Check-out

Wie kann ein gesundes Degrowth der Flugindustrie gelingen?

von Daniela Becker
12 Minuten
Die öffentliche Check-in-Zone eines Flughafens mit Hindernissen für die Kontrolle der Menschenmenge

Jahr für Jahr stiegen die Fluggastzahlen, daran konnte auch die erstarkende Klimaschutzbewegung nichts ändern. Doch nun: leere Flughäfen, kaum Passagiere, stillgelegte Flotten und Kurzarbeit. Change by Disaster, also Veränderung durch eine Katastrophe, wird das genannt, was das Corona-Virus in der Flugindustrie anrichtet. Aus Klimaschutzgründen müssen Teile dieser Veränderung aber von Dauer sein. Diverse NGO fordern in Anbetracht der Klimakrise eine Abkehr von einer wachstumsorientierten Luftverkehrspolitik. Die Forderungen reichen vom Ende des Ausbaus von Flughäfen, über die Schließung von kleineren Flughäfen, bis hin zur Abschaffung des innerdeutschen Flugverkehrs. Wie kann ein sozialverträgliches Degrowth der Flugindustrie gelingen?

Der Luftfahrtsektor wurde besonders früh und hart vom Ausbruch des Corona-Virus getroffen. Auf dem Höhepunkt der Bewegungseinschränkungen durch die Corona-Krise lagen die weltweiten Luftverkehrsemissionen um bis zu 60 Prozent unter dem Tagesdurchschnitt des Jahres 2019. Dieses Ergebnis veröffentlichte ein internationales Forschungsteam im Fachmagazin Nature.

Der Straßenverkehr trug mit 43 Prozent am meisten zum Emissionsrückgang bei. Die nächstgrößten Bereiche waren der Energiesektor und die Industrie. Der Beitrag des Luftverkehrs lag bei etwa 10 Prozent.

Veränderung der globalen täglichen fossilen CO2-Emissionen nach Sektoren.
Veränderung der globalen täglichen fossilen CO2-Emissionen nach Sektoren während der Corona-Krise.

Etwa drei Prozent der globalen CO2-Emissionen entfallen auf den Flugverkehr. Was in der Betrachtung absoluter Zahlen wenig anmutet, unterschlägt zusätzliche Erderwärmungseffekte des Flugverkehrs: Im Vergleich der Transportmittel ist Fliegen die klimaschädlichste Form der Fortbewegung. Nicht nur das CO2 schlägt hier zu Buche, sondern auch die sogenannten Nicht-CO2-Effekte, wie der Ausstoß von Feinstaub, Stickoxiden und Wasserdampf, die in hohen Luftschichten fast dreimal so schädlich wie der Ausstoß von Kohlendioxid am Boden wirken.

Jahr für Jahr nehmen die Fluggastzahlen zu. Alleine in Deutschland stieg die Zahl der Flugpassagiere laut Statista.com auf den Airports von 141 Millionen im Jahr 2011 auf knapp 248 Millionen im vergangenen Jahr. Viele deutsche Flughäfen erhöhten in den letzten Jahren ihre Passagierkapazität oder haben dies geplant. Daran konnte auch die erstarkende Klimaschutzbewegung nichts ändern, die mit Kampagnen wie #Flightfree für Flugverzicht warb oder versuchte, Flugscham zu erzeugen.

Die Corona-Krise sorgte hingegen für leere Flughäfen und fast komplett stillgelegte Flotten. Der abrupte Stopp bringt weltweit Fluglinien an den Rand der Insolvenz und bedroht damit viele Arbeitsplätze. Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat aufgrund der massiven Verluste inzwischen einen „tiefgreifenden Konzernumbau“ angekündigt. Nach Presseberichten könnten 20.000 der rund 100.000 Mitarbeiter*innen trotz der geplanten Rettung durch den Staat ihren Arbeitsplatz verlieren.

War es das, was die Klimaaktivisten von StayGrounded wollten? „Nein“, sagt Magdalena Heuwieser, Sprecherin der NGO. Was Corona in der Wirtschaft und auch der Flugindustrie anrichte, sei ein „change by disaster“, also eine Veränderung durch eine Katastrophe. „Wenn wir einen nachhaltigen, ökologischen Umbau wollen, dann muss das auch ein sozialer Umbau sein, sonst wird es nicht möglich sein, demokratische Mehrheiten zu gewinnen. Das heißt, es braucht eine Strategie, die natürlich auch eine Absicherung von Beschäftigten beinhaltet“, sagt Heuwieser.

