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Zoo-logisch: Wölfe leben sicher, Quallen verjüngen sich und wunderbare Fotos von Meeresschildkröten
Zoo-logisch: Wölfe leben in Deutschland erstaunlich sicher. Ihr größter Feind ist das Auto
Im Briefing der Tier-Reporter geht es dieses Mal um 20 Jahre Wolfsforschung in Deutschland, die faszinierende Verjüngung von Rippenquallen, erfreuliche Verbote von Grundschleppnetzen sowie empfehlenswerte Bücher zu Artenvielfalt und Meeresschildkröten.
Zu viel Stress ist für einzelne Tiere, aber auch für ganze Populationen, Arten und sogar für Lebensräume eine Bedrohung. Zoologie und Artenschutz beschäftigen sich deshalb immer wieder mit dem Thema.
Wölfe in Deutschland scheinen noch nicht allzu viel Stress zu haben, Rippenquallen haben ihren eigenen Trick, um Stress zu bekämpfen, und Schweden sowie Griechenland setzen endlich auf Stressabbau am Meeresgrund. Definitiv unter zu viel Stress leidet die allgemeine Biodiversität in Deutschland, während sich ein wunderschöner Fotoband mit Meeresschildkröten als Weihnachtsgeschenk eignet und so unseren Stress in der Adventszeit lindern könnte.
Tiere brauchen Schutz, guter Schutz braucht Wissen. So lautet das Motto der Tier-Reporter, einem Recherchekollektiv der Riffreporter.
Wie leben die anderen Tiere auf diesem Planeten? Was haben wir Menschen mit ihnen gemein? Können sie mit uns zusammenleben? Das fragen die erfahrenen Journalistïnnen des Teams, allesamt Expertïnnen für Zoologie in ihren Reports und Reportagen – und in diesem regelmäßig erscheinenden Briefing.
Deutschen Wölfen geht es gut
Wölfe in Deutschland leben im Durchschnitt 146 Wochen, also ungefähr drei Jahre. Viele werden natürlich deutlich älter. Ein Individuum brachte es aktuellen Daten zufolge sogar auf 13 Jahre.
Je drei Viertel der jungen Wölfe überleben das erste Lebensjahr. Das zweite Lebensjahr rafft erneut ein Viertel der Tiere dahin. Doch sind Wölfe erstmal erwachsen, steigt die Überlebenswahrscheinlichkeit auf den erstaunlich hohen Wert von 88 Prozent.
Das sei „im Vergleich zu anderen Regionen sehr hoch“, sagt die Zoologin Stephanie Kramer-Schadt vom Leibniz Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Die Überlebensraten gehörten „zu den höchsten weltweit“.
Seit der Rückkehr des Wolfes nach Deutschland vor gut 20 Jahren werten Kramer-Schadt und Kollegïnnen aus anderen Instituten möglichst alle Daten aus, die es über den Beutegreifer gibt. Dazu zählen Angaben zu Wolfsbeobachtungen, Meldungen von toten Tieren und Zell- oder Gewebeproben.
Auch wenn Wölfe nicht bejagt werden dürfen, sind Menschen dennoch ihre größten Feinde, schreiben die Forschenden: Rund drei Viertel der untersuchten toten Wölfe wurden von Autos angefahren, etwa 13 Prozent wurden vermutlich Opfer eines illegalen Beschusses.
Nachwuchs kommt nach 2,8 Jahren
Genanalysen und mathematische Modellrechnungen erlauben einen detaillierten Blick auf die Populationsdynamik des Caniden, der jetzt im Fachblatt „Wildlife Biology“ veröffentlicht wurde: Insgesamt 201 weibliche Wölfe in 165 deutschen Territorien lieferten Daten. Sie bekommen durchschnittlich im Alter von 2,8 Jahren Nachwuchs.
Je erfahrener die Weibchen sind und je besser ihr Lebensraum ist, desto größer ihre Würfe. Dann bringen die Weibchen fünf Jahre lang im Mittel vier Welpen pro Jahr zur Welt.
