewässert, die Landwirtschaft verbraucht etwa achtzig Prozent des spanischen Wasservorkommens: für Obst und Gemüse, das billig in europäischen Supermarktregalen verkauft wird, oder für Tierfutter. Die Grundwasserreservoirs auf der iberischen Halbinsel sind dramatisch gesunken, der Wasserstand der Stauseen hat im vergangenen Jahr einen historischen Tiefstand erreicht. Laut einer Studie des WWF sind 75 Prozent der iberischen Halbinsel von Versteppung bedroht.

Alfonso Chico de Guzmán erlebt das auch auf seiner Finca: Sprudelten aus der grundstückseigenen Quelle einst 16 Liter Wasser pro Sekunde, sind es jetzt gerade mal 2,3 Liter. Schuld daran tragen, da ist der Landwirt sich sicher, die Betriebe, die auf der Hochebene auf riesigen Arealen Salat und Brokkoli anbauen. „Diese Unternehmen graben uns buchstäblich das Wasser ab.“

Aber Alfonso und Yanniek sind nicht der Typ Mensch, der es beim Jammern und Klagen belässt. Schritt für Schritt möchten die beiden die Nachbarn davon überzeugen, dass es doch viel sinnvoller wäre, die Felder dem Vieh zu überlassen: seinem eigenen oder fremden. „Es ist einfach die sinnvollste Art und Weise, in solchen steppenartigen Gegenden Nahrung zu produzieren.“

Vor acht Jahren lachten unsere Nachbarn noch über unseren 'Öko-Quatsch’. Inzwischen übernehmen sie immer häufiger unsere Ideen.

Alfonso Chico de Guzmán, Landwirt und Manager von La Junquera

Es ist später Mittag. Die Gruppe kehrt von einem Spaziergang durch den Steineichenhain der Finca zurück und lässt sich am großen Holztisch nieder. In der Mitte dampft ein Eintopf, mit Gemüse und Rind, natürlich aus eigener Produktion. Während die Kelle reihum geht, erzählt Alfonso, wie Samuel, der Kuhhirte der Finca, in der Bar ein paar der Farmer aus der Umgebung überzeugt hat, das Vieh auf ihre Brachen zu lassen. „Vor acht Jahren haben die meisten noch über uns gelacht und von ‚Ökoquatsch‘ gesprochen“, sagt der Landwirt. „Inzwischen übernehmen immer mehr unsere Ideen.“ Er hofft, dass vielleicht auch einer der Brokkoli-Bauern den intensiven Gemüseanbau aufgibt und stattdessen seine eigenen Schafe über die Hochebene von Murcia ziehen lässt. „Der Wandel ist unausweichlich.“

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