Die Art und Weise, wie sich Staaten in der Corona-Krise sich um ihre heimischen Airlines kümmern, ist zum Konfliktthema in ganz Europa geworden. „Wenn Geld – egal für welches Unternehmen – ausgegeben wird, dann muss das unter sozial-ökologischen Auflagen geschehen“, sagt etwa Lisa Badum, klimapolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zahlreiche Petitionen, Klima- und Wirtschaftswissenschaftler, fordern ähnliches.

Air France muss Kurzstrecken streichen

Tatsächlich hat bislang aber nur Frankreich beschlossen, das Rettungspaket für die Air France in Höhe von sieben Milliarden Euro an die Verpflichtung zu binden, CO2-Emissionen auf Lang- und Mittelstrecken bis 2030 um 50 Prozent pro Person und Kilometer reduzieren; auf innerfranzösischen Flügen schon bis 2024. Bis 2025 müssen mindestens zwei Prozent des verwendeten Treibstoffs aus einer klimaneutralen Quelle kommen. Ihre Inlandsverbindungen muss die Fluglinie im Gegenzug zu den Staatshilfen einschränken. Flugverbindungen beispielsweise zwischen Paris und Lyon oder Bordeaux, die in Konkurrenz zu den TGV-Verbindungen der Bahn stehen, werden voraussichtlich eingestellt. Der ganz große Wurf ist jedoch auch der Air France Deal nicht: Um Klimaschutz ernsthaft umzusetzen, brauche es Verbindlichkeit, sagt die Brüsseler Umweltorganisation „Transport and Environment“ (T&E) : Absolute CO2-Obergrenzen, einen Ausbau des Zugverkehrs, keine Inlandsflüge unter fünf Stunden Zugreise, sowie eine klare Definition der genutzten Biotreibstoffe. Vor allem, so die Forderung von (T&E), müssten diese Regeln juristisch festgeschrieben und mit Geldstrafen bewehrt sein.

Die Bundesregierung will die Lufthansa mit sogar insgesamt neun Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds des Bundes retten. Teil des Deals soll sein, dass der Staat erstmals nach zwei Jahrzehnten wieder Anteile an dem Konzern halten soll. Nach Recherchen des Redaktionsnetzwerks Deutschland wird die Bundesregierung dabei aber nicht die eigenen Aufsichtsräte aussuchen dürfen. Und von einem konkreten Plan, diese Hilfen an Emissionsminderungsziele zu binden, ist keine Rede. Umweltorganisationen und die politische Opposition kritisieren, dass hier die Gelegenheit für eine Transformation verpasst wird. 

Ob tatsächlich, wie in diesem Tweet des BMU suggeriert, in Effizienz investiert wird, lässt sich erst in einigen Jahren bewerten. Sicher ist: Forschung an verbesserten Antrieben und weniger umwelt- und klimaschädlichen Treibstoffen ist notwendig und benötigt einen verbindlichen Fahrplan, sagte Professor Rolf Henke, Mitglied des DLR-Vorstandes für Luftfahrtforschung im Interview mit KlimaSocial.

"Nicht mehr hochfahren wie zuvor"

Viele Organisationen, darunter der Umweltverband BUND, fordern angesichts der fortschreitenden Klimakrise deswegen eine Abkehr von einer wachstumsorientierten Luftverkehrspolitik. „Was fehlt, ist eine klare Ansage der Politik, dass eben nicht mehr hochgefahren wird wie zuvor, sondern dass sich bemüht wird, möglichst langsam und nur das notwendigste an Flugverkehr wieder zuzulassen“, kritisiert Ulrich Brand, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Wien, die aktuelle Debatte.

Im Gegenzug für die Staatshilfen für die Lufthansa fordert etwa der BUND, dass Ultrakurzstreckenflüge, zum Beispiel von Köln nach Frankfurt, sofort eingestellt und alle Inlandsflüge bis spätestens 2030 auf die Schiene verlagert werden. Ähnlich wie bei dem Deal mit der Air France dürfe die Lufthansa-Tochter Eurowings mit Dumpingpreise keine Bahnverbindungen mehr gefährden, wie dies derzeit etwa bei der Verbindung Berlin-München der Fall sei.