Müssen wir angesichts dieses Erfolgs Sorge haben, dass deutsche Wölfe eines Tages überhandnehmen? Wohl kaum, urteilen Kramer-Schadt und Co.: Die hohen Überlebensraten seien typisch für eine Wolfspopulation, die sich noch ausbreitet. Derzeit gibt es hierzulande kaum Konkurrenz um die besten Lebensräume. Wenn sich das ändert, werden hiesige Wölfe ein schwereres Leben haben.
Gestresste Rippenquallen werden jünger
Bei gestressten Wolfspopulationen dürfte also die Zahl der Tiere weniger rasch zu- oder sogar abnehmen. Rippenquallen haben hingegen einen ungewöhnlichen Trick im Kampf gegen Stress gefunden.
Die eigenartigen Wesen sind so etwas wie die Aliens innerhalb der Tierwelt. Aufgrund ihrer zahlreichen Besonderheiten bilden sie einen eigenen Stamm im Reich der Vielzeller – und gehören trotz ihres Namens nicht zu den Quallen.
Vor einigen Wochen hatten wir Tier-Reporter bereits über die Regenerationsfähigkeiten der Tiere berichtet. Jetzt hat ein Forschungsteam der Universität Bergen eine weitere erstaunliche Entdeckung gemacht: Rippenquallen können ihren Alterungsprozess umkehren, sich also verjüngen. Zumindest gilt das für die Meerwalnuss, Mnemiopsis leidyi.
Dabei handelt es sich um eine etwa zehn Zentimeter große Rippenqualle, die natürlicherweise im Atlantik vor der amerikanischen Küste vorkommt. Als invasive Art sorgt sie in vielen Ozeanen für Probleme, indem sie sich über Eier und Larven zahlreicher Fischarten hermacht.
Tiere verwandeln sich zurück in das Larvenstadium
Ein Erfolgsgeheimnis der Tiere liegt wohl darin, dass sie bei Belastungen nicht vorzeitig altern oder gar sterben – sondern wieder jung werden. Die Forschenden setzten Meerwalnüsse unter Stress, indem sie die Nahrung verknappten und die Tiere verletzten.
Über mehrere Tage wurden die Rippenquallen daraufhin immer kleiner und verwandelten sich schließlich zurück in das Larvenstadium. Um den widrigen Bedingungen zu entgehen, hatten sie eine Art Zeitreise in die eigene Jugend angetreten. Als Larve benötigen sie weniger Nahrung, außerdem verfügen sie dann über zwei Tentakel, mit denen sie Plankton effektiver fangen können.
So haben die Rippenquallen also ihre Überlebenschancen verbessert. Wie die Verjüngung genau funktioniert, welche Gene etwa daran beteiligt sind, ist allerdings noch nicht verstanden. Möglich ist auch, dass die Tiere gar nicht jünger werden, sondern nur die Larvengestalt annehmen, ohne ihre Lebensdauer zu verlängern.
Immerhin handelt es sich um eine von ganz wenigen Arten, bei denen Ähnliches bisher beobachtet wurde. Die Meerwalnuss wird die Wissenschaft also noch lange Zeit beschäftigen.
Schweden und Griechenland: Grundschleppnetzverbot
Stress ist auch ein pasendes Wort für das, was an vielen Stellen unserer Meere am Grund passiert. Fischbestände sind als Folge der verheerenden Fischerei mit Grundschleppnetzen längst im Keller.
Die schwedische Umweltministerin Romina Pourmokhtari machte unlängst klar, in Sachen Artenschutz am Meeresgrund sei es bereits fünf vor zwölf. Jetzt haben sich Schweden und Griechenland gegen ihre wirtschaftlichen Interessen und für die Tierwelt entschieden.
Jeder Schritt nach vorn zählt. Jedes EU-Land, das seine Meerestiere schützt, macht Hoffnung, dass die anderen nachziehen. In diesem Jahr haben sich Schweden und Griechenland verpflichtet, die Grundschleppnetzfischerei in bestimmten Regionen zu verbieten.