Das bestehende internationale Klimaschutz-Abkommen der UN betrachtet der BUND als nicht hilfreich. Die UN hat Ende 2016 erstmals ein Klimaziel für die Luftfahrt-Branche festgelegt. Das dazu entwickelte System heißt Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation (CORSIA), also ein CO2-Verrechnungs- und Minderungs-Plan für die internationale Luftfahrt. Tatsächlich geht es in dem Plan aber nicht darum, Emissionen zu senken, sondern die Luftfahrt darf nach Beschlusslage weiter wachsen. Die Fluggesellschaften müssen lediglich ihre Emissionen auf dem Niveau von 2019 bis 2020 halten und Klimaschutz soll durch CO2-Kompensation erfolgen.

„Statt auf solche Scheinlösungen wie CORSIA zu setzen, das keine Tonne CO2 im Luftverkehr reduziert, brauchen wir als ersten Schritt wirksame Klimaschutzinstrumente in Europa“, sagt Werner Reh, Sprecher des BUND-Bundesarbeitskreises Verkehr. Er nennt als Beispiele eine Reform des EU-Emissionshandels im Luftverkehr und eine internationale Kerosinsteuer. Seine Organisation plädiert dafür, dass insbesondere Nicht-CO2-Effekte, also die Schäden, die jenseits der CO2-Emissionen verursacht werden, schnellstmöglich in den EU-Emissionshandel einbezogen werden.

Mehrheit unterstützt Einschränkung des Flugverkehrs

Professor Stefan Gössling von der Lund University in Schweden, Experte im Bereich Flugverkehr und Tourismus, hält die Diskussion um die Rettung der Lufthansa nicht nur für eine vergebene Chance. Er ist sich auch sicher, dass die Große Koalition verkennt, was demokratisch gewünscht ist. „Im Zuge der Flugscham-Debatte haben wir im letzten Jahr eine groß angelegte Untersuchung durchgeführt und kamen zu dem Ergebnis, dass es in Deutschland eine Zwei-Drittel-Mehrheit gibt, die sehr drastische Maßnahmen zur Einschränkung der Emissionen aus Luftverkehr unterstützt“, sagt Gössling. Die Forscher haben dabei verschiedene Milieus identifiziert, die dies befürworten. Demnach hat eine kleine Gruppe der Bevölkerung komplett aufgehört zu fliegen. Eine weitere Gruppe versucht, weniger zu fliegen. Eine dritte, relativ große Menge Bürger*innen wäre dann bereit, weniger zu fliegen, wenn von der Politik Vorgaben für alle gemacht würden. Dieses dritte Milieu will eigentlich ökologisch handeln, wird aber von den Rahmenbedingungen zerrieben: „Viele Leute fliegen hauptsächlich, weil es sehr preisgünstig möglich ist. „Diese Erkenntnisse sollten in die Umstrukturierung einfließen. Ich glaube, dass man sehr viel machen könnte auf dieser Ebene, ohne dass es wirklich Widerstände aus der Bevölkerung gäbe“, meint Gössling. 

Virtuelle Werkzeuge ersetzen Dienstreisen

Um den Wunsch, sich ökologischer zu verhalten, zu fördern, gibt es viele Ideen. Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, dass viele Dienstreisen und Präsenz-Meetings, sogar ganze Konferenzen, durch virtuelle Werkzeuge ersetzt werden können. Hier lassen sich ganz offensichtlich viele (Flug)reisen vermeide. Diese Erkenntnisse muss aber in Unternehmen verstetigt und gefördert werden. Schon heute experimentieren einige Unternehmen auch damit, ihre Mitarbeiter*innen für ökologisches Verhalten zu „belohnen“, etwa indem ihnen ein Urlaubstag mehr zugestanden wird, wenn sie für die An- und Abreise auf einen Flug verzichten.

Natürlich erfordert das halbwegs gleichwertige Alternativen zum Reisen, sowohl preislich als auch in Hinblick auf den Komfort. „Der Luftverkehr muss endlich gerecht besteuert werden“, sagt Lisa Badum von den Grünen. In Deutschland ist bislang der gewerbliche Luftverkehr von der Energiesteuer befreit. Damit wird Kerosin im innerdeutschen Flugverkehr mit jährlich rund 580 Millionen Euro subventioniert. Berücksichtigt man auch den Treibstoff für internationale Flüge, betragen die Kerosinsteuersubventionen sogar über sieben Milliarden Euro pro Jahr, schreiben die Grünen in einem Antrag zur Förderung umweltfreundlicher Mobilität aus dem September 2019.

Mehr Investition in den Schienenverkehr

Notwendig wäre zudem ein europaweites großes Investitionsprogramm für den öffentlichen Verkehr, in attraktive Fernverkehrslinien auf der Schiene, die länderübergreifend ebenso problemlos zu buchen sein müssen wie Flüge. „Die EU verspricht zwar immer, das anzugehen, tatsächlich fließen überwiegend viele Gelder in den Ausbau der Automobilität“, sagt Politikwissenschaftler Ulrich Brand. 

Deutliches Preissignal an Vielflieger

Nur etwa vier Prozent der Weltbevölkerung fliegen innerhalb eines Jahres international. In dieser Gruppe der Privilegierten wiederum gibt es einen kleinen Teil, der exzessiv viel fliegt, darunter Arbeitspendler oder besonders Wohlhabende, für die der „Shoppingausflug nach New York“ zum Jet-Set-Lebensstil gehört.

Das macht Fliegen aus dem Gesichtspunkt der Klimagerechtigkeit problematisch: Eine extrem kleine gesellschaftliche Gruppe fliegt, aber alle müssen unter den verursachten Klima- und Umweltschäden leiden. Aktivisten fordern deswegen, exzessives Fliegen zu regulieren, etwa über eine Vielfliegerprämie: Eine Flugbuchung im Jahr könnte zum Marktpreis erfolgen, weitere Flugreisen müssten deutlich verteuert werden. Superreiche, die mit eigenen Jets reisen, erreichen solche Maßnahmen allerdings nicht. „Bewegungen wie FridaysforFuture, die diese ungerechten Verhältnisse benennen, sind deswegen für die Wertediskussion enorm wichtig“, meint Stefan Gössling.

Subventionen des Flugverkehrs abbauen

Der Wissenschaftler hält es auch für wesentlich, andere verzerrte Bilder über das Fliegen zu korrigieren. Neben den Klimaeffekten berge Flugverkehr auch weitere Risiken, angefangen von der Lärmbelästigung, über den Flächenverbrauch von Flughäfen bis hin zur Rolle der Flugzeuge als schneller Verbreiter von Krankheitserregern – zum Beispiel von Sars-CoV2, dem Auslöser der Covid-19-Pandemie. „Solche Faktoren müssen in Kosten-Nutzen-Analysen einbezogen werden“, fordert der Experte. „Gerne wird hervorgehoben, wie bedeutend Flugverkehr für die globale Wirtschaft sei. Tatsächlich seien große Teile des internationalen Flugverkehrs nie rentabel gewesen, so der Experte. „Die Gewinnmarge pro Passagier, der transportiert wird immer kleiner. Scandinavian Airlines hat etwa vor der Krise gerade mal noch 60 Cent pro Passagier in der Economy Class verdient. Und von allen schwedischen Flughäfen hat vor Corona nur einer Gewinn gemacht.“

Finanzexperten sehen Rettungspakete kritisch

Für einen Beitrag des Oxford Review of Economic Policy wurden Wirtschaftsexperten aus mehr als 50 Ländern zu 25 verschiedenen Konjunkturmaßnahmen befragt, darunter auch leitende Beamte aus Finanzministerien und Zentralbanken. Das Ergebnis: Nicht an Bedingungen geknüpfte Rettungspakete für Fluggesellschaften werden auch von Experten des Finanzsektor als am wenigsten rentabel eingeschätzt. Ihr Lösungsvorschlag: Jede Rettungsaktion für Fluggesellschaften sollte die Bedingung enthalten, dass die jeweilige Gesellschaft bis 2050 Netto-Null-Kohlenstoffemissionen erreicht, mit Zwischenzielen in 5– oder 10-Jahres-Intervallen und einem konkreten Plan zur Umsetzung. Wenn die Fluggesellschaften diese Bedingungen oder eine die festgelegte Anzahl von klimabezogenen Zwischenzielen nicht erfüllen, könnten die Finanzmittel für die Rettungsaktion wieder an die Steuerzahler zurückfließen, so der Vorschlag. Auf diese Weise hätten Führungskräfte und Aktionäre der Fluggesellschaften starke finanzielle Anreize, um die CO2-Reduktionsziele zu erreichen.