Eigentlich hätten sämtliche EU-Mitgliedsstaaten im Frühjahr ihre Aktionspläne vorstellen sollen, wie sie diese Fangtechnik beenden wollen, bei der schwere Netze über den Meeresboden gezogen werden. Bis 2030 soll sie EU-weit verboten sein. Doch dieser Aufforderung kam kein anderes Land in der Gemeinschaft nach, auch Deutschland rührte sich nicht.
Im Gegenteil: Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich sogar gegen ein Verbot der Grundschleppnetzfischerei ausgesprochen – selbst im Nationalpark Wattenmeer. Dabei ist bekannt, was diese Praxis anrichtet: bis zu 90 Prozent Beifang, zerstörte Lebensräume, vernichtete Seegraswiesen, tote Meeresböden. Und das in einem Schutzgebiet.
Nun machen Schweden und Griechenland vor, wie es geht, jenseits ökonomischer Interessen. Dabei gehört Schweden zu den größten Fischfangnationen der EU. Dass die Lage ernst ist, weiß die schwedische Umweltministerin Romina Pourmokhtari, die den Regierungsbeschluss mit den Worten kommentierte: „Wir können nur hoffen, dass sich die Bestände wieder erholen.“ Und wir hoffen überdies, dass Deutschland den EU-Vorbildern bald nacheifert.
Buchtipps
Unser Briefing schließt wie immer mit Empfehlungen. Zwei Bücher legen wir Ihnen heute ans Herz. Eher nüchterne – und leider nicht so schöne – Fakten zur Biodiversität in Deutschland liefert das erste Werk. Das zweite erfreut uns mit fantastischen Fotos von nicht minder fantastischen Wesen: den Meeresschildkröten – vielleicht ein gutes Weihnachtsgeschenk?
Bilanz der heimischen Biodiversität
Die Weltnaturschutzkonferenz COP16 in Kolumbien hat gerade einmal mehr bestätigt, was längst bekannt ist: Weltweit geht die Artenvielfalt rasant zurück. Wie aber ist es um die heimische Biodiversität bestellt? Im Rahmen der „Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wurde dazu nun die bisher umfassendste Bestandaufnahme veröffentlicht.
Rund 150 Wissenschaftlerïnnen aus 75 Einrichtungen und Verbänden haben für diesen „Faktencheck Artenvielfalt“ mehrere Tausend Publikationen zur Biodiversität in Deutschland ausgewertet. Ihre Ergebnisse sind in die Hauptlebensräume vom Boden über den Wald bis zu urbanen Räumen und verschiedenen Gewässern unterteilt. Ein Resultat: Von den heimischen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, deren Gefährdungslage untersucht wurde, ist etwa ein Drittel im Bestand bedroht.
Die Autorïnnen ziehen aber nicht nur Bilanz, sondern zeigen auch Trends und Treiber der Entwicklung auf. Mehr noch: Sie erklären, welche konkreten Maßnahmen bei der Transformation zum Erhalt und der Wiederherstellung biologischer Vielfalt helfen können. Das Buch ist im oekom Verlag erschienen, steht aber auch kostenlos als Download zur Verfügung.
Magische Meeresschildkröten
„Magie der Meeresschildkröten“ heißt der neue Bildband von Solvin Zankl, einem herausragenden Naturfotografen, der seine Reportagen in Geo, National Geographic, Stern und BBC Wildlife veröffentlicht (und der auch den Riffreportern vor Kurzem ein Interview gegeben hat, über die Tiere der Nord- und Ostsee).
Zankl ist ein Spezialist für alles, was im Meer lebt, schwimmt, treibt und wandert. Nun begleitet er Meeresschildkröten auf ihrer Reise durch die blauen Tiefen bis zu den Stränden, an denen sie ihre Eier im Sand vergraben.
Er zeigt, wie winzige, fragile Jungtiere aus den Schalen brechen und ihren ersten Atemzug außerhalb des Eis machen. Wie sie in ihren ersten Sekunden schon um ihr Leben rennen, Richtung Meer. Um eines Tages – mit viel Glück – zu Giganten heranzuwachsen: Eine ausgewachsene Lederschildkröte kann bis zu 640 Kilo schwer werden. Die Texte im Buch stammen von der Meeresbiologin Sandra Striegel. Erschienen im August 2024 bei Delius Klasing.