Regionalflughäfen stilllegen, keine neuen Startbahnen

Die EU könnte länderübergreifend zu einem geordneten Degrowth der Flugindustrie beitragen. Schon 2015 haben diverse NGOs, darunter die Naturschutzorganisation BUND und der VCD, in einem Konzeptpapier vorgeschlagen, den „Flughafenwildwuchs der letzten Jahrzehnte sowie die Subventionierung insbesondere der Regionalflughäfen“ zugunsten eines übergeordneten europäischen oder zumindest nationalen Flughafensystems zu beenden. Die Idee: Statt auf Konkurrenz solle auf regionale Kooperationen gesetzt werden. Die Europäische Union solle auf einige mit Gewinn arbeitende, eigenwirtschaftliche Flughäfen setzen, ergänzt durch einzelne weitere aus dem Kernnetz der Europäischen Union.

Natürlich würde dies, ähnlich wie beim Kohleausstieg, zunächst Arbeitsplätze kosten. „Eine agile, moderne Gesellschaft muss das antizipieren“, so Gössling. Eine erste einfache Maßnahme, die während der Corona-Krise ohnehin vielfach zur Anwendung kam, wäre eine Arbeitszeitverkürzung, ergänzt der Wiener Wissenschaftler Ulrich Brand. Zudem müssten bei Billigfluglinien Verbesserung der Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden, um Dumping-Angebote zu verhindern. Mit einer Arbeitszeitverkürzung könne man schnell Arbeitsvolumen abbauen und trotzdem Menschen erstmal weiter beschäftigen. Ähnliches schlägt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung für die Autoindustrie vor: Statt einer Autoprämie könnte die Bezugsdauer des Kurzarbeitergelds auf zwei Jahre ausgeweitet und die Zeit zur Umschulung der Fachkräfte genutzt werden. Der notwendige Wandel der Autoindustrie würde so gestaltet und nicht nur mit viel Geld herausgezögert werden.

Neue berufliche Perspektiven schaffen

„Aber wahr ist auch: Viele werden in andere Branchen wechseln müssen“, so Brand. Eine Option für einen sozial verträglichen Rückbaus könnte ein „Arbeitsplatzgarantie“ für Beschäftigte sein, aber eben nicht im Flugbereich, sondern in klimafreundlichen Branchen, etwa im öffentlichen Nah- und Fernverkehr. „Natürlich gibt es bei solchen Transformationsprozessen Zielkonflikte. Die Umgestaltung der wachstumsorientierten Luftfahrtindustrie muss zu einem gemeinschaftlichen Prozess werden. Im Moment ist die Diskussion aber ausschließlich vom Management getrieben und die Gewerkschaften hecheln in diesem Prozess hinterher“, sagt Brand. Er plädiert dafür, Menschen, die in klimaschädigenden Branchen arbeiten, wie etwa der fossil betriebenen Auto- und Flugindustrie, bereits heute Umschulungen anzubieten, um den Betroffenen neue berufliche Perspektive zu bieten. Zwar waren kürzlich Vertreter von FridaysforFuture, Verdi und des Paritätischen Gesamtverbands gemeinsam vor die Presse getreten und betonten, sich in Sachen Klimaschutz nicht auseinander dividieren zu lassen. Eine Anfrage von KlimaSocial an Verdi, ob die Gewerkschaft sich strategisch auf eine Abkehr der Wachstumsstrategie der Lufthansa vorbereitet, blieb leider unbeantwortet.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat betont, dass der European Green Deal die große Chance sei, europäische Wirtschaft klimafreundlich zu gestalten. Dem stimme ich zu“, sagt Ulrich Brand, „aber das muss man auch nutzen, um an die ganz harten Fragen heranzugehen, nämlich wie der Rückbau bestimmter Industrien sozialverträglich gestaltet werden kann.“  

Hinweis: Die Arbeit an diesem Artikel sowie weiteren Teilen der KlimaSocial-Serie „An der Weggabelung" wurde gefördert durch den WPK-Recherchefonds Covid-19 / Sars-CoV-2.

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